Am 1. März 1997 wurden 5000 Nazis von den Münchnern gestoppt. Claus Schreer, Mitorganisator der antifaschistischen Kundgebung, erinnert sich.
Die NPD wird im Münchener Stadtzentrum marschieren. Diese Nachricht brachte vor zwölf Jahren die Antifaschisten in München auf die Beine. Die Stadt war aus zwei Gründen zum Ziel der Nazis geworden. München war in der Weimarer Republik eine Nazi-Hochburg. Am 8. November 1923 versuchte Hitler mit Anhängern, die Macht in München an sich zu reißen und marschierte zur Feldherrnhalle. Der rechte Putsch, den in Berlin gleichzeitig Offiziere führten, wurde durch einen Generalstreik verhindert. Hitler, vorher unbekannt, wurde durch den Putschversuch berühmt und München galt fortan als »die Hauptstadt der Bewegung«. In diese Tradition will sich die NPD mit ihrem Marsch stellen. Ihre ursprünglich angemeldete Demoroute soll an der Feldherrnhalle vorbeiführen.
Zum anderen hat die CSU in den Monaten zuvor eine Kampagne gegen die Ausstellung »Die Verbrechen der Wehrmacht« in München geführt. Die Ausstellung belegt mit zahlreichen Dokumenten und Fotos, dass die deutsche Armee im Zweiten Weltkrieg, insbesondere in Osteuropa, voll in die Nazi-Mordmaschine integriert war. Die Führung der Armee setzte Hitlers Weisungen vom »Rassenkampf« und »Vernichtungskrieg« mit Massenerschießungen um. Die CSU, allen voran deren Münchner Vorsitzender Gauweiler, hetzt gegen die Ausstellung um rechte CSU-Anhänger zu beeindrucken. Gauweiler verschickt in München 300.000 Briefe, die sich gegen die Ausstellung richten.
Der Leitartikel in der CSU-Zeitung »Bayernkurier« hat die Überschrift: »Wie Deutsche diffamiert werden«. Als die Ausstellung Ende Februar eröffnet wird, legt die CSU gleichzeitig aus Protest einen Kranz am „Grab des unbekannten Soldaten« nieder. Der traurige Höhepunkt der Kampagne ist Gauweilers Forderung, der Initiator der Ausstellung und frühere Tabakkonzernbesitzer Jan Philipp Reemtsma solle sich lieber um die »Opfer des Nikotinkonsums« als um die Verbrechen der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg zu kümmern.
Die Kampagne ist geradezu eine Einladung an die Nazis. Mit der Parole »Gegen die antideutsche Schandaustellung« mobilisiert die NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« nach München. Die Nazis kommen in über 40 Reisebussen und Auto-Konvois aus ganz Deutschland. 5000 Nazis in Anmarsch auf München, die größte Nazi-Mobilisierung seit 1977. Das ist die Lage am Morgen des 1. März.
Der Aufmarsch in München beweist, dass der Staat die Nazis nicht in Griff hat. 1992 und 93, nach den Brandanschlägen in Mölln und von Solingen, verboten das Innenministerium und verschiedene Landesregierungen zehn Neonazi-Gruppen. Die Polizei bildete immer wieder Sonderkommissionen gegen Rechtsradikale. Einige für die Nazi-Szene öffentlichkeitswirksame Aktionen, wie das Gedenken an SS-Führer Heß in Wunsiedel oder das Bekenntnis zur Wehrmacht auf dem Soldatenfriedhof in Halbe, wurden durch teilweise große Polizeieinsätze verhindert, beziehungsweise stark eingeschränkt. Doch dadurch wurden die Rechten nicht gestoppt. Die Nazis sammelten sich nach dem Verbot ihrer Organisationen einfach woanders: im Umfeld der NPD und der JN. Mit der Demonstration in München wollen sie zeigen, dass sie trotz der Verbote stärker geworden sind.
Wir vom Bündnis »München gegen Rassismus« sind entschlossen, das zu verhindern. Wir machen uns daran, ein breites Bündnis gegen den Aufmarsch aufzubauen. Insgesamt holen wir über 70 Organisationen ins Boot, darunter auch die Grünen.
Unsere wichtigste Aussage ist: »Kein Nazi-Aufmarsch in München! Wir werden weder die Diffamierung der Ausstellung noch den Nazi-Aufmarsch hinnehmen.« Dazu machen wir Schilder mit der Aufschrift: »Gegen die schwarz-braune Koalition«. Das richtet sich gegen die CSU, die den Nazis die Stichworte liefert. Uns ist klar: Wenn die Nazis ihre Demonstration durchziehen, wenn sie auf dem Marienplatz, dem zentralen Platz Münchens, ihre Kundgebung abhalten können, haben sie gewonnen. 5000 Nazis, die mit gestärktem Selbstbewusstsein nach Hause fahren. Das ist eine unerträgliche Vorstellung.
Deshalb ist das Bündnis gegen den Aufmarsch von Anfang an darauf ausgerichtet, den Nazi-Aufmarsch zu stoppen, indem wir ihre Demo-Strecke blockieren und den Marienplatz besetzen. Das geht nicht mit ein paar hundert Leuten, vor allem nicht, wenn die Polizei den Platz für die Nazis abriegelt.
Wir sind nicht die einzigen, die an diesem Tag gegen die Nazis mobil machen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und die SPD rufen zu einer Kundgebung auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus auf. Dort spricht SPD-Oberbürgermeister Ude. Im Gegensatz zu uns, rief er nicht dazu auf, sich den Nazis entgegenzustellen. Im Gegenteil. Ude behauptet: »Wer den Zug der Rechtsextremen angreift, verhilft ihnen nur zur gewünschten Resonanz und schädigt das Ansehen der Stadt.« Das würde bedeuten, tausende Nazis ungestört durch München ziehen zu lassen. Das wollen wir nicht – und viele andere Münchener auch nicht.
Viele, viele tausend wollen es nicht bei mahnenden Reden belassen: Von der Demonstration mit 7000 Menschen auf dem Geschwister-Scholl-Platz strömen immer mehr zum Marienplatz. Obwohl Ministerpräsident Stoiber in der »Abendzeitung« gedroht hatte: »Am Samstag langen wir zu«, lassen sich nur wenige Antifaschisten einschüchtern. In kurzer Zeit ist der Platz knallvoll. Die Menschen stehen dicht gedrängt. Der Slogan: »Wir sind die Mehrheit, uns gehört die Stadt«, wird durch die immer größer werdende Menschenmenge belegt. Später muss auch Ude zugeben, dass es eine »breite Mischung« von Münchnerinnen und Münchnern ist, die seine Empfehlung ablehnt und sich der NPD direkt entgegenstellt.
Die Menschen jubeln, als der Marienplatz besetzt ist. Danach wendet sich die Menge der Talstraße zu, aus der die Nazis kommen werden. Als einige beherzte Leute die Straße hinunter stürmen, gibt es kein Halten mehr. Die Menge setzt sich in Bewegung, den Nazis entgegen, die ihren von der Polizei abgeschirmten Marsch auf dem Marienplatz zu Ende bringen wollen.
Nachdem die gesamte Innenstadt mit Menschen überfüllt ist, die der NPD keine freie Bahn lassen wollen, kann die Polizei nicht mehr verhindern, dass die Absperrungen vom Marienplatz zur Talstraße gestürmt werden. Hunderte von Metern vor ihrem Ziel müssen die Nazis stoppen. Wegen der Masse an Gegendemonstranten [15.000 bis 20.000 nehmen am Anti-Nazi-Protest teil. Anm. d. Redaktion] ist an ein Vordringen auf den Marienplatz nicht zu denken.
»Münchner stoppen die Rechten«, lautet am nächsten Tag die Schlagzeile der »Abendzeitung«. Sie ist die größte Zeitung in München.
Die Nazis müssen so überstürzt fliehen, dass sie nicht darauf achten können, wer in welchen Bus muss, und auf einer Autobahnraststätte eine große Umsteigeaktion organisieren müssen. Das war ein guter Tag für den Kampf gegen die Nazis.
Zum Autor:
Claus Schreer lebt in München und war 1997 aktiv im Münchner »Bündnis gegen Rassismus«.