Angesichts der Finanzkrise fordern jetzt neoliberale Banker staatliche Eingriffe – um die noch unermesslichen Verluste auf die gesamte Bevölkerung abzuwälzen. Risiken und Nebenwirkungen des Finanzmarktkapitalismus analysiert Jürgen Ehlers.
Späte Einsicht: Führende Banker aus aller Welt bezweifeln angesichts der Finanzkrise die Selbstheilungskraft der Finanzmärkte. Die Versorgung mit Liquidität reiche als Maßnahme nicht aus, kommentierte Deutsche-Bank-Chef Ackermann die Geldspritzen der Notenbanken. Die Regierungen müssten Einfluss nehmen auf die Märkte.
Der Vizechef des Internationalen Währungsfonds (IWF), John Lipsky, forderte Politiker weltweit auf, »das Undenkbare zu denken«. »Entschiedene politische Maßnahmen sind nötig, um das globale Finanzsystem und die Wirtschaft auf ein stärkeres Fundament zu stellen«, sagte der IWF-Mann in Washington.
In Deutschland wurden binnen kürzester Zeit gleich mehrmals von verschiedenen Landesregierungen und vom Bundesfinanzminister gigantische Geldsummen bereitgestellt, um Landesbanken und die IKB, an der der Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu 43 Prozent beteiligt ist, vor der drohenden Pleite zu retten.
Die meisten Steuergelder mit über sieben Milliarden Euro verschlang bisher die vorläufige Rettung der IKB, gefolgt von fünf Milliarden für die West LB, fast drei Milliarden für die Sachsen LB und knapp zwei Milliarden für die Bayern LB. Ob diese Hilfen letztendlich ausreichen, weiß gegenwärtig niemand genau.
Bekannte Risiken
Öffentliche wie private Banken im Ausland und in Deutschland hatten sich seit Jahren in den USA am Geschäft mit Krediten zum Kauf von Immobilien beteiligt, die seit einiger Zeit von sehr vielen Schuldnern nicht mehr bedient werden können, weil sie nicht mit steigenden Kreditzinsen gerechnet haben, arbeitslos geworden sind oder sich mit dem geliehenen Geld auf Immobiliengeschäfte eingelassen haben, die nicht den erhofften Gewinn gebracht haben.
Alle, die an diesen geplatzten Krediten verdienen wollten, haben von Anfang an gewusst, dass dieses Geschäft höchst riskant ist. Seit vielen Jahren ist in den Wirtschaftsteilen aller Tageszeitungen zu lesen gewesen, dass viele amerikanische Haushalte überschuldet sind und dass früher oder später das böse Erwachen kommen würde.
Die Krise in den USA ist inzwischen längst nicht mehr auf den Immobiliensektor beschränkt, auch Autokredite und andere können von den Käufern nicht mehr bedient werden, die Kreditkartenschulden der Konsumenten belaufen sich auf über 900 Milliarden Dollar. Dazu kommen die Belastungen aus dem Kauf von Immobilien in Höhe von insgesamt 500 Milliarden Dollar, die nicht nur in diesem, sondern auch im nächsten Jahr deutlich steigen werden.
Namhafte Privatbanken, wie die Schweizer UBS und die größten Banken der USA, darunter die Citigroup, Merrill Lynch und die Bank of America mussten riesige Wertberichtigungen in ihren Bilanzen vornehmen. Allein die amerikanische Investmentbank Merrill Lynch hat bis heute 11,5 Milliarden Dollar abgeschrieben und 8,6 Milliarden Dollar Verlust ausgewiesen.
Verheerende Folgen
Die UBS geht davon aus, dass insgesamt bis zu 1.000 Milliarden US-Dollar von den nordamerikanischen Banken abgeschrieben werden müssen. Tritt diese Befürchtung tatsächlich ein, dann hat das nicht nur für die Konjunktur in den USA verheerende Folgen.
»Dann wäre ein Großteil des Eigenkapitals der US-Banken ausgelöscht. In diesem Fall könnten auch ausländische Staatsfonds nicht mehr helfen, und der Steuerzahler müsste einspringen. Es ist nicht auszuschließen, dass weite Teile des amerikanischen Bankensystems verstaatlicht werden müssten, um die Bilanzen zu reparieren,« witterte Die Zeit Anfang März.
Da gegenwärtig niemand das ganze Ausmaß der Krise abschätzen kann, ist das Misstrauen der Banken nicht nur gegenüber den Kunden gewachsen, die nach Krediten fragen, sondern auch das Misstrauen der Banken untereinander ist sehr groß. Das bedeutet, dass Unternehmen, die Kredite für Investitionen benötigen, diese nicht oder nur zu schlechteren Bedingungen erhalten und damit in erhebliche Probleme geraten können, was dann auch den Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge haben kann.
Das Misstrauen der Banken hat schon jetzt dazu geführt, dass sich alle größeren Notenbanken gezwungen sahen, dreistellige Milliardenbeträge in Dollar und Euro dem Geldmarkt zusätzlich zur Verfügung zu stellen, um sein Austrocknen zu verhindern. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung glaubte am 12. März nach der letzten Finanzspritze der amerikanischen Notenbank in Höhe von 200 Milliarden Dollar sogar einen Stoßseufzer der Erleichterung an den Finanzmärkten vernommen zu haben
Keine Entwarnung
Am Ende kam die FAZ aber doch zu dem Schluss: „Für eine Entwarnung ist es zu früh.“ Nur wenn der drohende Konjunktureinbruch in den USA verhindert werden kann, besteht in ihren Augen eine Chance, dass die neuen Profite ihren Teil dazu beitragen, dass die Zahlungsunfähigkeit der Banken ausbleibt.
Eine weit verbreitete Ansicht besagt, dass es sich bei den für dieses Desaster Verantwortlichen ausschließlich um Nieten in Nadelstreifen handelt. Diese Annahme führt dann zu dem Schluss, dass bessere Manager oder Banker diese und andere Krisen vermieden hätten.
Die eine oder andere Niete mag dabei sein, aber die Banker haben zunächst einmal nachvollziehbare Überlegungen angestellt, um die eigene Gier und die ihrer Kunden nach hohen Profiten zu befriedigen. Die Verschuldung der US-amerikanischen Privathaushalte ist in den letzten Jahren die wesentliche Voraussetzung für die florierende Binnennachfrage in den USA gewesen.
Die schuldenfinanzierte Binnennachfrage war neben den hohen Rüstungsausgaben des Staates und der daraus resultierenden Nachfrage die entscheidende Stütze für eine über lange Jahre florierende Konjunktur. Die US-Notenbank sorgte für billiges Geld, indem sie den Leitzins auf einen historischen Tiefstand absenkte. Eine Finanzpolitik, mit der es gelang, den Konjunktureinbruch, der Ende der 1990er einsetzte und 2001 seinen Tiefpunkt erreichte, zu überwinden.
Hohe Nebenwirkungen
Viele Banken in den USA und im Ausland haben darauf gesetzt, dass der Staat auch weiterhin seine schützende Hand über den niedrigen Zinsen halten würde und haben dabei übersehen, dass die Geldpolitik nicht allein vom Wunsch eines amerikanischen Präsidenten abhängt, die Binnennachfrage anzukurbeln. Eine hohe Dosis billigen Geldes birgt Risiken und hat Nebenwirkungen, in erster Linie die wachsende Gefahr einer hohen Inflationsrate, die jetzt bei 4,3 Prozent liegt. Eine weitere Nebenwirkung ist die Spekulationsblase auf dem Immobiliensektor gewesen, die jetzt mit einem lauten Knall geplatzt ist.
Die Massenmedien stellen die durch massive staatliche Intervention bisher abgewendete Bankenkrise in Deutschland vor allem als Krise der öffentlichen Banken dar. Als ob sich ausschließlich Landesbanken wie die West LB oder Sachsen LB verspekuliert hätten. Dabei stellte die Hypo Real Estate, eine Immobilienbank aus München, erst im Januar diesen Jahres einen traurigen Rekord auf, ihre Aktie verlor binnen eines Tages ein Drittel ihres Wertes.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es die Deutsche Bank gewesen ist, die der IKB Anlagen, denen faule Kredite beigemischt waren, verkauft hat. In Teilen der deutschen Presse wurde Anfang März erneut das alte Gerücht gehandelt, dass dieser Handel zu einem Zeitpunkt vollzogen worden ist, als die Deutsche Bank bereits mit einem Wertverlust der Papiere rechnete.
Auf diesem Weg hätte die Deutsche Bank zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen hätte sie viel Geld verdient und zum anderen die Diskussion um die Neugestaltung des Bankenwesens in Deutschland neu entfacht.
Sündenböcke gesucht
Es ist ein Sündenbock ausgemacht worden: Das sind die Vertreter der Landesregierungen und des Bundesfinanzministeriums, die in den Aufsichtsräten der Landesbanken und der IKB sitzen und dort die riskanten Geschäfte abgenickt haben.
Ihnen wird vorgeworfen, dass sie über zuwenig Sachkenntnis verfügen und sich leichtfertig zu verantwortungslosem Handeln hinreißen lassen, weil die von ihnen zu verantwortenden Verluste in jedem Fall durch Steuergelder gedeckt sind.
Die nahe liegende Forderung nach einer wirksamen politischen Kontrolle durch die Öffentlichkeit wird aber in diesem Zusammenhang nur von wenigen erhoben. Statt dessen wird der Schluss gezogen, dass ein Konzentrationsprozess bei den Landesbanken vonnöten sei.
Dieser ist bereits in vollem Gange und an seinem Ende sollen noch maximal drei Landesbanken stehen. Ein Konzentrationsprozess hat aber nichts mit verbesserter politischer Kontrolle zu tun, zumal der Einfluss von privaten Banken in diesem Prozess, wenn es nach den Vorstellungen der CDU geht, zunehmen soll.
Ziel: Sparkasse
Die privaten Banken reiben sich seit vielen Jahren daran, dass es ein dichtes Netz von kommunalen Sparkassen gibt, die ihnen mit ihren vielen Filialen in Städten und Gemeinden Konkurrenz im Kampf um Kunden machen. Die Landesbanken spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, weil sie für die Sparkassen in den Kommunen bestimmte zentrale Dienstleistungen erbringen.
Dazu gehört beispielsweise die Verwaltung der Liquiditätsreserven. Die Sparkassen sind in den jeweiligen Bundesländern in einem Verband organisiert, der zwischen 10 Prozent der Anteile in Berlin und 85 Prozent der Anteile in Hessen an den dortigen Landesbanken hält. Im Durchschnitt besitzen die Sparkassen rund die Hälfte der Anteile und können so die Geschäftspolitik der Landesbanken maßgeblich beeinflussen.
Gerät eine Landesbank in Existenznot, so wie die West LB, dann sind die Sparkassen aber ebenfalls hart betroffen. Bis Ende Februar diesen Jahres hat das die kommunalen Institute in Nordrhein-Westfalen rund eine Milliarde Euro gekostet. Sehr viel Geld, das an anderer Stelle in den Kommunen sinnvoll hätte eingesetzt werden können, um etwa die Kinderbetreuung quantitativ und qualitativ zu verbessern.
Auf Druck der privaten Banken hat die Europäische Union im Jahr 2005 verboten, dass die Geschäfte der Landesbanken durch die Landesregierungen über Steuergelder abgesichert werden, weil ihnen das Wettbewerbsvorteile verschafft hat. Wettbewerbsvorteile, die nicht zu Spekulationsgeschäften führen müssen, wenn sie mit dem politischen Willen verbunden sind, Aufgaben zu finanzieren, die sonst nur schwer zu bezahlen wären, weil die Zinsen für Kredite, die von den privaten Banken verlangt werden, höher sind.
Zum Autor:
Jürgen Ehlers ist aktives Mitglied der LINKEN in Frankfurt am Main. Er ist Archtitekt und Wohnungsmarktexperte.
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