Der deutsche Bundestag zeigte der russischen Regierung rhetorisch die Faust – die Bundeskanzlerin machte wirtschaftswerbende Visite in Russland. Weiß die politische Klasse hierzulande nicht, was sie russlandpolitisch will? So oder so ist es nicht ihre Absicht, der Masse der Bevölkerung im Putinland beizustehen – motivierend sind innerdeutsche politische und ökonomische Interessen, das erfordert einiges an Arbeitsteilung. Meint Arno Klönne
Das Parlament der Bundesrepublik bekam in den hiesigen Medien viel Beifall, als es am 9. November dieses Jahres mit großer schwarz-gelb-grüner Mehrheit und in gar nicht diplomatischer Form den Regierenden in Moskau eine Strafpredigt hielt. Endlich sei Schluss mit der »Kumpelpolitik«, applaudierten die meisten deutschen Kommentatoren.
Aber dann ist die Bundeskanzlerin ganz manierlich nach Russland gereist, in ungewöhnlich hochkarätiger Begleitung, ihre Außen-,Wirtschafts- und Finanzminister im Gefolge, zudem Spitzen der Unternehmerschaft, u.a. die Vorstandsvorsitzenden von Siemens, VW und Eon. Die wirtschaftlichen Beziehungen sollen ausgebaut werden. Wie passt der eine Vorstoß zu dem anderen? Herrscht Verwirrung im deutschen politisch-industriellen Komplex?
Deutsche und russische Konzerne
»Modernisierungspartnerschaft« ist der regierungsoffizielle deutsche Begriff für das Verhältnis zum russischen Staat. Er entstammt noch der Phase, als die SPD regierte oder mitregierte, und Gerhard Schröder hat ihn dann als Privatmann unternehmerisch konkretisiert. Deutsche und russische Konzerne sollen zum Zwecke der beiderseitigen Gewinnsteigerung strategisch kooperieren.
Das hat mit Menschenrechten nichts zu tun, es geht ums Geschäft, wen sollte es wundern. Die Industrie in der Bundesrepublik braucht preisgünstige Energie, die Exportbetriebe wollen ihren Markt im Osten ausweiten, manche Unternehmen kalkulieren auch mit der Verlagerung von Produktion ins Russische; alles modernisierend, der ganz normale kapitalistische Lauf der Dinge. »Werteorientiert«, im Sinne des Bemühens um optimale Kapitalverwertung.
Und dass die russische Regierung, auch wenn sie so manches Staatseigentum der Privatisierung vorenthalten will, zum Antikapitalismus keineswegs hinneigt, ist eine gesicherte Lageerkenntnis. Putin fasst »lupenreine Demokratie« nicht als Auftrag auf, sich für die Sozialisierung deutscher Konzerne einzusetzen. Es droht den Wirtschaftsherren hierzulande keine Gefahr aus dem Osten.
Symbolpolitik im Parlament
Wieso dann das aufgeregte, russlandkritische Resolutionieren der Abgeordneten von Parteien, die grüne eingeschlossen, die doch nicht im Verdacht der Wirtschaftsfeindlichkeit stehen? Ein Parlament hat die Aufgabe, symbolische Politik zu betreiben, Sentiments und Ressentiments aufzugreifen und zu kanalisieren. Um Werte geht es auch dabei, hier um den Gewinn im Meinungsmarkt, im ideologischen Produktionsbetrieb.
Dass dem russischen Bären böse Eigenschaften angeboren seien, ist ein aus der deutschen Geschichte überliefertes Gefühl, da lässt sich anknüpfen, auch wenn der Bolschewismus sich verabschiedet hat.
Ablenkung von deutschen Verhältnissen
Wichtiger noch: Wer sich über russische Verhältnisse empört, ist womöglich davon abgelenkt, deutsche Verhältnisse genauer zu betrachten. Der zentrale Vorwurf in der Russlandschelte des Bundestages ist, dass unter Putin »zivilgesellschaftliche Opposition« schikaniert und eingeschüchtert werde.
Muss man angesichts dessen sich noch Gedanken darüber machen, dass in der Bundesrepublik vielfältige Maßnahmen schon ergriffen und weitere in Planung sind, um oppositionelle Regungen zu unterdrücken? Ein Detail: Im Putin-Staat, empört sich der deutsche Bundestag, werde eine Nichtsregierungsorganisation kriminalisiert, wenn sie Geld aus anderen Ländern annehme, um damit gegen die russische Regierung Protest zu organisieren. Aber wie würde denn der deutsche Innenminister reagieren, wenn Occupy mit kubanischem Geld die Deutsche Bank blockieren wollte?
Westliche Verantwortung
Es gibt allen Grund, die herrschenden politischen und sozialen Zustände im Staate Russland unter Kritik zu nehmen. Wer mit dem Blick nach dorthin Menschenrechte einfordert, sollte allerdings nicht vergessen, dass diese mehr bedeuten als moderaten Umgang des Staates mit umtriebigen Großbesitzern und aufmüpfigen Pussy-Punkerinnen
Und er sollte auch nicht den Verantwortungsanteil verschweigen, den expansive ökonomische Interessen aus der westlichen Wertewelt am Zustandekommen der gesellschaftlichen Verhältnisse haben, die derzeit Russland prägen.
Zuletzt in Klönnes Klassenbuch:
- Rentenschwindel mit verteilten Rollen: Die jüngsten Beschlüsse der bundesregierenden Koalition von CDU/CSU und FDP und ebenso die Stellungnahmen von SPD und Grünen dazu haben gar nicht im Sinn, soziale Probleme zu lösen. Beide Seiten wollen die Wählerinnen und Wähler hinters Licht führen, meint Arno Klönne
- Der Parabellum-Preis: Die EU erhält den Friedensnobelpreis. So paradox ist die Auszeichnung von Kriegstreibern gar nicht, findet Arno Klönne
- Renten und Renditen: Mit seinem Rentenplan ist Sigmar Gabriel auf innerparteiliche Kritiker gestoßen. Nun wird nachgebessert, aber die Grundrichtung bleibt: Materielle Sicherung im Alter soll schrittweise privatisiert werden. Die SPD will sich wahlwerbend als Kümmererpartei präsentieren, regierend wird sie kapitalkompatibel tätig werden – meint Arno Klönne