Rage Against the Machine steht wie keine andere Band für Protestkultur und Opposition. Yaak Pabst erzählt die Geschichte hinter dem Song »Killing in the Name«.
Manchmal reichen sechs Zeilen, um alles zu sagen. Der Song »Killing in the Name« von Rage Against the Machine attackiert Rassismus und Polizeibrutalität und ist dabei gleichzeitig eine unmissverständliche Aufforderung zur Gegenwehr. Mit ihrem musikalischem Mix aus Hip Hop, Funk und Metal kreierte die Band einen Sound, der so vorher noch nie zu hören war.
In der Nacht des 3. März 1991 wird George Holliday aus dem Schlaf gerissen. Vor seiner Haustür lärmen Polizeisirenen, Hubschrauber kreisen über das Wohnviertel. Er hört Schreie. Als er sieht, was sich vor seinem Fenster abspielt, greift er zum Camcorder. Dass seine Videoaufnahme Geschichte schreiben wird, ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch schon 24 Stunden später läuft sein Video rund um den Globus in den Nachrichtensendungen. Millionen Menschen werden Zeuge, wie mehrere weiße Polizeibeamte des Los Angeles Police Department (LAPD) einen Afroamerikaner während einer Verkehrskontrolle fast zu Tode prügeln. Obwohl Rodney King am Boden liegt, schlagen die Beamten mit Schlagstöcken auf ihn ein, malträtieren ihn mit Tritten gegen den Kopf und halten ihn dabei mit einem Elektroschocker in Schach. 56 Schläge des stahlverstärkten Polizeiknüppels treffen Rodney King binnen 81 Sekunden. Ein Jahr nach der Tat, am 29. April 1992, spricht eine weiße Jury die beteiligten Beamten trotz des Videobeweises frei. Rodney King sei »Herr der Situation gewesen«, der »jederzeit die gegen ihn gerichtete Gewalt hätte beenden können.«
Eine Stunde nach dem Freispruch beginnt, was später als »LA Riots« in die Geschichtsbücher eingehen wird. Nach sechs Tagen sind 55 Menschen tot, 2300 verletzt und 1100 Gebäude zerstört. US-Präsident George Bush Senior kommandiert 13.000 zusätzliche Soldaten und Polizisten in die »Stadt der Engel«, um den Aufstand niederzuschlagen. Die meisten der 10.000 Personen, die verhaftet werden, sind schwarze junge Männer. Der Fall »Rodney King« offenbart für Millionen Menschen in den USA die Methoden von Polizei und Justiz: Lügen, Korruption, Diskriminierung, Gewalt und Rassismus. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Nach einer Studie aus dem Jahre 2008 werden in Los Angeles Afroamerikaner dreimal so häufig von der Polizei angehalten wie Weiße und sogar fünfmal häufiger verhaftet. Zwar ist das LAPD besonders berüchtigt, aber das ganze hat System. Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center befinden sich in den USA 2,32 Millionen Menschen in Haft. Das sind ein Viertel aller Gefangenen in der Welt. Jeder neunte schwarze Amerikaner im Alter zwischen 20 und 34 Jahren ist nach Angaben des US-Justizministeriums im Gefängnis. In den letzten zehn Jahren häuften sich die Fälle, in denen Polizeibeamte ähnlich brutal vorgingen wie gegen Rodney King. Das Lied »Killing in the Name« ist eine Kampfansage dagegen.
Der Song startet einfach, aber wütend. Ein Akkord, viermal angeschlagen, der Bass legt funky vor und die verzerrte Gitarre groovt sich hinein – Pause. In die Stille schreit Sänger Zack de la Rocha: »Killing in the Name of« (»Töten im Namen von«). Die Band antwortet mit einem Soundwall. Schlagzeug, Gitarre, Bass setzten gleichzeitig ein und hämmern das Songthema durch die Boxen. Spätestens jetzt kann niemand mehr ruhig herumstehen. Der Song besteht aus sechs Textzeilen, eindringliche Reime, die anklagen:
Killing in the name of / Some of those that work forces, are the same that burn crosses / And now you do what they told ya / Those who died are justified, for wearing the badge, they‘re the chosen whites / You justify those that died by wearing the badge, they‘re the chosen whites
Töten im Namen von / Einige, die in der Truppe arbeiten, sind dieselben, die Kreuze verbrennen / Und jetzt tust du, was sie Dir sagen / Jene, die getötet wurden, werden (von aller Schuld) freigesprochen, weil sie eine Dienstmarke trugen, sie sind die auserwählten Weißen / Du rechtfertigst die Toten, indem du eine Dienstmarke trägst, sie sind die auserwählten Weißen.
Video:
De la Rocha verarbeitet lyrisch, was Millionen Menschen nach den Übergriffen auf Rodney King dachten. Er verweist auf die Kreuzverbrennungen des rassistischen Ku-Klux-Klan, dessen Ziel die Unterdrückung und Wieder-Versklavung der Schwarzen ist. Es ist mehr ein Gedicht als ein normaler Liedtext. Zack de la Rocha predigt, rappt, schreit und klärt auf. Am Ende des Songs wendet sich das Blatt – aus Anklagen wird Aufbegehren. Zehn Wörter, die dafür stehen, dass jede Rebellion mit Widerspruch beginnt. Zack de la Rocha schreit 16-mal nur diesen einen Satz und hat damit alles gesagt: »Fuck you, I won't do what you tell me« (»Fick dich, ich werde nicht tun, was du mir sagst«).
Obwohl das Video verboten wird, klettert die Single von »Killing in the Name« auf Platz 25 der britischen Charts. Das dazugehörige Album, zugleich das Debüt der Band, erreicht sogar Platz 1 der US-Charts und kann sich 84 Wochen in den Top 200 halten. Mit ihrem neuen Sound erobern Rage Against the Machine die Herzen einer ganzen Generation. Sie sind nicht die ersten, die Rap und Rock vermischen, aber bei keiner anderen Band klingt es so glaubwürdig, innovativ, energiegeladen und überraschend. Bis dahin versuchen die meisten Rapper, besonders smooth zu klingen und nicht zu schreien. Laute, raue und wütende Vocals waren dem Rock vorbehalten. Aber jetzt gibt es raue, wütende Rap-Vocals, die sich mit verzerrten Gitarren und einem funky Bass über einen groovenden dynamischen Beat bewegen – ein explosives Gemisch. Den Gitarristen der Band, Tom Morello, inspirieren die Scratch-Techniken der Hip-Hop-DJs. Unter Scratchen versteht man die Erzeugung von Tönen durch rhythmisches Hin- und Herbewegen einer laufenden Schallplatte auf einem Plattenspieler bei aufgelegter Nadel. Morello übersetzt das Scratchen auf seine E-Gitarre und kreiert damit einen revolutionären Sound. Das Magazin Rolling Stone kürt ihn für seine außergewöhnliche und innovative Spielweise zu einem der »100 besten Gitarristen der Welt«.
Ihren Berühmtheitsstatus nutzt die Band, um soziale Bewegungen zu unterstützen. Tom Morello meint: »Wir leben im Kapitalismus. Das bedeutet, dass die Verbreitung von Informationen vor allem über kapitalistische Kanäle funktioniert. Wir sind nicht daran interessiert, nur zu den Überzeugten zu sprechen. Es ist toll, in einem Hinterhof eines von Anarchisten besetzen Hauses zu spielen, aber es ist auch großartig, in der Lage zu sein, Menschen mit einer revolutionären Botschaft zu erreichen, die davon noch nicht gehört haben.« Rage Against the Machine steht wie keine andere Band für Protestkultur und Opposition.
Video:
Es kein Zufall, dass der Song »Killing in the Name« auch heute noch zur Waffe gegen die Eintönigkeit der Popindustrie wird. Hunderttausende Nutzer der Internetplattform Facebook organisierten im vergangenen Winter eine regelrechte Rebellion bei der Wahl zum britischen Weihnachtshit. Die Jahre zuvor hatte immer der Gewinnersong der Pop-Castingshow X-Faktor am Ende des Jahres auch auf Platz 1 der Charts gestanden. Nun aber riefen die Internet-User dazu auf, »Killing in the Name« massenhaft zu kaufen oder sich runterzuladen. Mit Erfolg: 17 Jahre nach seinem Erscheinen landete der Song auf Platz 1 der britischen Charts. Die Band gab daraufhin bekannt, 2010 ein kostenloses Konzert in Großbritannien zu spielen, um diesen Sieg zu feiern. Tom Morello resümiert im Interview mit der BBC: »Die Kampagne war ein Lehrstück: Das gilt für kleine Dinge – zum Beispiel wer an der Spitze der Charts steht. Es gilt aber auch für die großen Dinge wie Krieg und Frieden oder soziale Ungleichheit. Wenn Leute zusammenkommen und ihre Stimme erheben, können sie das System schlagen.«
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