Die Tarifrunde der IG Metall war der erste Testlauf für Gewerkschaftspolitik unter den neuen Bedingungen der Krise. Leider zeigt der Abschluss, dass die Tiefe des wirtschaftlichen Umbruches und des notwendigen Strategiewechsel in der gewerkschaftlichen Führung noch nicht erkannt wurden. Von Michael Bruns und Stefan Bornost.
Die IG Metall ist mit dem Ruf "Es geht um mehr" in der Tarifrunde 2008 für Umverteilung von den Gewinnen zu den Löhnen angetreten. Metall- und Elektroindustrie hat ihre Nettogewinne seit 2005 verdoppelt. Die für 2009 prognostizierten 4,0 bis 6,5 % verteilungsneutraler Spielraum sollten mit einer Forderung von 8 Prozent, der höchsten seit 16 Jahren, ausgenutzt oder übertroffen werden. Viele Kolleginnen und Kollegen waren angesichts der hohen Preise für Energie und Lebensmittel sogar für eine höhere Forderung. Über 550 000 Beschäftigte haben sich an den Warnstreiks der IG Metall beteiligt. Vor und während der Verhandlungen und Warnstreiks eine längere Laufzeit anzubieten und damit Abschläge von der Forderung von 8 Prozent für 12 Monate, war vom IG Metall Vorsitzenden Berthold Huber, ein belastender Angriff auf die Streikmoral und keine harte Verhandlungshaltung. In der Wirtschaftswoche vom 08.11.2008 antwortete Huber auf die Frage: Würden Sie eine längere Laufzeit des Tarifvertrags akzeptieren, wenn die Lohnzahl stimmt? „Ja. Die IG Metall hätte dann kein Problem damit, über 18 oder gar 20 Monate abzuschließen." Wenn die Lohnzahl stimmt, müsste eigentlich heißen, dass eine längere Laufzeit durch einen höheren Abschluss ausgeglichen werden muss. Hier hat Huber den Kolleginnen und Kollegen einen Bärendienst erwiesen.
Testlauf
Die Tarifrunde der IG Metall war der erste Testlauf für Gewerkschaftspolitik unter den neuen Bedingungen der Krise. Leider legt der Abschluss nahe, dass die Tiefe des wirtschaftlichen Umbruches und der notwendigen Strategiewechsel in der gewerkschaftlichen Führung noch nicht realisiert wurden. Das Pilotverhandlungsergebnis von Sindelfingen ist mit 4,2 Prozent für 18 Monate enttäuschend. Presse und Ökonomen loben den Abschluss als einen "Sieg der Vernunft." Metallarbeitgeber-Chef Kannegießer sagt: "Wir haben mit diesem Abschluss bewiesen, dass die Tarifparteien auch in extrem schwieriger Lage handlungsfähig sind. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten fächert sich die Lage der Sparten und Betriebe immer weiter auf. Dem wird der Abschluss gerecht, indem er Betrieben in schwieriger Situation für 2009 die zweite Erhöhungsstufe fast vollständig erspart und sie damit im Jahr 2009 nur etwa halb so stark belastet wie die übrigen Unternehmen. Die Entscheidung darüber wird den Betriebsparteien überlassen."
Öffnungsklausel
Was Kannegießer freut ist das größte Problem des Abschlusses – die Öffnungsklausel, die Betrieben mit wirtschaftlichen Problemen (und das werden immer mehr werden) die Verschiebung der zweiten Stufe der Erhöhung ermöglicht. Das bedeutet praktisch, dass der Abschluss sich in den betroffenen Betrieben nah am Reallohnverlust bewegt. Als "Provokation" und als "völlig unzureichend" wies die IG Metall das erste Verhandlungsangebot von Gesamtmetall in Höhe von 2,1% zurück. Mit der Öffnungsklausel akzeptiert die IG Metall dieses jetzt für viele Betriebe. Noch größer ist aber der ideologische Schaden: In der Tarifrunde hieß es von Seiten Hubers: "Die Metaller sollen nicht für die Krise zahlen" – die Öffnungsklausel, explizit mit der wirtschaftlichen Lage begründet, bedeutet aber genau das. Der Flächentarifvertrag wird im vorauseilenden Gehorsam weiter preisgegeben. Wenn die IG Metall oder andere Gewerkschaften dieser Logik folgen, dann rutschen sie bei einer lang gezogenen Krise auf einer schiefen Ebene nach unten: Den Mitgliedern wird weisgemacht, sie müssten für eine begrenzte Zeit zurückstecken, dann kommt die Wirtschaft wieder aus der Krise und dann kann auch wieder mehr gefordert werden. Die Logik hat zwei Haken: a) Selbst als es den Unternehmen sehr gut ging (2005-2007) hat die IG Metall Reallohnverluste eingefahren und b)Wir stehen nicht vor einer kurzen konjunkturellen Schwächeperiode sondern vor einem lang anhaltenden Abschwung – das Warten auf den Aufschwung kann sehr schnell das Warten auf Godot werden – mit einer Erosion von Löhnen und Flächentarifvertrag.
Realitätsverlust statt Strategiewechsel
Realitätsverlust statt Strategiewechsel also. Ähnliches ist 1929-33 schon mal passiert, als die Antwort der Gewerkschaften auf die Weltwirtschaftkrise Verzicht und Business as usual war. Der ADGB verlor von 1929 auf 1930 ein Drittel seiner Mitglieder, Abbau und Gehaltskürzungen. Die Zahl der Streikaktionen sank von 1929 bis 1931 um ein Drittel, die Zahl der Streikbeteiligten um 75 Prozent. In der Tarifrunde wurde auch ein organisatorisches Problem der IG Metall deutlich – die Überabhängigkeit im Arbeitskampf von so genannten "A-Betrieben" in der Automobil- und Automobilzulieferer-Industrie. Dort fallen zurzeit viele Schichten aus, und Wochen verlängerte Betriebsferien für Weihnachten und Kurzarbeit im neuen Jahr stehen vor der Tür. Deshalb war die IG Metall nicht mehr in der ökonomisch starken Position wie noch ein Jahr zuvor, als die Kapazitäten voll ausgelastet waren. Ein selbst geschaufeltes Loch – in den vergangenen Jahren wurde versäumt, die IG Metall in mehr Betrieben aufzustellen. Diese Debatte, Stichwort Organizing, fängt in der Organisation gerade an. Dazu wurde versäumt alternative Wege zu entwickelt, neben der betrieblichen auch gesellschaftliche Gegenmacht zu entwickeln (Autobahnblockaden, Demonstrationen), um die Unternehmer unter Druck zu setzen. Aus oben genannten Gründen ist der Abschluss abzulehnen.
Zu den Autoren:
Michael Bruns ist Betriebsrat und Mitglied der IG Metall. Stefan Bornost ist leitender Redakteur des Magazins marx21.
Mehr auf marx21.de:
- Schwerpunkt: "Gewerkschaften im Klassenkampf – Antworten auf das Ende der Sozialpartnerschaft" (marx21, Heft 4, Februar 2008)
- Debatte: "Gewerkschaften in der Weltwirtschaftskrise: Weiter so – oder Krise als Chance?" (Diskussionspapier von mehreren ver.di-Gewerkschaftern) / "Gewerkschaften und die Krise des Neoliberalismus" (Antwort von Ralf Krämer, Sekretär beim ver.di-Bundesvorstand)