Zehn Jahre nach dem ersten Europäischen Sozialforum trafen sich im italienischen Florenz erneut tausende Aktivisten, um über europaweiten Widerstand gegen Sozialabbau zu beraten. Corinna Genschel war dabei
Mehr als 4.000 Aktivistinnen und Aktivisten aus Europa und dem Mittelmeerraum aus insgesamt 28 Ländern trafen sich vom 8. bis 11. November im italienischen Florenz. Sie berieten über die dringend notwendige Europäisierung der Proteste und des Widerstands, um gemeinsam Strategien gegen Sparmaßnahmen, gegen jedwede neue Pläne für eine neoliberale Fiskal- und Wirtschaftsunion, anzugehen.
»Firenze 10 + 10« fand zehn Jahre nach dem ersten europäischen Sozialforum in Florenz statt, in einer völlig anderen historischen Situation. Europaweit erleben wir derzeit einen historischen Angriff auf soziale Rechte und die Demokratie.
EU macht arm
Die südeuropäischen Sozialstaaten und Volkswirtschaften sind so weit zerstört, dass Armut, Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und gesellschaftliche Erosion wieder zum europäischen Alltag gehören. Gleichermaßen findet eine Umverteilung von unten nach oben, von armen zu reichen Ländern in einem Ausmaß statt, das eine Neustrukturierung des Kapitalismus vermuten lässt.
Die Krisenpolitik von EU, Troika und Bundesregierung zielt darauf ab, diese Attacke gegen die Menschen europaweit in Form des Fiskalpaktes zu verstetigen. Und trotz der Massenproteste, der Bildung neuer Bündnisse und politischer Akteure wie in Griechenland sowie des Entstehens neuer Solidaritätsnetzwerke: Sparhaushalte werden weiter durchgepeitscht, gewählte Regierungen unter Druck gesetzt oder notfalls auch abgesetzt, Proteste gewaltsam niedergeschlagen.
Gemeinsame Perspektive entsteht
Bisher fehlen gemeinsame Antworten, das Versprechen auf eine vielfältige, aber schlagkräftige europäische Gegenmacht, die Kämpfe in Spanien, Portugal und Griechenland wirkungsvoll unterstützen könnte. Die Kämpfe gegen die Angriffe, für den Erhalt sozialer und demokratischer Rechte, sind notwendig ungleichzeitig: zwischen Nord und Süd, zwischen Armen und noch Erwerbstätigen, zwischen nationalen und internationalen Bewegungen.
Dennoch: schon eine Woche zuvor hatten sich hunderte Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen Ländern auf Einladung der spanischen M15-Bewegung in Madrid als »Agora99« zusammengefunden. »Wir sind die Zukunft«, so war das Motto in Madrid. Denn wir sind diejenigen, die den neuen Prozess von unten ausmachen: durch zentrale europäische Aktionen gegen den gemeinsamen Gegner, durch Versammlungen und verschiedene Formen von Widerstand.
Wille zur Einheit der Vielen
Florenz und Madrid zeigen deutlich das Bedürfnis, den Willen und die Einsicht, dass wir nur gemeinsam weiterkommen, dass wir eine europäische Widerstandsantwort von unten auf die autoritären und anti-sozialen Maßnahmen und Vorhaben der Herrschenden finden müssen. Unsere Antworten, auch das wurde deutlich, bedeuten die Erneuerung der Demokratie: Occupy Democracy, Take the Square, Wir sind die Zukunft.
Wir können dankbar sein für die Initiative der italienischen Genossinnen und Genossen, das Treffen in Florenz trotz des Niedergangs des europäischen Sozialforumsprozesses auszurichten. Die neue Situation erfordert alles zu probieren, was die gemeinsame Diskussion und das Aushalten von Widersprüchen fördert und dadurch das Gemeinsame möglich macht.
Widersprüche aushalten
Konflikte gab es selbstverständlich viele: Wer ist der Adressat unserer Politik? Richte ich mich an Institutionen wie das Europaparlament, um Forderungen durchzusetzen, oder nehme ich selbstverständlich den Platz ein? Wie können gemeinsame europäische Standards und Forderungen aussehen? Wo liegen kurzfristige Anforderungen und was sind langfristige Strategien?
Am Ende wird sicher nicht das eine Projekt stehen. Madrid und Florenz machen auch deutlich, dass die verschiedenen Perspektiven notwendig sind. Wir brauchen die unterschiedlichen Akteure und wir brauchen noch viel mehr. Wichtig sind Vernetzung und gemeinsame Verständigung, wichtiger noch die gemeinsame Praxis auf der Straße, wenn wir für unsere Rechte eintreten, uns unser Recht nehmen.
Gemeinsame Mobilisierungen
Am Ende des Treffens in Florenz stand deswegen auch ein gemeinsamer Mobilisierungsfahrplan bis Sommer 2013 mit drei zentralen Mobilisierungen:
- die Unterstützung des (süd) europäischen Generalstreik vom 14. November
- eine europaweite Mobilisierung zum EU-Frühlingsgipfel im März in Brüssel
- sowie zu einem großen Alternativengipfel (Altersummit) Anfang Juni in Athen.
Wichtige Forderungen in Florenz waren unter anderem der Stopp der Austeritätspolitik, die Streichung illegitimer Schulden, eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten wie auch ein die demokratische »Neugründung Europas« (Refounding Europe). Daran muss weiter gearbeitet werden, die Forderungen müssen mit Substanz und Inhalt gefüllt werden. Vielleicht bietet der Gipfel der Alternativen (Altersummit) in Athen als genau dieser Ort.
Vorher aber werden wir die Straßen von Brüssel füllen mit unserem Widerstandsgeist gegen den gemeinsamen Gegner. Danach wird es weitere Möglichkeiten des praktischen Zusammenkommens geben – ob bei Blockupy 2.0. in Frankfurt Ende Mai, in den nächsten Solidaritätsaktionen oder an ganz anderen Orten: Let's take the square, let's fight for our rights.
Zur Person:
Corinna Genschel arbeitet für die Kontaktstelle soziale Bewegungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und ist aktiv im Koordinierungskreis von Blockupy Frankfurt.
Mehr im Internet:
Mehr auf marx21.de:
- Europa streikt gegen EU: In Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern, Malta und Italien streiken Millionen. Gegen Kürzungen ihrer Löhne und Renten, gegen Sozialabbau und neue Sparpakete. In anderen Ländern gibt es Solidaritätsaktionen – auch in Deutschland. marx21.de bringt Meldungen von verschiedenen Schauplätzen