Die Regierungen Spaniens und Großbritanniens streiten um Gibraltar. Besonders die spanische Seite will damit von ihrer Verantwortung für Korruption und Kürzungen ablenken, meint Miguel Sanz Alcántara
Die spanische Regierung befindet sich seit dem Korruptionsskandal rund um ihren ehemaligen Schatzmeister José Luis Bárcenas stark unter Druck. Die Mehrheit der Vorsitzenden der spanischen Volkspartei (PP) der letzten zwanzig Jahre erscheint in der geheimen Buchführung Bárcenas‘ als Empfänger von Schwarzgeld. Diese enthüllt auch, dass die PP ihren Apparat durch illegale Gelder finanziert hat, die sie von verschiedenen Unternehmen im Gegenzug für Gefallen erhalten hat.
Es ist ein schwerwiegender und nicht nur für die PP problematischer Skandal. Sondern auch für das spanische Unternehmertum und die Troika, die darauf warten, dass die Regierung ihren Sozialkahlschlag und Arbeitsrechtabbau fortsetzt. Die Popularität der Regierung auf Grund der Korruption könnte nicht niedriger sein. Der fehlende Rückhalt der Bevölkerung – und das obwohl sie die absolute Mehrheit im Parlament besitzt – zwingt sie sich jede neue Kürzungsmaßnahme genau zu überlegen.
Troika will mehr Kürzungen
Die spanische Wirtschaft befindet sich im vierten Jahr hintereinander in der Krise. Das BIP wird 2013 um zwischen 1,3 und 1,6 Prozent schrumpfen. Das aktuelle Haushaltsdefizit beläuft sich auf etwa sieben Prozent. Der Internationale Währungsfond (IWF) hat die prognostizierte Aussicht auf eine Erholung der spanischen Wirtschaft sowie die Reduzierung des Haushaltsdefizits unter drei Prozent auf 2018 verschoben.
Das einzige Gegenmittel, was Europäische Union und IWF (enthusiastisch unterstützt vom spanischen Arbeitgeberverband) verschreiben, sind noch mehr Haushaltskürzungen und die Zerstörung aller in den Siebzigern zum Ende der Diktatur gewonnenen arbeitsrechtlichen Errungenschaften der spanischen Arbeiterklasse. In der letzten Kürzungswelle hat die Regierung die Höhe von Abfindungen bei Entlassungen drastisch verringert und hat den Unternehmenschefs die Möglichkeit gegeben tausende von Haustarifverträgen zu annullieren.
Politische Schwäche der Regierung
Sechs Millionen Personen sind arbeitslos (um die 27 Prozent). Dies nutzen die Mitglieder der Europäischen Kommission als Ausrede, um eine allgemeine Absenkung der Gehälter um zehn Prozent zu fordern. Obwohl Spanien das einzige OECD-Land ist, in dem die Reallöhne in den letzten zwanzig Jahren gesunken sind.
Die Regierung bereitet bereits eine erneute Überprüfung, sprich Verschärfung, der letzten Arbeitsmarktreform im Herbst vor. Allerdings könnte ihre politische Schwäche dazu führen, dass sich noch größerer Widerstand als in 2012 regt, wo es bereits zwei Generalstreiks gab.
Gibraltar als Ablenkung
Nachdem die Bewegung des 15M im letzten Monat zahlreiche Anti-Korruptionskundgebungen vor den Büros der PP organisiert hat erscheint der medial aufgebauschte Konflikt mit der Cameron-Regierung über willkürliche spanische Grenzkontrollen vor dem britischen Gibraltar als Versuch der konservativen Medienlandschaft von dem Korruptionsskandal abzulenken. Denn dieser facht die Wut der Öffentlichkeit gegen die PP immer weiter an und erschwert somit die Durchsetzung weiterer Sozialkürzungen.
Die konservativen Medien zeichnen das Bild einer gegen die Briten unbeugsamen Regierung, die unbeirrbar die spanische Souveränität verteidigt. Dies steht im starken Kontrast mit der Wirklichkeit, in der die Regierung ohne Probleme die Vormundschaft durch IWF und Brüssel akzeptiert.
Nationalistische Taktik
Das Ablenkungsmanöver Gibraltar hat hohe Kosten für die etwa 10.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus der Provinz Cádiz (Südspanien), die täglich die Grenze nach Gibraltar zum Arbeiten überqueren. Abgesehen, dass sie Stunden im Stau stehen, wirken sich die Kontrollen negativ auf die Wirtschaft einer Provinz aus, in der vierzig Prozent Arbeitslosigkeit herrscht.
Regierungen versuchen oft die mediale Aufmerksamkeit auf Angelegenheiten zu lenken, wo sie stark wirken. Besonders wenn sie zuhause schwerwiegendem Legitimitätsverlust ausgesetzt sind, wie im Augenblick die spanische Regierung. Nationalistische Gefühle gegen einen äußeren Feind zu schüren ist eine geläufige Taktik. In Spanien ist dies momentan ein unnützer Versuch, denn kein Ablenkungsmanöver ist groß genug, um den Ansehensverlust der politischen Institutionen Spaniens zu verdecken.
(Aus dem Spanischen von Rabea Hoffmann)
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