Die Meinungen über den neuen Papst gehen auch in der LINKEN weit auseinander. Klaus-Dieter Heiser ordnet Franziskus vor dem Hintergrund der lateinamerikanischen Befreiungstheologie ein
Was ist von dem 76-jährigen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio als Papst Franziskus zu erwarten? Die Meinungen gehen weit auseinander. Von der Erwartung an eine neue Rolle der Katholischen Kirche im Kampf um soziale Gerechtigkeit bis zur Befürchtung, dass der Papst die Konservativen in der Kirche stärken und an der Eindämmung des revolutionären Prozesses in Lateinamerika mitwirken wird. Eins ist klar: Papst Franziskus wird ein politischer Papst sein.
Bekannt ist Bergoglios soziales Engagement in der argentinischen Metropole Buenos Aires als »Kardinal der Armen«. Der Kontrast zu seinem Vorgänger, dem als Benedikt XVI. zurückgetretenen Joseph Ratzinger, ist groß. Der Befreiungstheologe Leonardo Boff sagt über Bergoglio, er sei immer nah am Volk gewesen: »Er ist in die Slums gegangen und hat dort mit den Menschen gesprochen, er hat soziale Ungerechtigkeiten angeprangert. Und er hat vorgelebt, was er predigte. Er hatte nur eine kleine Wohnung, kochte selbst und fuhr nie mit einem Dienstwagen.« (Spiegel 12/2013)
Kirche der Armen
Diesem Bild entsprechen seine ersten Auftritte als Papst Franziskus. So bei seiner ersten Predigt, als er den Einsatz betonte für die Ärmsten, die Schwächsten, die Geringsten, die Hungernden, die Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Kranken und Gefangenen. Oder bei der traditionellen Gründonnerstagszeremonie, die an das Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern erinnert, als er jugendlichen Gefangenen statt kirchlichen Würdenträgern die Füße wusch, wie sonst üblich.
Die Wahl des Namens Franziskus unterstreicht Bergoglios Anspruch. Der Namensgeber Franziskus von Assisi steht für eine Kirche der Armen und Unterdrückten, für Umweltbewusstsein, für Frieden und gegen Prunksucht. Viele Katholiken wünschen sich vom neuen Papst, dass er Verkrustungen ihrer Kirche aufbricht. Von seinem Vorgänger Benedikt XVI. erwarteten sie nichts mehr, seit er auf seiner Deutschlandreise 2011 jegliche Strukturreform ausgeschlossen hatte.
Mit seinem Rücktritt hinterlässt er seinem Nachfolger einen Scherbenhaufen: Machtspiele und Intrigen im Vatikan, die Vertuschung der Fälle sexuellen Missbrauchs weltweit, die Verstrickung der Vatikanbank in kriminelle Geschäfte, die Probleme des Zölibats ebenso wie die Missachtung von Frauen in der Kirche.
Katholiken in Südamerika
Als Jesuit und langjähriger Provinzial seiner Ordensgemeinschaft ist Bergoglio geprägt vom Wissen um innerkirchliche Macht. Er wird es brauchen, sollte er an Reformen der katholischen Kirche herangehen. Die Rolle des Vatikans als Ort zentralistischer Führung könnte sich unter einem südamerikanischen Papst dahingehend relativieren, dass die Regionen ein stärkeres Gewicht im kirchlichen Machtgeflecht bekommen. Immerhin ist Südamerika die Region mit den meisten Katholiken weltweit und tritt seit Jahrzehnten mit wachsendem Selbstbewusstsein auf.
Bereits im August 1968 fand auf der 2. lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Medellin eine kontroverse Debatte zwischen Papst Paul VI. und einer starken Gruppe lateinamerikanischer Bischöfe statt. Während Papst Paul VI. konstatierte, dass revolutionäre Gewalt mit dem Evangelium unvereinbar sei und die katholische Soziallehre das Privateigentum festschreibe, setzten sich die progressiven gegen die konservativen Bischöfe durch, um die Positionierung der Kirche auf der Seite der armen, entrechteten und unterdrückten Bevölkerung festzustellen.
Vatikan gegen Befreiungstheologie
Im Ergebnis dieser Konferenz konnten drei wesentliche Aspekte festgemacht werden: Erstens, die lateinamerikanische Kirche erkannte erstmalig ihre lokale Eigenständigkeit. Zweitens, die sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse wurden in einen Zusammenhang mit der Realität der kirchlichen Arbeit gestellt. Und Drittens, die Religion wurde als Motivationsquelle anerkannt, »sich an dem umfassenden Prozess der Befreiung von jeder Art von Knechtschaft, Elend und Unterdrückung im Hinblick auf menschenwürdige Lebensbedingungen zu beteiligen«. Damit widerspiegelte die Bischofskonferenz die zuvor entstandene Bewegung hin zu einer »Kirche der Armen« und einer »Theologie der Befreiung«.
Der Vatikan verfolgte die weitere Entwicklung in der lateinamerikanischen Kirche voller Misstrauen und bekämpfte insbesondere die Befreiungstheologen. 1984 veröffentlichte der Vatikan die Instruktion Libertatis nuntius, die in der Verantwortung des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation (früher bekannt als Inquisition) Kardinal Ratzinger entstanden war. Sie verurteilte die »Theologie der Befreiung«, weil in ihr die Befreiung aus der politischen Knechtschaft »die wichtigste und ausschließliche Dimension« gemacht werde. Befreiung sei »zuerst Befreiung von der Sünde«.
Aber nicht nur theologisch ging der Vatikan gegen die Befreiungstheologen vor, sondern auch mit seinen Machtmitteln des Apparates. So ersetzte er zum Beispiel progressive Bischöfe durch konservative, entzog dem Befreiungstheologen Leonardo Boff die Lehrberechtigung, usw. Nach der Wahl Bergoglios zum Papst ist Boff jedoch voller Hoffnung: »Sie werden sich noch wundern, was Franziskus alles ausrichtet. Dazu braucht es aber einen Bruch der Traditionen. Weg von der korrupten Kurie des Vatikans, hin zu einer Universalkirche. Und zu neuen, zentralen Themen: dem Gefälle von Arm und Reich, der Gerechtigkeitslücke.«
Bergoglio auf Distanz
Doch Jorge Mario Bergoglio war schon früh zur »Theologie der Befreiung« und zur in Brasilien starken Befreiungskirche auf Distanz gegangen. Er positionierte sich wie auch andere argentinische Theologen für eine »Kirche des Volkes«. In einer seiner ersten Ansprachen als Papst betonte er, dass Kirche »nicht politisch sondern im Kern spirituell« sei. Damit übernahm er die Hauptaussage der Instruktion Ratzingers gegen die »Theologie der Befreiung« von 1984.
»Theologisch ist der Ordensmann als eher gemäßigt und dialogbereit einzuordnen«, schrieb die Katholische Presseagentur Österreich unmittelbar vor der Papstwahl in einem Porträt Bergoglios, »zudem steht er der konservativen und sozial engagierten Bewegung ‚Communione e Liberazione‘ nahe«. Dieser Zusammenschluss gilt in Italien als einflussreich, auch außerhalb der Kirche. Die von »Communione e Liberazione« gegründete Wirtschaftsvereinigung Compagnia delle Opere stellt nach Medienveröffentlichungen das Bindeglied zur italienischen Wirtschaft besonders in Norditalien dar. Man darf gespannt sein, wie Papst Franziskus mit diesen Netzwerken und ihrem Treiben, mit Korruption und Intrigen umgehen wird, die durch die sogenannte Vatileaks-Affäre bekanntgeworden sind.
Katholische Kirche und Politik
Neben der Kenntnis der innerkirchlichen Machtstellungen weiß Bergoglio als Jesuit um seinen möglichen politischen Einfluss. Der Jesuitenorden, gegen die Reformation Luthers im 16. Jahrhundert gegründet, setzte sich seither sowohl für die innere Erneuerung der katholischen Kirche ein als auch prägte er durch sein Wirken in der Gesellschaft die politische Entwicklung in vielen Teilen der Welt mit. Es trifft also nicht zu, wenn Papst Franziskus sagt, Vatikan und Kirche seien keine politischen Kräfte.
Erinnert sei an die 1978 während einer zugespitzten internationalen Lage erfolgte Wahl des Polen Karol Józef Wojtyła zum Papst Johannes Paul II. Auf diese Weise versuchte die katholische Kirche Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc zu nehmen.
Kampf um Lateinamerika
Im letzten Jahrzehnt hat gerade Lateinamerika einen großen Aufschwung sozialer Bewegungen und linker Regierungen erlebt. Hier haben die Sozialreformen in Venezuela in den letzten Jahren auf weitere Länder ausgestrahlt und gewannen dort an Stärke, sehr zum Missfallen der Herrschenden und Regierenden in den USA. Präsident Obama hat keinen Zweifel daran gelassen, dass seine Administration diesen Prozess stoppen und die linksorientierten Regierungen in der Region wieder zurückdrängen will.
Seit dem Tod Hugo Chávez‘, der Symbolfigur der eigenständigen Entwicklung Lateinamerikas, verstärken die USA ihre Einflussnahme. Bereits wenige Stunden nach Chávez‘ Tod erklärte Obama, Venezuela schlage nun ein neues Kapitel in seiner Geschichte auf. Die USA würden entsprechend ihren Grundsätzen der venezolanischen Bevölkerung »helfen« (Spiegel-Online, 06.03.2013). Welche Rolle wird der lateinamerikanische Papst Franziskus, welche Rolle wird die katholische Kirche in dieser Auseinandersetzung spielen? Die Antwort ist noch offen, sie wird entschieden durch die Entwicklung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.
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