Der Mord an Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal und die spärlichen Reaktionen darauf zeigen: Das Problem ist, dass Vorurteile gegen Muslime in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Jegliche Form der Diskriminierung von Muslimen muss entschlossen bekämpft werden. Von Christine Buchholz
Marwa El-Sherbini wurde ermordet, weil sie sich gegen einen Rassisten gewehrt hat. Sie zeigte den Mann an, der sie wegen ihres Kopftuchs als »Islamistin«, »Terroristin« und »Schlampe« beschimpft hatte. Solche Attacken kennen viele Frauen. Sie könnten aus dem Mord den Schluss ziehen, sie lieber hinzunehmen. Damit das nicht passiert, ist jeder und jede gefordert, Angriffen gegen Muslime im Alltag entschlossen entgegenzutreten.
Dass irgendwann eine Kopftuch tragende Muslima ermordet werden würde, war abzusehen. Schon lange haben Politiker wie der hessische CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer Vorurteile gegen Muslime aufgebaut und salonfähig gemacht. So ist es auch zu erklären, dass die Bundesregierung sehr spät und sehr leise auf den Mord reagiert hat.
Islamophobie sei kein Phantom, sagt Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Marwa El-Sherbini »ist das bisher tragischste Opfer unter unseren muslimischen Schwestern, die unter Demütigungen, Verdächtigungen und Diskriminierungen zu leiden haben. Die insbesondere an ihrer Bekleidung erkennbaren muslimischen Frauen sind unterdessen weitgehend gesellschaftlich und menschlich abgewertet«", schreibt die islamische Religionsgemeinschaft Hessen.
Die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) veröffentlichte 2006 einen Katalog von gemeldeten Übergriffen und Demütigungen gegenüber Muslimen: »Busfahrer, die Mädchen mit Kopftüchern an Haltestellen stehen lassen, muslimische Frauen, die bespuckt werden und muslimische Männer, die zusammengeschlagen werden, Flugblätter ‚Tod den Muslimen'.« Dazu steige die Zahl von Brandanschlägen auf islamische Schulen und Moscheen.
Diesen Taten gehen Worte voraus – Nazis und Rassisten in ganz Europa haben die Hetze gegen Muslime zum zentralen Bestandteil ihrer Politik gemacht. Bei der Europawahl im Juni wurde die Partei des Rassisten Geert Wilders auf diese Weise in den Niederlanden zweitstärkste Kraft.
Hierzulande steht die NPD an der Spitze der Islamhetze. Schon für den Europawahlkampf 2004 druckte sie Plakate mit Fotos von Muslimen und dem Slogan »Gute Heimreise«. Jürgen Gansel, der für die NPD im sächsischen Landtag sitzt, beschreibt, warum die Nazis Muslime ins Fadenkreuz nehmen: »Sie stellen ein doppeltes Problem dar, weil sie als Orientalen rassefremd sind und der Islam eine mit der europäischen Geistestradition unvereinbare Fremdreligion ist, die gleichzeitig das mentale Rüstzeug für die aggressive Landnahme auf Kosten der ‚Ungläubigen' liefert.« Gansels Äußerungen offenbaren das nationalsozialistische Gedankengut, das den Kampagnen der NPD gegen Muslime zugrunde liegt.
Glücklicherweise sind die Nazis mit dieser Ideologie nach wie vor gesellschaftlich isoliert. Daher versuchen sie, Brücken ins bürgerliche Lager zu bauen und allgemeine Vorurteile gegenüber Muslimen aufzugreifen. Das Mittel der Wahl sind hierbei Kampagnen gegen Moscheebauten. So unterstützte die NPD beispielsweise entsprechende Kampagnen in Berlin-Heinersdorf, Frankfurt-Hausen und Essen-Altendorf.
Die Nazis setzen auf Islamfeindlichkeit, weil sie meinen, so am politischen Mainstream anknüpfen zu können. Leider zu Recht – die CDU hat mit ihrer Debatte um die »deutsche Leitkultur« eine Schneise für die Argumente der Nazis geschlagen. Auch mit der Diskussion über innere Sicherheit nach dem 11. September nähren maßgeblich Unionspolitiker einen Generalverdacht gegen Muslime.
Hessische Politiker wie der CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer hetzen mit: Der von Irmer herausgegebene »Wetzlarkurier« – die CDU-Parteizeitung im Lahn-Dill-Kreis – erschien mit Überschriften wie: »Für Europa – gegen Eurabien«, »Die schleichende Islamisierung Deutschlands und Europas ist in vollem Gange« oder »Islamisten erheben Weltherrschaftsanspruch«.
Vorurteile werden aber auch im linksliberalen Milieu geschürt. Der Publizist Henryk M. Broder meint, es drohe die Islamisierung durch Zuwanderung und Geburtenreichtum. »Nach den Niederlagen von Poitiers (732) und Wien (1683) sollen die Europäer nun mit den Waffen der Demografie besiegt werden«, schreibt Broder und greift mit dem Überfremdungsmotiv einen Kerngedanken der Rechten auf.
Ralph Giordano sagte im Sommer 2008: »Heute kann mit Genugtuung gesagt werden, dass der inzwischen bundesweit gestreute Protest gegen die Absichten einer schleichenden Islamisierung das Problem endlich aus der Schmuddelecke des deutschen Rechtsextremismus und -populismus herausgeholt und ihn zu einer seriösen Institution des öffentlichen Diskurs gemacht hat. Dabei ist nicht die Moschee – der Islam ist das Problem.«
Giordano irrt, denn die offene Islamfeindlichkeit ermöglicht der NPD, ihre Parolen zu radikalisieren. In Hessen plant sie für den 1. August eine »Doppeldemonstration« in Friedberg und Nidda. Die Routen sollen jeweils an Moscheen vorbei führen. Mit ihrem Motto »Deutsche wehrt Euch – gegen Islamisierung und Überfremdung!« knüpft die NPD an den NS-Slogan der antisemitischen Boykotte vom April 1933 an.
Der Mord an Marwa El-Sherbini und die spärlichen Reaktionen darauf zeigen: Das Problem ist, dass Vorurteile gegen Muslime in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Deswegen muss jegliche Form der Diskriminierung von Muslimen bekämpft werden – alltägliche Diskriminierungen wie die, gegen die sich Marwa El-Sherbini zur Wehr setzte, genauso wie Anti-Moscheen-Kampagnen und das Kopftuchverbot.
Zur Autorin:
Christine Buchholz ist Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand der Partei DIE LINKE.
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Mehr auf marx21.de:
- Christine Buchholz: "Hass gesät, Gewalt geerntet"
- Schwerpunkt "Islam, Rassismus und die Linke", in: marx21 Heft 7, September 2008