Was tun gegen Massenentlassungen in der Krise? Betriebsbesetzungen statt Lohnverzicht, meint David Paenson.
Woolworth Deutschland hat Insolvenantrag gestellt. Den 11.000 Mitarbeitern in 323 Filialen droht das gleiche wie ihren britischen Kollegen zu Beginn des Jahres. Dort entließ das Management 27.000 Menschen . Auch andere Betriebe sind betroffen. Opel und Schaeffler stehen vor der Insolvenz. Die Traditionsmarken Hertie und Märklin haben bereits Insolvenz angemeldet. Hertie kündigte an, 19 von noch 73 deutschen Filialen zu schließen und 650 von derzeit 3400 Mitarbeitern zu entlassen. Der Softwarekonzern SAP plant, 3000 von insgesamt 51.500 Stellen zu streichen. Der Vorstandsvorsitzende von BASF, Jürgen Hambrecht, hat bereits Anfang Januar in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor einer kaum vorstellbaren Rezession gewarnt: "Die Wucht des Abschwungs ist durchschlagend." Auch in einer der erfolgreichsten Sektionen des Maschinenbaus, bei den Druckmaschinenherstellern, sind die fetten Jahre vorbei. Der Marktführer Heidelberger Druckmaschinen hat Ende November die Streichung von zusammen 2500 Arbeitsplätzen in den Produktionsstätten Wiesloch und Heidelberg, der Gießerei in Amstetten und den kleineren Montagewerken in Brandenburg, Kiel und Leipzig angekündigt.
Lohnverzicht rettet keine Arbeitsplätze
Solche enormen und plötzlichen Entlassungswellen erfordern neue Antworten. Doch die vorherrschende Strategie der Gewerkschaften auf der betrieblichen Ebene ist Lohnverzicht für Arbeitsplätze. So erklärte der Verdi-Experte Rösch, dass für die Woolworth-Beschäftigten Zugeständnisse denkbar seien, wenn der neue Investor ebenso seinen Beitrag leisten würde.
Auch bei der IG Metall dominiert die „Standortlogik". Auf der "Automobilkonferenz" der Gewerkschaft im März bestätigte der als Referent geladene Unternehmensberater Jan Dannenberg zwar das düstere Bild der Lage, hatte für den "Standort Deutschland" aber gute Nachrichten parat. "Deutsche Unternehmen werden global gesehen die Gewinner sein, denn sie sind sehr stark in die Krise hineingegangen", meinte Dannenberg. Die Bedingung sei, dass die hiesigen Konzerne die japanische Konkurrenz beim Produktivitätsanstieg einholen und übertreffen müssten. Voraussetzung für eine derart "erfolgreiche Standortpolitik" sei der "Schulterschluss zwischen Kapital und Arbeit".
Dieser existiere schon, erklärte IG Metall-Chef Berthold Huber. So habe sich beispielsweise beim gemeinsamen Einsatz für die so genannte Abwrackprämie gezeigt, "wie gut die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften, Verbänden und Unternehmen funktioniert". Zudem würden die betrieblichen Bündnisse für Arbeit die Möglichkeit zu Tarifabweichungen in wirtschaftlichen Notlagen ermöglichen. Doch genau dies stellt keine tragfähige Alternative zum drohenden Arbeitsplatzabbau dar. In vielen jetzt von der Insolvenz bedrohten Betrieben hatten die Belegschaften schon über Jahre, auch während des Aufschwungs, auf höhere Löhne verzichtet.
Eine andere Antwort
Die Besetzung des Autozulieferers Visteon in Enfield, Großbritannien, durch die Belegschaft zeigt einen anderen Weg auf. Dort wurde auf einer nur 10 Minuten dauernden Betriebsversammlung allen 200 Mitarbeitern die fristlose Kündigung ausgesprochen. Viele Belegschaftsmitglieder haben dort 20, 30 oder sogar 40 Jahre für den gleichen Betrieb gearbeitet, der bis zu seiner Ausgliederung im Jahr 2000 zu Ford gehörte und weiterhin für Ford produziert. Zunächst verließen alle den Betrieb wie aufgefordert. Als sie aber von der Besetzung des Visteon-Schwesterbetriebs in Belfast am 8. April hörten, sagten sie sich, sie müssten das Gleiche tun. Auch in Belfast hatten die Arbeiter nur wenige Minuten bekommen, ihre Sachen zu packen und den Betrieb zu verlassen. "Nach dieser Anweisung war ich dabei, meinen Schreibtisch auszuräumen. Dann versammelten wir uns alle und beschlossen: "Wir gehen nicht", sagte ein Arbeiter aus Belfast gegenüber der britischen Zeitschrift "Socialist Worker". Ein dritter Visteon-Betrieb in Basildon wurde ebenfalls kurzzeitig besetzt.
Aber auch auf ganz anderen Feldern wenden sich die Menschen dem Mittel Besetzung zu, um sich gegen die Kürzungen zu wehren. Zwei Grundschulen in Glasgow wurden von wütenden Eltern besetzt, um die drohende Schließung zu stoppen. Eine Verpackungsfabrik in Dundee wird seit sechs Wochen besetzt. Die große Besetzungswelle in Solidarität mit Gaza, die ein Drittel aller britischen Hochschulen erfasste, war sicherlich ein Beispiel: Was Studenten können, können auch die Kollegen. Alle diese Besetzungen werden von einer Welle der Solidarität getragen – in Form von Spendengeldern, Kundgebungen und Unterschriftenaktionen.
Ein Hauptthema bei den Besetzungen bei Visteon war, wie weit man mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten bereit ist. Um eine möglichst große Beteiligung aller Mitarbeiter zu gewährleisten, wurde ein Rotations-System eingeführt und es werden regelmäßig Vollversammlungen einberufen. Die Bedingungen in Deutschland sind ähnlich. Man stelle sich vor: Alle Woolworth-Kaufhäuser in ganz Deutschland würden durch die eigenen Mitarbeiter offengehalten, anstatt, dass eins nach dem anderen die Türen schließt. Es wäre ein Signal für alle anderen von Entlassungen und Schließungen bedrohten Arbeiter bei Opel, Karmann und anderswo. Sie könnten sich der Solidarität der gesamten Bevölkerung sicher sein.
Man mag einwenden, dass Widerstand inmitten der Krise noch schwieriger zu organisieren ist als in Aufschwungszeiten. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Arbeiterklasse auch in Krisenzeiten erfolgreich wehrt. So geschah es in den USA, in Spanien und in Frankreich Mitte der 30er Jahre. In den USA besetzten Autoarbeiter ihre Betriebe und es kam zu Neugründungen von Industriegewerkschaften. In Spanien wehrte sich die Arbeiterklasse gegen den faschistischen Putsch Francos und entfaltete im Schoß des Bürgerkriegs ihre eigene Demokratie. In Frankreich waren Großdemonstrationen gegen einen versuchten Putsch der französischen Rechten im Jahre 1934 der Beginn eines neuen Selbstbewusstseins, der eine neue linke Volksfrontregierung 1936 an die Macht brachte und im Anschluss daran eine Betriebsbesetzungswelle anspornte. Eine Errungenschaft war die erstmalige Einführung eines gesetzlichen Jahresurlaubs. Diese verschiedenen Bewegungen inspirierten sich gegenseitig. Es entstand ein neues Gefühl des Internationalismus.
DIE LINKE und die Gewerkschaften
Heute gilt es, an diese Tradition anzuknüpfen. Die Gewerkschaften stehen vor enormen Herausforderungen. Die Partei die LINKE sollte die Taktik der "Betriebsbesetzungen" bekannter machen und den Kolleginnen und Kollegen in den von Entlassungen bedrohten Betrieben Mut machen, zu kämpfen. Sie darf sich nicht darauf beschränken, einfach nur Sprachrohr der Gewerkschaften im parlamentarisch-politischen Raum zu sein und Gesetzesanträge zu stellen. Die Partei sollte ihre parlamentarisch-politische Position, die sie derzeit erobert, nutzen, um die außerparlamentarischen Kämpfe wie Streiks oder Betriebsbesetzungen zu unterstützen.