Der Bürgerkrieg in Syrien trieb Hunderttausende in die Flucht. Das Schicksal dieser Flüchtlinge beleuchtet Nora Berneis, die momentan in Amman, Jordanien, lebt.
Jordanien, 10 Kilometer östlich von Mafraq im Norden des Landes: Ein kleiner weißer Bus wartet an der Hauptstraße einer Stadt aus Zelten und Containern. Auf den ersten Blick unterscheidet ihn nichts von den Stadtbussen in der Hauptstadt Amman und auch die Menschen, die nach und nach einsteigen, sehen so aus, als würden sie nur mal eben in die Stadt fahren: Frauen, Männer und Kinder, manche mit ein wenig Gepäck. Dann fährt er los, in Richtung Norden, an die syrische Grenze. Auch das ist ganz normal.
Pro Woche verlassen etwa 800 syrische Flüchtlinge das Zaatari-Camp auf diesem Weg. Viele begleitet die Hoffnung, diesen Ort nie wieder zu sehen. In dem größten Flüchtlingslager in Jordanien leben knapp 115.000 Flüchtlinge, die mit Zelten, Lebensmitteln und dem Nötigsten versorgt werden. Das sei zu wenig um zu leben und zu viel um zu sterben, sagen die Bewohner, denn es gibt keine Arbeit, keine Perspektive und keine Ablenkung.
Die vielen Hilfsorganisationen vor Ort können nicht genug Unterstützung für alle bieten. Darum werden bestimmte Hilfsgüter nur an die als am hilfsbedürftigsten eingestuften Flüchtlinge verteilt. Das Privileg, in einen Container umzuziehen, bleibt auf Familien begrenzt, die seit mehr als eineinhalb Jahren in einem Zelt gehaust haben. Die lokalen und internationalen humanitären Organisationen haben ihre Büros ebenfalls in Containern, doch die stehen in einem anderen Bereich des Camps, der mit einem Stacheldrahtzaun abgetrennt ist.
Jordanien schottet syrische Flüchtlinge ab
Seit Monaten wird jeder Flüchtling, der die Grenze nach Jordanien überquert, direkt nach Zaatari gebracht und kann das Camp nur in Richtung Syrien wieder verlassen. Die Busverbindung zur Grenze hat der jordanische Staat organisiert. Die Regierung hat Gründe für diese Politik: Abschottung der neu ankommenden Flüchtlinge, Verweigerung der Aufnahme von irakischen und palästinensischen Flüchtlingen aus Syrien und eine Reihe neue Gesetze, die die Lebensbedingungen der Syrer innerhalb der jordanischen Gesellschaft verschlechtern.
Angeblich schützt der jordanische Staat damit vor allem junge Jordanier vor steigender Arbeitslosigkeit sowie der zunehmenden Überlastung des Gesundheits- und Bildungssystems. Jordanien ist seit über 20 Jahren von Wirtschaftshilfen des IWF und der USA abhängig und die neoliberalen Wirtschaftsreformen seit den 1990er Jahren haben die jordanische Arbeiterklasse schwer getroffen.
Der Krieg im Nachbarland und die rund eine Million größtenteils armen Flüchtlinge, von denen der größte Teil in den Städten und Kommunen statt in Flüchtlingslagern lebt, lassen die jordanische Unterschicht immer weiter wachsen und tragen nun seit über zwei Jahren zur Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen bei. Daraus nährt sich wachsende Ablehnung und teils offene Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen aus Syrien. Immer häufiger hört man von der Befürchtung, dass die Flüchtlinge in Jordanien bleiben würden, so wie die, die einst aus Palästina flohen.
Noch mehr Flüchtlinge im Libanon
Im Libanon ist die Situation ähnlich, nimmt aber noch schlimmere Ausmaße an, denn der Bevölkerungszuwachs durch syrische Flüchtlinge beträgt hier über 30 Prozent. Die vielen internationalen und lokalen Hilfsorganisationen sind logistisch und vor allem finanziell überfordert.
Da es keine offiziellen Flüchtlingslager gibt, leben die Flüchtlinge über das ganze Land verstreut, vor allem in den ärmsten Gemeinden. Viele libanesische Familien, die aufgrund der steigenden Miet- und Lebensmittelpreise, der sinkenden Löhne im Niedriglohnsektor, der steigenden Arbeitslosigkeit oder der Mitversorgung syrischer Verwandtschaft selbst verarmen, werden in die Hilfsprogramme integriert.
Zudem ist die Bevölkerung politisch polarisiert zwischen Unterstützern des Regimes und der Opposition, beide Seiten rekrutieren libanesische Kämpfer und immer wieder kommt es zu bewaffneten Konflikten, Attentaten und Bombenanschlägen in genau den Regionen, wo die meisten Flüchtlinge und die ärmsten Libanesinnen und Libanesen leben. Die syrischen Flüchtlinge werden immer häufiger für diese Situation verantwortlich gemacht und diskriminiert.
Hoffnung Europa
In den Szenekneipen Ammans und Beiruts, wo syrische Folklore aus den Lautsprechern dringt und der Humor immer schwärzer wird, diskutiert man illegale Fluchtwege in verschiedenste Länder. »Selbst in der Antarktis gibt es syrische Flüchtlinge, die die Pinguine anflehen sie zu heiraten!« sagt ein junger Theaterintendant aus Damaskus.
Ein Großteil derjenigen, für die ein deutsches Asylantenwohnheim eine echte Verbesserung darstellen würde – schon allein weil ihre Kinder dann nicht mehr arbeiten müssten, sondern zur Schule gehen würden, weil sie ein regenfestes Dach über dem Kopf hätten, weil sie medizinisch versorgt würden und uneingeschränkten Zugang zu fließendem Wasser hätten, statt sich um eine Polio-Epidemie zu sorgen – können sich die Reise in einem Schlepperboot genauso wenig leisten, wie ein Gläschen Chai in solchen Kneipen. Sie sind gefangen an Zufluchtsorten, die diese Bezeichnung nicht verdienen.
Manche von ihnen sind sogar nur aus dem Grund in den Libanon geflohen, weil sie angenommen hatten, dass sie von dort aus direkt nach Deutschland gebracht würden. Aus einem kleinen Versprechen deutscher Politiker war in den syrischen Kriegsgebieten, die teils ohne Strom seit Monaten von der Außenwelt abgeschnitten sind, ein Märchen von Menschlichkeit geworden.
Festung Europa
Die Realität sieht weniger solidarisch aus: Bisher sind zwar 1500 syrische Flüchtlinge im Rahmen der im März versprochenen Aufnahme von 5000 aufgenommen und teils sogar von Innenminister Friedrich persönlich in Deutschland begrüßt worden, doch dies kann höchstens als symbolische Hilfe angesehen werden.
Angesichts der schlimmsten Flüchtlingskrise seit dem Völkermord in Ruanda setzt man sich weiterhin dafür ein, die grausame Abschottungspolitik der EU voranzutreiben. Die EU-Grenzen werden nach Süden verlagert und dort mit brutalen Mitteln verteidigt. Immer wieder wird von Menschenrechtsverstößen gegen Flüchtlinge berichtet, die zumeist innerhalb des Zuständigkeitsgebietes der europäischen Grenzschutzagentur Frontex stattfinden.
Sperranlagen gegen Flüchtlinge
Im Sommer 2012 hat man in Griechenland einen neuen Sperrzaun errichtet und an der bulgarischen Grenze soll eine drei Meter hohe 37 Kilometer lange Mauer gebaut werden. Flüchtlinge, die es dennoch schaffen, über das Mittelmeer oder den Landweg nach Süd-Europa zu gelangen, werden zur Abschreckung unter unmenschlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern und Gefängnissen eingepfercht.
Nur wenige schaffen es nach Nordeuropa, ohne zuvor in einem anderen Land registriert worden zu sein, in das man sie nach der Dublin-II-Verordnung dann wieder zurückschickt. Oft bleibt ihnen dort nicht viel mehr als ein Leben auf der Straße, denn die sogenannte »Drittstaatenregelung« sorgt für eine unverhältnismäßige Konzentration von Flüchtlingen in denjenigen Mitgliedsstaaten, wo es im Rahmen der von der EU vorgeschriebenen Austeritätspolitik die heftigsten Kürzungen im öffentlichen Sektor gab und wo die Asylsysteme am schlechtesten funktionieren.
Deutschland mitverantwortlich
Deutschland ist als einer der größten Rüstungsexporteure mitverantwortlich für Kriegstote. Die größte Menge an deutschen Rüstungsgütern ging im Jahr 2012 an Saudi Arabien, den wichtigsten Unterstützer für islamistische Kämpfer in Syrien, und die Assad-Regierung hatte Komponenten für ihre Chemiewaffen ebenfalls in Deutschland gekauft.
Innenminister Friedrich argumentiert, dass Wirtschaftszusammenarbeit und Entwicklungshilfe die Flüchtlingsströme nach Europa verringern würden. Diese Argumentation ist grundlegend falsch: Zum Einen sind wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe im Falle der derzeit wichtigsten Herkunftsländer, Syrien und Eritrea, gar nicht möglich, zum Anderen sorgen gerade diese Maßnahmen in vielen Fällen für die Verarmung der Unter- und Mittelschichten.
Entwicklungshilfe ist oft an neoliberale Wirtschaftsreformen geknüpft und schafft Abhängigkeitsverhältnisse, während wirtschaftliche Kooperation nicht der lokalen Bevölkerung sondern den Interessen transnationaler Unternehmen dient. Dies sind Mittel der Ausbeutung, die die Verteilungskonflikte auf lokaler Ebene oft verschärfen und so die Zahl der Flüchtlinge erhöhen. Flüchtlingsströme sind ein Ergebnis wirtschaftlicher Ausbeutung, neoliberaler Strukturprogramme, der Waffenindustrie und von Ressourcenkonflikten.
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