Offiziell hat die US-Regierung ihren Krieg gegen den Irak beendet. Doch ein Neuanfang für die Menschen im Irak ist in weiter Ferne. Sami Ramadani zeigt, dass der »Wiederaufbau« eine Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln ist.
Der jüngste Bericht von Amnesty International über den Irak trägt eine passende Überschrift: »Neue Ordnung, selbe Missstände: ungesetzliche Internierung und Folter im Irak«. Obwohl der Bericht von Amnesty keinesfalls einen umfassenden Katalog von Menschenrechtsverletzungen darstellt, wirft er doch ein Licht auf die schreckliche Behandlung zehntausender von Menschen, die zu Unrecht von den Besatzern und den irakischen Regimekräften interniert wurden. Kein Zweifel, dieser Bericht hätte sehr viel mehr Aufmerksamkeit erfahren, wenn es sich um Nordkorea, den Iran oder China handeln würde.
Das Wort »Fortschritt« wird von US-amerikanischen und britischen Politikern und von den Medien heute gerne verwendet, wenn es um die Beschreibung der Entwicklungen im Irak geht. Präsident Barack Obama erklärte sogar hochtrabend: »Wie jede andere souveräne, unabhängige Nation kann der Irak seinen Weg selbst bestimmen.« Sein Vorgänger, George W. Bush, wurde häufig als linkischer Depp dargestellt, dem sein Vizepräsident Dick Cheney diktierte, was er zu tun hatte. Nun, der sehr sprachgewandte, höfliche und höchst intelligente Obama greift jetzt auf dieselben Lügen zurück, während der Irak immer tiefer im Sumpf der Unterdrückung, Korruption und Instabilität versinkt.
Die Methoden der Repression würden Saddam alle Ehre machen, das Niveau der Staatsbestechlichkeit übertrifft das der korruptesten Staaten der Welt, und die Instabilität reicht zunehmend an somalische Zustände heran. Der Bericht von Amnesty International und die kürzlich veröffentlichte Stellungnahme von Human Rights Watch über geheime Anweisungen des Regimes, Proteste zu verbieten und niederzuschlagen, gehen nicht auf die tödlichsten und einschüchterndsten Mittel der Unterdrückung ein: den zunehmenden Einsatz der US-amerikanischen Luftwaffe, Bombardierungsflüge mit Drohnen und militärische Überfälle durch US-Kräfte oder irakische Streitkräfte, ausgebildet und geführt von den USA. Nur wenige Tage nachdem Obama im September den Abzug weiterer US-Truppen verkündet hatte, töteten US-amerikanische und irakische Truppen etliche Menschen bei Überfällen auf Diala, Falludscha und Diwania im Süden.
Die Menschen im Irak leiden unter der Besatzung, Unterdrückung, Staatskorruption, unter Arbeitslosigkeit, mangelnder Grundversorgung und außerordentlich harten Lebensbedingungen, die sie jeden Tag vor neue Schwierigkeiten stellen. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Nicht nur, dass sich weiterhin 50.000 US-Soldaten und über 400 Militärstützpunkte und Militärposten im Irak befinden, sondern es tummeln sich dort auch zehntausende ausländischer Söldner im Auftrag des Pentagons, des Außenministeriums und des irakischen Regimes. Das liegt ganz im Trend der Privatisierung der bewaffneten Streitkräfte als Mittel, Gelder in die Kassen der Kriegskaufleute zu spülen und der allgemeinen Kriegsablehnung in der Bevölkerung zu begegnen, indem die Zahl toter US-Soldaten verringert und die Besatzung verschleiert wird. Aber die Hauptstütze dieser Politik besteht in dem anhaltenden Versuch, Iraker dafür zu gewinnen, Iraker zu töten, indem die irakische Streitmacht unter US-amerikanischer Kontrolle ausgebaut wird.
Angesichts entschlossenen Widerstands, immer mehr US-amerikanischer Opfer und allgemeiner Ablehnung der Besatzung im Irak und weltweit, haben die USA einen ernsthaften militärischen und politischen Rückschlag im Irak erlitten. Verbunden mit ungünstigen Entwicklungen in Afghanistan, im Iran und Libanon ändern die USA ihre Strategie und gruppieren ihre Kräfte in der Gesamtregion wie auf einem einzigen Kriegsschauplatz bestehend aus vielen Fronten um.
Es erinnert an Vietnam, wie US-Strategen fieberhaft versuchen, die militärische Niederlage in politischen Sieg umzuwandeln. Leider waren sie mit ihrer neuen Strategie der »Irakisierung« und Privatisierung des Kriegs erst einmal erfolgreich. Dieser Rückschlag für die irakische Bevölkerung war nur möglich durch die Verwandlung der meisten irakischen politischen Gruppen, die sich gegen Saddams Diktatur gestemmt hatten, in willige Komplizen des US-Imperialismus im Irak.
Fünfunddreißig Jahre Unterdrückung unter Saddam Hussein, oft mit Rückendeckung der USA und Großbritanniens, hatten verheerenden Einfluss auf Iraks organisierte politische Kräfte, deren Führungen meistens im Exil lebten, das schließt auch die immer weiter degenerierende Kommunistische Partei Iraks mit ein. Sieben Monate nach den Scheinwahlen kämpfen sie immer noch über die Frage, wer Ministerpräsident wird und wer einen größeren Anteil des Reichtums Iraks kontrollieren darf. Dabei laufen sie sich alle zur größten US-Botschaft der Welt, um dort Anleitung und Unterstützung zu erhalten.
Diese Verwandlung wurde von den USA und Großbritannien sehr effektiv genutzt, um Konflikte zwischen den Konfessionen und ethnische Spannungen in der irakischen Gesellschaft zu säen. Deshalb haben die Iraker keine einige politische Führung, die den Kampf zur Säuberung Iraks von der imperialistischen Besatzung führen könnte. Unter diesen besonders schwierigen Umständen war der weitgehend spontane Kampf der irakischen Bevölkerung außerordentlich entschlossen und heldenhaft. Dieses großartige Kapitel des Widerstands spielt sich vor dem Hintergrund von über einer Million getöteter Menschen ab, viele Millionen mehr wurden verwundet, zu Waisen und Witwen. Aber die Geschichte des irakischen Volks ist ein Zeugnis dafür, dass sie niemals ihren Kopf vor den Unterdrückern senken werden, seien es die Kolonialisten, Imperialisten oder heimische Diktatoren. Das mag ein langer Kampf sein, er ist es wert, dass wir ihm mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung schenken.
Zum Text: Der Text erschien zuerst auf Englisch in der Zeitschrift Socialist Review . Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning