Zum ersten Mal seit Jahrzehnten reagieren Arbeiter in den USA auf ihre Entlassung mit einer Fabrikbesetzung: Erfolgreich, wie Lee Sustar aus Chicago berichtet.
Die US-Zeitungen brachten es auf ihre Titelseiten, Gewerkschafter und Aktivisten im ganzen Land ließen sich davon inspirieren: Der Arbeitskampf der Beschäftigten bei »Republic Windows and Doors«. Die Firma produziert Energiespartüren und Fenster. Sie sollte dichtgemacht werden. Entgegen der gesetzlichen Vorschriften wurden die 300 Arbeiter erst drei Tage vor Schließung davon unterrichtet – ohne Auszahlung der Ansprüche der Belegschaft. Um das Unternehmen zu zwingen, seinen Verpflichtungen nachzukommen, beschlossen die Arbeiter, nach der Produktionseinstellung am 5. Dezember an Ort und Stelle im Betrieb zu bleiben.
Erfolgreiche Besetzung
Durch ihre Entscheidung, den Betrieb zu besetzen – eine Taktik der Arbeiterbewegung in den 1930er Jahren, die aber zwischenzeitlich vollkommen in Vergessenheit geraten ist – stießen die Arbeiter eine Solidaritätsbewegung an. Sie zwangen eine der größten US-amerikanischen Banken dazu, zwei Monatslöhne und Gesundheitsleistungen zu zahlen, obwohl sie gesetzlich dazu nicht verpflichtet gewesen wäre. Aber die »Bank of America« und andere Gläubiger zahlten zwei Millionen Dollar Abfindung, Urlaubsgeld und Krankenversicherungsbeiträgen. Ein voller Sieg für die Gewerkschaftsmitglieder. Dementsprechend fiel der Beschluss, die sechstägige Betriebsbesetzung zu beenden, einstimmig. »Wir fühlen uns großartig«, sagte der müde aber lächelnde Armando Robles, Präsident von »United Electrical, Radio and Machine Workers (UE)«, Bezirk 1110. Melvin Maclin, Vizepräsident des Bezirks, stimmte zu: »Es ist toll. Ich fühle mich als Mensch wahrgenommen. Alle sind überglücklich. Es ist ein bedeutendes Ereignis, weil es Arbeitern überall zeigt, dass wir sehr wohl eine Stimme in dieser Wirtschaft besitzen. Weil wir das Rückgrat dieses Landes sind. Es sind nicht die Manager. Es sind die arbeitenden Menschen.« »Siehst du das Schild da oben? Ohne uns würde da nur ‚Republic‘ stehen, denn wir sind es, die die Fenster und Türen bauen! Das zeigt, dass wir kämpfen können, und kämpfen müssen.«
(Video der Besetzung)
Was als resoluter Akt einer Gruppe von 250 Arbeitern begonnen hatte, wurde schnell zu einem nationalen Symbol von Arbeiterwiderstand in einer krisengeschüttelten Wirtschaft. Viele hunderte Gewerkschaftsmitglieder und -sekretäre, nicht nur aus Chicago selbst, sondern aus dem Midwest, besuchten die Republic, um sich solidarisch zu zeigen und dringend benötigte Lebensmittel und Geldspenden vorbeizubringen.
Katalysator
Unterstützung für die Republic kam aber auch von außerhalb der organisierten Arbeiterbewegung. Der Widerstand wirkte wie ein Katalysator für die Wut der Bevölkerung wegen des 700 Milliarden US-Dollar schweren Rettungspakets für Wall Street. Obwohl die »Bank of Amerika«, Republics wichtigster Gläubiger, ansteht, um 25 Milliarden Dollar Steuergelder in Empfang zu nehmen, sah sie sich nicht in der Lage, die 60 Tage Lohnfortzahlung zu gewähren, die den Arbeitern nach dem Bundesgesetz (WARN) im Fall einer Betriebsschließung ohne die vorgeschriebene zweimonatige Vorankündigung zusteht.
Demokratische Politiker, angefangen mit dem zukünftigen Präsidenten Barack Obama, bis hin zu Chicagoer Stadtsräten, gerieten unter Druck, ihre Unterstützung für den Kampf zu äußern.
Auch die Presseberichterstattung war davon betroffen. Ausnahmsweise warf sie nicht nur ein Licht auf die Beweggründe des Arbeiterkampfes, sondern fokussierte auch auf den Arbeitgeber. Die »Chicago Tribune« berichtete, dass der Hauptanteilseigner der Republic, Rich Gillman, im Kauf einer nicht gewerkschaftlich organisierten Fensterfabrik in Iowa verwickelt war, um dorthin die Produktion zu verlagern. Journalisten brachten auch Beweise ans Tageslicht, dass die »Bank of America« wiederholt Forderungen nach Ausweitung der Kreditlinie an die Republic abgelehnt hatte, obwohl sie selbst durch die staatliche Rettungsaktion über genügend frisches Geld verfügte. Als die Gewerkschaft beschloss, am 10. Dezember eine Kundgebung gegen die »Bank of America« zu organisieren, war die Resonanz daher groß: etwa 1000 Menschen kamen trotz der Kurzfristigkeit der Ankündigung. »Da wir uns hier mitten im Bankenviertel befinden, lasst uns ein paar
Berechnungen anstellen«, sagte Pastor Gregory Livingston von Rainbow/PUSH. »Die Bank of America hat 25 Milliarden Dollar erhalten. Wieviel die Arbeiter von Republic? Nichts.«
»Deshalb sind wir auch hier, inmitten des Finanzsektors, da, wo das Geld liegt. Das Volk arbeitet, nun ratet mal, wessen Geld auf den Bankkonten hier liegt? Wessen Geld wird vermarktet? Wessen Geld landet in deren Taschen? Es ist unser Geld.«
Arbeitermacht
Was aber an den Streikposten bemerkenswert war, war weniger die Wut gegen die Banken, sondern das spürbare Gefühl von Arbeitermacht. Mitglieder von rund einem Dutzend Gewerkschaften waren anwesend, studentische Gruppen, Sozialisten und Bürgerinitiativen, die allesamt vom mutigen Vorgehen der Republic-Arbeiter angetan waren.
Larry Spivack, Regionaldirektor von AFSCME, Rat 31, fasste die Stimmung in seiner Rede zusammen: »Schaut um euch um«, sagte er ins Publikum, bezogen auf die Finanzinstitutionen ringsherum. »Wer hat all diesen Reichtum geschaffen?«, fragte er. Worauf die Menge skandierte: »Wir waren’s!« »Wer hat die Macht?« »Wir sind’s!« Spicack fuhr fort: »Dies ist erst der Beginn. Wie der Kampf in Haymarket 1886 bloß ein Anfang war«, womit er den Kampf um den Achtstundentag in Erinnerung rief. Er schloss mit den Worten: »Alle Macht den Arbeitern!«
Wenige Stunden später, wieder in den Werkshallen der Republic zurück, und nachdem sie sich die Klauseln der neuen Vereinbarung angehört hatten, kam der Bundesleiter der UE zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: »Die Bedeutung dieses Kampfes für die Arbeiterbewegung zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo Millionen amerikanische Arbeiter mit immer schlimmeren wirtschaftlichen Turbulenzen und immer dreisteren Beispielen von Ungerechtigkeit konfrontiert werden, liegt darin, dass es eines klaren Symbols des Widerstandes bedurfte. Die Arbeiter der Republic stehen an vorderster Front dieses Widerstandes. Sie personifizieren die Herausforderung, vor der die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Wirtschaftslage steht. Sie symbolisieren aber auch die Hoffnung, dass wir Ungeahntes erreichen können, wenn wir als Arbeiter nur zusammenhalten, zusammen kämpfen und bereit sind, bis zum äußersten zu gehen. Ihr Sieg kommt zu einem Zeitpunkt, wo die Arbeiterbewegung ihn braucht.«
(Aus dem Englischen von David Paenson)
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