Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen gewinnt das linke Wahlbündnis von Jean-Luc Mélenchon immer mehr an Unterstützung. Von Dave Sewell
Die Straßen der südfranzösischen Stadt Toulouse waren am 5. April nur so gespickt mit roten Fahnen und Bannern. 70.000 Menschen waren unterwegs, um Jean-Luc Mélenchon zuzuhören, dem Vertreter der radikalen Linken, der die Präsidentschaftswahlen aus dem Tritt gebracht hat.
Mélenchon verspricht einen »Volksaufstand« und Kampagnen, um Kürzungen zurückzunehmen und Arbeiterrechte zu stärken. Er will eine Reichensteuer von 100 Prozent.
François Hollande, Kandidat der sozialdemokratischen Parti socialiste (PS), reist seinerseits nach London, um der Börsenwelt die Botschaft zu überbringen: »Ich bin nicht gefährlich.« Mélenchon dagegen brüstet sich: »Ich bin gefährlich.«
Gegen die EU-Verfassung
Jean-Luc Mélenchon war Minister in der letzten sozialdemokratischen Regierung von 2002. Seine Kampagne für ein »Nein« gegen die europäische Verfassung führte ihn aber in eine engere Kooperation mit Kräften auf der Linken.
Der Erfolg der Linken in Deutschland brachte ihn schließlich dazu, sich von den Sozialisten zu trennen und zusammen mit Kommunisten und anderen eine neue Partei links von der Sozialdemokratie zu gründen.
Vakuum auf der Linken
Der kometenhafte Aufstieg von Mélenchons linker Front de Gauche, der die Kommunistische Partei und andere linke Gruppierungen angehören, hat Kommentatoren aller Richtungen überrascht. Der sozialdemokratische Kandidat Hollande gilt nach wie vor als Wahlfavorit. Aber die allmähliche Rechtsdrift der Parti Socialiste hat ein Vakuum geschaffen, das ein echte Oppositionsbewegung nun füllen kann. Die Front de Gauche hat die faschistische Front National (FN) mittlerweile vom dritten Platz verdrängt.
Die radikale Linke hingegen war nicht in der Lage, von dieser Entwicklung zu profitieren. Das ist der internen Krise der Neuen Antikapitalistischen Partei NPA einerseits und dem niedrigen Stand der Arbeiterkämpfe seit der Niederlage der Rentenstreiks andererseits geschuldet.
Sarkozy gegen den Islam
Der derzeitige konservative Präsident Nicolas Sarkozy rief unterdessen die FN-Anhänger dazu auf, für ihn zu stimmen, um das Risiko einer Zersplitterung des rechten Lagers zu vermeiden. Er habe zwar »Verständnis« für deren Not, aber »eine Stimmabgabe zugunsten der Front National wird nur Hollande helfen«.
Sarkozy bedient sich immer unverblümter offener rassistischer Rhetorik gegen den Islam und gegen Einwanderung, in der Hoffnung, damit seinen Stern am Sinken zu hindern.
Präsident der Reichen
Sarkozys Vorgehen gegen die Rentenstreiks im Jahr 2010 hat ihn stark beschädigt. Und er hat dazu noch seinen ganz persönlichen Lobby-Skandal, seitdem ihm illegale Spenden der Milliardärin Liliane Bettencourt vorgeworfen werden.
Mit seiner »Rettung« der Wäschefabrik Lejaby vor der drohenden Schließung im März wollte er seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen, aber es gelang ihm damit lediglich, sein Image als Präsidenten der Reichen zu festigen. Denn der neue Fabrikbesitzer war kein anderer als Bernard Arnault, der reichste Mann ganz Frankreichs und persönlicher Freund Sarkozys.
Das Establishment erschüttert
Vor diesem Hintergrund ist der Erfolg der Front de Gauche zu verstehen. Mélenchon hat eine Beteiligung an einer von der Sozialistischen Partei angeführten Regierungskoalition ausgeschlossen, weil er nicht in die Lage geraten will, für Hollandes Kürzungsbudget stimmen zu müssen.
Aber er ist offen für eine Kooperation mit den Sozialisten bei den dann anstehenden Parlamentswahlen – ein gefährlicher Weg, auf den manche in der PS ihn gern führen würden. Mélenchons Anhänger haben das politische Establishment Frankreichs erschüttert und vor allem die Idee begraben, alle würden die Austeritätspolitik einfach hinnehmen.
(Zuerst erschienen in der britische Wochenzeitung Socialist Worker. Aus dem Englischen von David Paenson)
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