Durch den Rücktritt von Müntefering als Vizekanzler wird weder die große Koalition ein vorzeitiges Ende finden, noch wird die SPD sich links erneuern. Von Stefan Bornost, leitender Magazin-Redakteur marx21
Nach dem Rücktritt des Vizekanzlers Müntefering (SPD) wird in der LINKEN über zwei Dinge debattiert. Erstens, ob die große Koalition ein vorzeitiges Ende finden könnte. Zweitens vertreten einige die Position, dass Münteferings Rücktritt Ausdruck eines Linksschwenkes der SPD ist. Eine Beendigung der schwarz-roten Koalition ist allerdings ebenso wenig in Sicht wie eine linke SPD.
Schwarz-Rot am Ende?
Zwar haben die Regierungsparteien derzeit Probleme, größere soziale Angriffe, sprich: Reformen, zu konzipieren und durchzusetzen. Bis 2009 wird in zahlreichen Bundesländern gewählt. SPD-Chef Beck versucht, die Partei von der CDU abzugrenzen, um dem Verfall der SPD entgegenzusteuern. Das bedeutet jedoch noch kein Ende der Koalition.
Das Motiv, um Schwarz-Rot zu beenden, fehlt. Für die CDU müsste schon eine Option auf eine stabile Regierung aus Union und FDP bestehen. Das geben die Umfragen jedoch nicht her, seit mit der LINKEN ein Fünfparteiensystem entstanden ist. Das Ergebnis von Neuwahlen wäre wahrscheinlich eine Neuauflage der großen Koalition. Damit hätten die jetzigen Regierungsparteien allerdings nichts gewonnen.
SPD-Führung bleibt unsozial
Das Verhalten der SPD in der Regierung zeigt deren Unfähigkeit, für soziale Politik zu stehen – und nicht nur davon zu reden. Erinnert sei an den mehrwöchigen Streik der Telekom-Beschäftigten in diesem Sommer gegen die Auslagerung von 50.000 Kolleginnen und Kollegen in drei Billig-Service-Gesellschaften. Der Bund ist der größte Aktionär der Telekom und hätte den arbeitnehmerfeindlichen Kurs des Managements stoppen können. Dennoch hat die SPD-Führung ihren Einfluss im Konzern genutzt, um den Arbeitnehmern zu schaden. Sie hat den brachialen Kurs von Telekom-Chef Obermann gestützt.
Beim aktuellen Streik der Lokführer wiederholt sich diese arbeitnehmerfeindliche Politik. Beck forderte vom Bahnmanagement, gegenüber den Streikenden hart zu bleiben. Und der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Wend will das Streikrecht einschränken. Dem Staat müsse es rechtlich ermöglicht werden, unbefristete Arbeitskämpfe zu verbieten, verlangte er kürzlich.
Von der Bahnprivatisierung will die SPD-Führung die Finger nicht lassen, obwohl sie auf dem letzten Parteitag einen deutlichen Dämpfer erhalten hat. Nachdem nun das Volksaktienmodell der Partei in der Koalition gescheitert ist, hat SPD-Finanzminister Steinbrück eine neue Privatisierungsvariante entworfen. Sein Holdingsmodell würde langfristig zur Zerschlagung der Bahn führen.
Das Vorgehen der SPD beim Mindestlohn ist exemplarisch für die Unfähigkeit der SPD, ihre Politik zu ändern. Nachdem die Partei, getrieben durch DIE LINKE und Gewerkschaften, sich endlich durchgerungen hatte, den Mindestlohn wenigstens in Worten zu fordern, wollte sie keine Taten folgen lassen. Als die Forderungen der SPD von der LINKEN wortgleich im Bundestag zur Abstimmung gestellt wurden, als es also darauf ankam, stimmte die SPD dagegen.
Auch die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I ist kein Zeichen für einen Kursdwechsel. Wegen neuer Bedingungen sind die Verbesserungen für ältere Arbeitslose minimal – und finanziert wird die Verlängerung auf Kosten der Eingliederungshilfen für Arbeitslose.
Voraussetzungen für Linksschwenk der SPD fehlen
Es ließen sich weitere Beispiele nennen. Doch schon aus den genannten lässt sich erkennen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Die politische Kettung der SPD an den Neoliberalismus ist kein Zufall. Sie hängt auch nicht einfach von einzelnen Führungspersonen ab, die man nur austauschen müsste. Die Politik der SPD ist Ausdruck der Entwicklung ökonomischer Rahmenbedingungen und Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital in den letzten dreißig Jahren .
Sozialdemokratische Politik basiert darauf, dass die Früchte von Wachstum und Aufschwung mittels Reformen zum Teil an die Bevölkerung weitergegeben werden, ohne das Kapital zu verschrecken.
Dieser Ansatz setzt ein Wachstum voraus, dass hoch genug ist, um die Profitinteressen der Bosse in deren Augen zufriedenstellend zu bedienen und gleichzeitig soziale Reformen finanzieren zu können. Solche ökonomischen Bedingungen bestanden während der ersten großen Koalition 1966 bis 1969 und während der sozialliberalen Koalition. Das durchschnittliche jährliche Wachstum des Bruttoinlandsproduktes betrug von 1969 bis 1974 5,2 Prozent. Damit waren auch ohne zusätzliche Besteuerung der Reichen, ihrer Vermögen und Profite, Sozialreformen finanzierbar.
Hinzu kam ein allgemeiner gesellschaftlicher Aufbruch, der es erleichterte, soziale Reformen auch gegen die Bosse politisch durchzusetzen. Dazu gehörten zum Beispiel die Studentenproteste 1968, auf die ein Jahr später eine Welle von teilweise wilden Streiks folgte. Die Politisierung der Studenten sprang über auf die Lehrlinge und fand Ausdruck in einer großen Lehrlingsbewegung.
Wer regiert, verliert
Wachtumsraten in der Höhe, dass eine Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit möglich wäre, gehören jedoch der Vergangenheit an. Der Sozialpartnerschaft ist damit die Grundlage entzogen. Im international härter werdenden Konkurrenzkampf führen die Bosse einen Klassenkampf von oben gegen die Belegschaften, um die Profite zu erhöhen. Wenn es Wachstum gibt, dann eines ohne Wohlstand für die Masse.
Soziale Reformen können nur gegen den Widerstand der Unternehmer durchgesetzt werden. Solcher Widerstand muss erst geduldig aufgebaut werden – auf der Straße, in Betrieben und Gewerkschaften, an Schulen und Unis. Parlamentarische Arbeit kann dabei helfen, ist aber kein Ersatz. »Wer regiert, verliert«, diese schmerzhafte Erfahrung müssen derzeit international Parteien machen, die glauben, vor allem durch (Mit)Regieren ließe sich etwas für Arbeitnehmer und Arme herausholen.
Zwei Formen derselben Politik
Der Streit zwischen Parteichef Beck und Müntefering ist keiner zwischen einem Linken und einem Rechten. Personen sind nicht die Ursache für den Neoliberalismus. Einzelne drücken diese Politik nur aus, sofern sie diese verantwortlich durchführen müssen.
Müntefering selbst ist ein Beispiel: Vor Jahren noch als „sozialdemokratisches Gewissen« gehandelt, gilt er jetzt als Statthalter der Agenda-Politik. Selbstverständlich haben grundsätzliche Kursschwenks in Parteien meist auch personelle Konsequenzen. Doch den Müntefering-Rücktritt dort einzuordnen, wäre übertrieben.
Denn die Differenz zwischen Beck und Müntefering ist nur taktischer Art. Beck setzt auf Erhalt der SPD durch Profilschärfung bei gleichzeitiger Beibehaltung des Agenda-Kurses. Er nimmt dabei den Widerspruch zur CDU und zwischen Worten und Taten in Kauf.
Müntefering hingegen ist „staatsmännischer« gewesen. Er hoffte darauf, dass die Anerkennung der SPD-Politik durch das Kapital in der eigenen Mitgliedschaft zu „Stolz« führt.
In Zeiten scharfer Gegensätze von Arbeit und Kapital sind beide Taktiken fruchtlos. Weil die SPD keine sozialen Verbesserungen im notwendigen Ausmaß liefern kann, wird sie auch ihren Niedergang nicht aufhalten können.
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