Das Areal des ehemaligen Tempelhofer Flughafens wird von den Berlinern vielfältig und selbstorganisiert genutzt. Doch damit könnte in absehbarer Zeit Schluss sein. Der schwarz-rote Senat plant einen Ausverkauf des Geländes an Privatinvestoren. Kommt er damit durch, werden höhere Mieten und die Verdrängung von sozial Schwachen das Ergebnis sein. In den betroffenen Kiezen haben Anwohner begonnen, Widerstand zu organisieren. Von Frank Eßers
Nach der Schließung des Tempelhofer Flughafens und der Freigabe des Geländes für die Öffentlichkeit im Mai 2010 ist auf dem ehemaligen Flugfeld eine weltweit einmalige riesige Freifläche mitten in einer Großstadt entstanden. Sie dient nicht nur als Naherholungsgebiet für die Bewohnerinnen und Bewohner der angrenzenden Kieze, sondern zieht Menschen aus der ganzen Stadt an. Hier wird gefeiert, gegrillt und gechillt. Für Skater und sind die beiden langen ehemaligen Landebahnen ideal.
Beliebt ist das Gelände auch bei Windskatern und Kite Landboardern, denn genug Wind entsteht über der großen Freifläche immer. Dieser kühlt zudem die angrenzenden dicht bebauten Stadtteile und wirkt der Überhitzung entgegen, die wegen der Erderwärmung in den zubetonierten Metropolen zu einem wachsenden Problem geworden ist.
Zaun und Eintrittsgeld
Seit September 2010 hat der Berliner Senat drei so genannte Pionierflächen auf dem Areal ausgewiesen, auf denen Spiel-, Sport-, Kultur- und Garten-Initiativen aktiv geworden sind. Damit ist der Freizeitwert des Geländes gestiegen – besonders für all jene, die nur wenig Geld für Freizeitgestaltung übrig haben. Für viele Bewohnerinnen und Bewohner des armen Bezirks Neukölln, der im Osten ans Flugfeld angrenzt, hat die ungehinderte und kostenlose Nutzung des Areals eine besonders hohe Bedeutung. Allerdings dürfen die Initiativen das Gelände nur bis zur Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) nutzen, die 2017 auf dem Gelände eröffnet werden soll. Das schafft eine ganze Reihe von Problemen.
Mit der IGA werden 107 Hektar des 386 Hektar großen Feldes eingezäunt – und können nur gegen ein Eintrittsgeld von 15 Euro betreten werden, das sich viele nicht leisten können. Mit der so genannten Erweiterungskulisse nimmt die IGA sogar 143 Hektar in Beschlag.
Wohnungen für besser Verdienende
Desweiteren plant der schwarz-rote Senat eine Bebauung der Randbereiche des Tempelhofer Feldes durch Privatinvestoren. Es sollen Gewerbebauten und Wohnungen errichtet werden – letztere allerdings nicht für die arme Bevölkerung der angrenzenden Kieze. Geplant ist der Bau von Wohnungen zu »marktüblichen Preisen« – zu teuer für viele Anwohner. Beides – IGA und Wohnbebauung – wird die Mieten in den umliegenden Kiezen weiter in die Höhe treiben.
»In den letzten zwei bis drei Jahren hat sich viel auf dem Wohnungsmarkt getan und das meiste rufe bei Mietern vor allem eins wach: Angst«, berichtet das Quartiersmanagement Ganghoferstraße in seiner Zeitung. Momentan gehöre der Wohnungs- und Immobilienmarkt in Neukölln zu den attraktivsten der Stadt. Damit verspreche auch diese Gegend zukünftig deutliche Wertsteigerungen im Immobiliensektor, befürchtet das Quatiersmanagement. Diese Angst ist berechtigt: Bei Neuvermietungen steigen die Mieten derzeit um durchschnittlich 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Daraus folgt die Verdrängung sozial schwacher Mieter durch zahlungskräftigere Zugezogene. Im Fachjargon der Stadtsoziologen nennt man das Gentrifizierung.
Miethaie und Spekulanten freuen sich
Die Privatisierungspläne des Berliner Senates für das Tempelhofer Flugfeld sind ein Gentrifizierungs-Großprojekt. Durch die IGA wird das Gelände attraktiv für Wohnungsunternehmen und Spekulanten. Deren Profitinteressen sollen durch eine Bebauung des Feldes mit hochpreisigem Wohnraum bedient werden, der an besser Verdienende verkauft oder vermietet werden kann. Sozial Schwache im angrenzenden Neukölln werden dadurch zum Umzug in die Randbereiche Berlins gezwungen. Denn in den Innenstadtlagen ist günstiger Wohnraum kaum noch zu finden.
Doch nicht nur für sozial Schwache, sondern für alle Berliner Steuerzahler sind die Senatspläne eine kostspielige Belastung. »Allein für die 2017 geplante Internationale Gartenausstellung (IGA) sind Verluste von 13,5 Mio. Euro eingeplant«, kritisiert Ralf Körber in der aktuellen Ausgabe der Stadtteilzeitung des Neuköllner Bezirksverbandes der LINKEN. »Vorleistungen für die Entwicklung der Baufelder und der Herrichtung eines attraktiven Vorfeldes (Internationale Gartenbauausstellung mit IGA-Park) belasten den Haushalt des Landes Berlin mit rund 170 Millionen Euro«, so Körber weiter: »Zusätzlich ist am Tempelhofer Damm der Neubau der Zentralen Landesbibliothek (ZLB) mit Kosten von 270 Mio. Euro geplant. Dagegen steht das Flughafengebäude in weiten Teilen leer.« Die Integration der ZLB in das Flughafengebäude würde laut Körber hingegen Kosten sparen.
Widerstand in Neukölln
Gegen Gentrifizierung und Privatisierung des Tempelhofer Feldes hilft nur der Widerstand der Betroffenen. Initiativen und auch DIE LINKE in Neukölln versuchen derzeit, Anwohnerinnen und Anwohner in den betroffenen Stadtteilen aufzuklären und zu organisieren.
Im September 2011 hat sich außerdem die Initiative »100% Tempelhofer Feld« gegründet, die gegen die Bebauung des Geländes ein Volksbegehren vorbereitet.
Zum Autor:
Frank Eßers ist aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln und beteiligt sich an der Initiative »100% Tempelhofer Feld«. Er wohnt in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Flughafens.