Die Stuttgarter Erzieherin Sybille Frehr beteiligt sich an den Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Warum streiken nicht altmodisch ist und die Stuttgarter Streikversammlungen wichtig sind, erläutert sie im marx21-Gespräch
Die Warnstreiks im öffentlichen Dienst laufen seit drei Wochen. Wie viele Kolleginnen machen in Stuttgart mit?
Bei uns läuft es gut. Am 26. März haben in Stuttgart 8000 Beschäftigte gestreikt. Die Stimmung ist optimistisch.
Wenn Erzieherinnen streiken, bleiben die Kitas geschlossen. Wie reagieren die Eltern darauf?
Wir haben in den letzten Jahren den Eltern in vielen Gesprächen unsere Situation erklärt. Die meisten haben Verständnis, zumindest so lange es einzelne Streiktage sind. Das ist aber auch stark abhängig vom Verhältnis zwischen Erzieherinnen und Eltern und deren persönlicher und beruflicher Situation.
Laut Arbeitgeberverband würde der Sockelbetrag von 100 Euro für manche Beschäftigte eine Erhöhung um 10 Prozent bedeuten. Ist das nicht zu viel verlangt?
Wenn 100 Euro 10 Prozent mehr sind, dann verdienen diese Kolleginnen für Vollzeitarbeit 1000 Euro brutto pro Monat. Sind denn 1100 Euro brutto wirklich zu viel?
Außerdem muss man bedenken, dass von den 100 Euro nur 50 Euro netto übrigbleiben. Das ist nicht mehr als ein Wocheneinkauf.
Angeblich würden die Forderungen von ver.di bundesweit 6 Milliarden Euro Mehrausgaben bedeuten. Woher sollen die verschuldeten Kommunen dieses Geld nehmen?
Wenn es um die Beschäftigten geht, ist nie Geld da und es muss immer gespart werden. Aber wenn Banken hunderte Milliarden Euro brauchen, ist das kein Problem.
Wir sollen immer verzichten und »Verständnis« haben. Aber mein »Verständnis« zahlt mir keine Miete und bringt kein Essen auf den Tisch.
Trotzdem muss das Geld irgendwo her kommen.
Sicher. Man könnte zum Beispiel aufhören, Geld im Stuttgarter Sand zu vergraben. Stuttgart 21 kostet jetzt offiziell 6,5 Milliarden Euro und der Preis wird sicher noch steigen. Ist es denn vorstellbar, dass die hundertprozentige Erfüllung der ver.di-Forderung bundesweit weniger kosten würde, als der Bau eines einzigen Bahnhofs?
Sind die Warnstreiks wirklich notwendig, um etwas zu erreichen oder sind sie nur ein altmodisches Ritual?
Streiks beziehen die Öffentlichkeit ein und zeigen den Verhandlungsführern auf beiden Seiten, dass die Beschäftigten tatsächlich hinter ihren Forderungen stehen. In den letzten Tarifrunden hat der Bürgermeister nach einigen Streiktagen plötzlich »erkannt«, dass die Forderungen doch nicht unverhandelbar sind. Streiken hilft auf jeden Fall.
Die Warnstreiks sind an jedem Tag in anderen Bundesländern und jeweils einen Tag? Wären bundesweite längere Streiks besser?
Vielleicht später. Aber wie der Name schon sagt, sind Warnstreiks eine Warnung. Sie sind die erste Stufe auf der Eskalationsleiter. Was wir diskutieren sollten, ist, ob wir weitere Stufen nach oben gehen, aber die erste Stufe muss meiner Meinung nach so aussehen wie jetzt.
Laut Verhandlungsführern gab es eine Annäherung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft? Erfahrt ihr, worin diese Annäherung besteht?
In Stuttgart findet an jedem Streiktag eine Versammlung der Streikenden statt. Dort wird vom Verhandlungsstand berichtet und die Beschäftigten können auch ihre Meinung sagen oder die Stimmung in ihrer Einrichtung schildern.
Für so was ist es zum Beispiel auch wichtig, dass mehrere Mikrophone aufgestellt sind, damit sich auch Leute trauen, etwas zu sagen. Dadurch kann sich jeder äußern und jeder bekommt die wichtigen Informationen.
Vor zwei Jahren wurde in ver.di heftig diskutiert, ob ein bundesweiter Erzwingungsstreik möglich ist. Wie sieht es diesmal aus?
Die Diskussion gab es vor zwei Jahren und auch schon davor in der Tarifrunde 2009. Schon damals hätten die Beschäftigten in Stuttgart gerne weiter gestreikt, um ein noch besseres Ergebnis zu erzielen.
Bei uns wäre das auch diesmal möglich, falls die Verhandlungen kein zufriedenstellendes Ergebnis liefern. Aber es ist natürlich wichtig, dass wir bundesweit streikfähig sind.
Was hältst du vom Tarifabschluss?
Mindestens 90 Euro mehr sind ok. Aber nächstes Jahr nur 2,4 Prozent Lohnerhöhung werde ich im Geldbeutel kaum spüren.
Sybille Frehr arbeitet seit neun Jahren in einer städtischen Kita in Stuttgart.
Mehr Veranstaltungen und Debatten gibt es auf dem MARX IS MUSS Kongress – jetzt anmelden!
Foto: Uwe Hiksch
Schlagwörter: Gewerkschaft, Inland