Es häufen sich die Meldungen, dass der Tiefpunkt der Krise überstanden sei. marx21 warnt vor verfrühten Optimismus
Die Industrie hat das Schlimmste überstanden, auch weil die Weltwirtschaft sich erholt«, verkündete Mitte August die Tagesschau. Ähnliche Formulierungen hört man mittlerweile nahezu täglich in den Medien. Tatsächlich deuten einige Indikatoren darauf hin, dass der Absturz der vergangenen Monate abgedämpft wurde. Hauptgrund dafür dürften die groß angelegten, milliardenschweren Rettungsprogramme der Regierungen auf internationaler Ebene sein. Auch in Deutschland haben Maßnahmen wie das Bankenrettungspaket, die Abwrackprämie und die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung dazu beigetragen, vorerst einen tieferen wirtschaftlichen Absturz abzuwenden. So gab es im vergangenen Monat erstmals wieder einen Zuwachs der Industrieaufträge und Exporte. Ob dadurch tatsächlich eine nachhaltige Verbesserung der Konjunkturentwicklung eingeleitet wird, ist allerdings sehr fraglich – unter anderem deshalb, weil einige staatlichen Stützungsprogramme (Kurzarbeitergeld oder Abwrackprämie) in Kürze auslaufen. Zudem spricht gegen eine nachhaltige Erholung, dass der Einzelhandelsumsatz weiter um zwei Prozent gesunken ist. Auch in den USA hat sich die Situation keineswegs entspannt. Der Jobverlust geht weiter und die Zahl der sozial bedürftigen Menschen steigt schnell an. So liegt der Anteil der Bezieher von Lebensmittelmarken mittlerweile bei fast 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Entsprechend hoch sind die Bundesausgaben. Sie werden in diesem Jahr knapp die 50-Milliarden-Dollar-Grenze überschreiten. Wenn die Gelder der Konjunkturpakete aufgebraucht sind, ist mit einem drastischen Rückgang der US-amerikanischen Unternehmensgewinne und weiteren Entlassungen zu rechnen. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch für andere große Volkswirtschaften.
Aber selbst wenn die Talsohle der Krise bereits durchschritten sein sollte, muss sich die Linke auf verschärfte Angriffe auf die Arbeiterklasse vorbereiten. Denn die aktuelle Verbesserung einiger Rahmendaten findet von einem niedrigen Niveau aus statt. So fallen die Exporte der deutschen Industrie weiterhin um 25 Prozent geringer aus als im Sommer 2008. Und gegenüber 2007 dürfte das Außenhandelsvolumen sogar nur halb so groß sein. Die Zahlen von Firmenpleiten und Arbeitslosen steigt unvermindert weiter. Ab dem Herbst, wenn die Regelungen zur Verlängerung der Kurzarbeit auslaufen, wird eine »Bereinigung« in der Wirtschaft einsetzen – sprich: Massenentlassungen werden auf der Agenda stehen. So erfuhr die Financial Times Deutschland durch mehrere Spitzenmanager von einer »Art Stillhalteabkommen zwischen Industrie und Regierung«, das »derzeit einen größeren Arbeitsplatzabbau in Deutschland« verhindere. Der Pakt gelte bis zur Bundestagswahl am 27. September. »Deutschland ist momentan vor Veränderungen sicher. Aber nach der Wahl wird sich die Botschaft ändern. Das ist ganz normal«, erklärte Hakan Samuelsson, Vorstandschef des Münchner Dax-Konzerns MAN, gegenüber der Zeitung.
Druck auf die deutsche Wirtschaft übt vor allem die gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit der USA aus. In den Vereinigten Staaten hat die Wirtschaft bereits mit Massenentlassungen auf die Krise reagiert. Als Konsequenz konnte sie die Lohnstückkosten senken und ihre Produktivität im ersten Quartal um acht Prozent steigern. In Deutschland hingegen ist die Produktivität um 2,5 Prozent gesunken, während die Lohnstückkosten um sieben Prozent stiegen. Kein Wunder, dass FDP-Vize Rainer Brüderle für den Fall einer schwarz-gelben Regierungsbildung nach der Wahl angekündigt, Union und FDP würden »die guten Ansätze der Agenda 2010 wieder aufgreifen.« Kürzlich wurde ein Papier von Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bekannt, in dem er offen Sozialabbau fordert, um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals zu erhöhen. Die Eckpunkte des Papiers sind: Unternehmen sollen weiter steuerlich entlastet werden, die Einführung von Mindestlöhnen gestoppt, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel erhöht werden. Zudem fordert Guttenberg eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts – durch die Ausweitung von befristeten Arbeitsverträgen und Leiharbeit. Unter dem Stichwort »Senkung der Lohnnebenkosten« sollen weitere Bereiche der Gesundheits- und Altersvorsorge aus der paritätischen Finanzierung ausgenommen – sprich: privatisiert – werden.
Die SPD-Führung hat sich über Guttenbergs Vorstoß empört. Doch viele seiner Vorschläge knüpfen an den neoliberalen Weichenstellungen der Schröder-SPD und der Großen Koalition an: Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Riester-Rente, Praxisgebühr, Hartz IV, Ausweitung der Leiharbeit, Steuersenkungen für Unternehmen und Mehrwertssteuererhöhung für die breite Masse – all dies sind Maßnahmen, die in die Regierungszeit der SPD seit 1998 fallen. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass sich die SPD im Falle einer Neuauflage der Großen Koalition gegen Guttenbergs Pläne sperren würde. Alle Parteien, außer der LINKEN, haben sich dem Schuldenabbau verschrieben. Die Krise hat die Einnahmen der öffentlichen Haushalte weiter abgeschmolzen – die Geschenke an Banken und Konzerne machen sich deutlich bemerkbar. Da auch eine zukünftige Regierung nicht gewillt ist, Politik gegen die Reichen und Konzerne zu machen, wird sie weiter bei der Ausgabenseite kürzen. Die Linke sollte sich deswegen nicht von dem Gerede über ein vermeintliches Krisenende beeindrucken lassen. Vielmehr sollte sie vom Anfang des Kampfes sprechen – gegen die Pläne von Politik und Kapital, die Masse der Bevölkerung für die Krise zahlen zu lassen. Ver.di Stuttgart zum Beispiel stellt sich bereits auf große Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst ein. Für den 17. September ruft die Gewerkschaft, im Bündnis mit anderen, zum Aktionstag auf. DIE LINKE sollte darauf hinwirken, dass sich so viele Menschen wie möglich auf diese Auseinandersetzungen vorbereiten und sich in die Abwehrkämpfe einbringen. Dabei geht es auch darum, zu betonen, dass eine effektive und soziale Krisenbekämpfung nur möglich ist, wenn die Politik gegen das Kapital vorgeht und dessen Verfügungsgewalt über die Wirtschaft zurückdrängt.