Bei Daimler wehren sich kritische Gewerkschafter gegen Ausschlußverfahren aus der IG Metall. Karl Neumann sprach mit Tom Adler, Betriebsrat im Daimler-Werk Untertürkheim über die Hintergründe
Karl Neumann: Sie unterstützen den Protest gegen die Ausschlußverfahren von Berliner Daimler-Kollegen aus der IG Metall. Was sind die Hintergründe?
Tom Adler: Im Daimler-Werk Berlin hat die Betriebsratsmehrheit in den vergangenen Jahren einen extrem am Komanagement orientierten Kurs gefahren. Gegen den Ausverkauf der Interessen der Belegschaft hat sich unter den IG-Metall-Vertrauensleuten und -Betriebsräten sowie aus der Belegschaft heraus eine Opposition entwickelt. Die Kritiker wurden in der Vergangenheit permanent mit administrativen Mitteln und Tricks kaltgestellt. Als Konsequenz daraus sind die Kollegen mit einer eigenen Liste zur diesjährigen Betriebsratswahl angetreten. Aus Anlaß dieser Kandidatur hat der Berliner Ortsvorstand der IG Metall ein Untersuchungsverfahren wegen »gewerkschaftsschädigenden Verhaltens« eingeleitet.
Es wird damit argumentiert, dass die Einheit der Gewerkschaft verteidigt werden müsse.
Das ist in dieser Abstraktheit natürlich immer richtig. Die Einheit der Gewerkschaft wird aber gerade durch die Politik der Betriebsratsspitzen untergraben, zum Beispiel durch die Schaffung unterschiedlicher Standards für Altbeschäftigte und Neueingestellte. Die so geschaffene Spaltung geht viel tiefer als eine politische Auseinandersetzung um Mehrheiten in einem Betriebsrat jemals gehen könnte. Insofern fällt der Vorwurf der Spaltung denen, die diese Politik vertreten, voll auf die Füße.
Sollten Gewerkschaften und Betriebsräte nicht dennoch – insbesondere in Krisenzeiten – einheitlich auftreten?
Die Frage ist immer: Einheit wofür? Einheit im Widerstand oder im Verzicht? Hierzu hatte die Stuttgarter Delegation beim Verbandstag der Deutschen Metallarbeiter-Verbandes 1930 einen Antrag eingebracht, in dem es heißt: »Die Einheit der Arbeiterklasse ist in solcher Lage ein dringendes Gebot. Diese Einheit kann aber nicht die Kampffähigkeit und Schlagkraft der Arbeiterbewegung erhöhen, wenn sie der Koalitionspolitik und der Arbeitsgemeinschaft dienstbar gemacht werden soll. Eine solche Einheit ist weder wünschenswert noch möglich, sie ist nur erreichbar, wenn die Gewerkschaften und insbesondere der DMV die Arbeiterklasse für ihre nächstliegenden Interessen (…) in die außerparlamentarische Aktion führen wird.« Das gilt meiner Ansicht noch heute.
Geht die IG Metall generell mit Ausschlüssen gegen Mitglieder vor, die auf eigenen Listen zur Betriebsratswahl kandidieren?
Nein, damit wurde und wird sehr unterschiedlich umgegangen. Daß sich Strömungen von Gewerkschaftern zu Betriebsratslisten formieren, die für ihren jeweiligen strategischen Ansatz stehen, gibt es zum Beispiel bei Opel seit vielen Jahren – ohne daß das solche Sanktionen nach sich gezogen hätte. Ähnlich bei Karmann und in vielen anderen Betrieben. Ob so etwas als »gewerkschaftsschädigendes Verhalten« eingestuft wird, hängt stark damit zusammen, wie der IG-Metall-Apparat die örtlichen Kräfteverhältnisse einschätzt.
Aktuell scheint es einen gewissen Zuwachs oppositioneller Betriebsratslisten zu geben. Worauf führen Sie das zurück?
Ich weiß nicht, ob es tatsächlich eine Zunahme eigenständiger Kandidaturen gibt. Auf jeden Fall aber wächst die Unzufriedenheit mit der von der IG Metall in der Krise verfolgten Politik, die die von Betriebsräten verfolgte Strategie des Komanagements quasi auf die gewerkschaftliche Ebene überträgt. Weil sie die Belegschaften spaltet und nicht in der Lage ist, die Standards bei Einkommen und Arbeitsbedingungen zu verteidigen, stößt diese Politik zunehmend auf Kritik. Oppositionelle Kandidaturen bei Betriebsratswahlen sind ein Ausdruck dessen.
Zum Text:
Das Interview erschien zuerst in der Jungen Welt vom 27.05.2010
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