Die Anti-AKW-Bewegung in Japan ist klein, wächst aber. Das zunehmende Misstrauen der japanischen Bevölkerung gegenüber Regierung und Kraftwerksbetreibern hat zum zeitweiligen Abschalten aller Kernkraftwerke im Land geführt. Das ist ein großer Erfolg, der auch dem unermüdlichen Engagement von Anti-Atom-Aktivisten zu verdanken ist. Doch die Bewegung steht nun vor neuen Herausforderungen. Jörg Raupach berichtet aus Japan
Seit gestern Abend [5. Mai 2012; Anmerkung der Redaktion] nimmt Japan eine Auszeit von der Kernenergie, ein wirklich historisches Ereignis, das vielleicht (und hoffentlich) den Beginn einer echten Wende in Japan markiert, nicht nur im Energiebereich, sondern politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Ich war gestern am Kyoto-Bahnhof vor der Niederlassung von Kansai Electric Power auf einer Demo. Schon seit Wochen gibt es dort ein Sit-in von einigen Anti-AKWlern, manche sogar im Hungerstreik. Es kamen etwa 150 Leute – immerhin, aber doch irgendwie beschämend, nicht nur, weil es so wenige sind, sondern weil es vor allem alte Leute und viele aus der 60er-Generation sind. Die wirken auf junge Leute und Familien eher abschreckend, obwohl es ja gerade diese Gruppe der Bevölkerung ist, die es zu mobilisieren gilt. In Tokyo waren es etwa 5.500 Leute, nun ja…
Trotzdem, noch vor ein paar Monaten hatte ich es nicht für möglich gehalten, dass dieser Tag wahr wird. Darum können wir uns alle durchaus zu Recht beglückwünschen – und vielen Dank für Eure Unterstützung [gemeint ist die Unterstützung durch die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland; Anm. d. Red.]. Aber der Weg ist noch lang und die Hürden extrem hoch. In Fukui [gemeint ist eine Präfektur im Westen Japans; Anm. d. Red.] wird hinter den Kulissen gekämpft. Die dortige Präfekturregierung, mit Unterstützung des von Tokyo gesteuerten so genannten »Reaktorsicherheitsrates« stellt vehement die Weichen in Richtung Zustimmung zur Wiederinbetriebnahme [der Reaktoren in der Region; Anm. d. Red.], hat aber gleichzeitig den Ball an die japanische Zentralregierung zurückgespielt. Diese ist gefordert, nun auch das Einverständnis der anliegenden Präfekturregierungen (in Kyoto, Shiga und Osaka) einzuholen, die sich ganz offen der überstürzten Wiederinbetriebnahme wiedersetzen. Rechtlich ist deren Einverständnis nicht erforderlich, aber politisch; dennoch glaube ich, dass die Regierung hier versucht, nach außen hin den Schein zu wahren und dann aber einen Vorwand sucht, der das Wiederhochfahren der Reaktoren rechtfertigt.
Hoffnungsvoll stimmt aber eine Entwicklung direkt in der Standortgemeinde des AKWs Ooi [ein paar Monate nach der Katastrophe in Fukushima, die AKWs im Osten des Landes betraf, machten auch AKWs im Westen negative Schlagzeilen. Ooi liegt in der Präfektur Fukui; Anm. d. Red.]. Der dortige Bürgermeister ist zwar stramm auf Regierungslinie (und profitiert mit seiner Firma von Aufträgen der Atomindustrie). Aber in der bislang sehr zurückhaltenden, eingeschüchterten und auch sehr konservativen Gemeinde von Ooi wächst das Unbehagen. Zum einen ist ihnen das ungeschickte Vorgehen der Regierung zunehmend suspekt, zum anderen ist es wohl aber gelungen, daß die von außen kommende Anti-AKW-Bewegung langsam Verbindungen zur lokalen Bevölkerung findet und Vertrauen entsteht. Ich bin ganz gut informiert, denn es gibt ein mailbasiertes Netzwerk der Anti-AKW-Aktivisten, das über Mail und Twitter über alles berichtet und sich rege austauscht. Es wird auch versucht, direkte Verbindungen zwischen der Ooi-Bevölkerung und betroffenen Gemeinden in Fukushima herzustellen. Sollte es gelingen, die lokale Bevölkerung in Ooi zum offenen Widerstand zu mobilisieren, dann kann es durchaus sein, dass eine Wiederinbetriebnahme dauerhaft verhindert wird. Denn ohne die Zustimmung der Gemeinde läuft da nichts. Aber – wie gesagt – hier tobt ein harter Kampf mit offenem Ausgang.
Und selbst wenn die AKWs länger abgeschaltet bleiben, dann bleibt abzuwarten, ob und wie Japan über den Sommer kommt. Gerade die Kansai-Region wird zu 50 Prozent mit Atomstrom versorgt, und es wird enorme Anstrengungen bedürfen, um Energie einzusparen und die Versorgung aufrechtzuerhalten. Ich bin da an sich optimistisch und vertraue auf die erwiesene Diziplin und Kreativität der Japaner. Aber das kann kein Dauerzustand sein, und die Bereitschaft der Bevölkerung zu Entbehrungen hat auf Dauer Grenzen. Ich befürchte, dass hier die Regierung auch auf Zermürbungseffekte setzt. Und wenn tatsächlich die Versorgung zusammenbrechen sollte, dann kann sich das Blatt sehr, sehr schnell zum Schlechten wenden.
Darum ist es jetzt vor allem wichtig, der japanischen Bevölkerung konkrete und praktikable Wege zur Bewerkstellung der Energiewende aufzuzeigen. Da die Regierung diesbezüglich nicht willig bzw. unfähig und überhaupt nicht handlungsfähig ist, liegt es an den NGOs [Nichtregierungsorganisationen, Anm. d. Red.] und unabhängigen Think Tanks, hier Überzeugungsarbeit zu leisten. Deutschland hat hier eine absolute Vorreiterrolle und das Interesse der Japaner an der deutschen Erfahrung ist riesig.
Ich selbst werde mich da von nun an mit voller Kraft engagieren. Ich bin da sehr dankbar für jeden Rat und Kontakt in Deutschland.
Zum Autor:
Jörg Raupach lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Japan. Er ist Professor für Betriebswirtschaft an einer Universität in Kyoto. Seit Fukushima engagiert er sich aktiv in der japanischen Anti-AKW-Bewegung, u.a. bei »Sayonara Nukes« (Tschüss Atomkraft).
Kontakt:
Anti-Atom-Gruppen, die Kontakt zu Jörg Raupach herstellen wollen, mailen bitte an Frank Eßers (Online-Redakteur marx21.de):
Zum Artikel:
Der Text entstammt ursprünglich einer E-Mail Jörg Raupachs an Anti-AKW-Aktivisten in Deutschland. Veröffentlichung auf marx21.de mit freundlicher Genehmigung des Autors.