»Steinmeier kämpft um Arbeitsplätze«, behauptet die SPD. Ihr Kanzlerkandidat verspricht, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Nach elf Jahren Regierungsverantwortung klingt das völlig unglaubwürdig, meint Klaus-Dieter Heiser.
»Wer zahlt die Kosten für die Krise?« Diese Frage stellen sich derzeit viele. Fast jeder ahnt, dass uns – angesichts steigender Staatsverschuldung – nach der Bundestagswahl die Rechnung für die hunderte Milliarden teuren Banken-Rettungsaktionen präsentiert wird.
Die Parteien halten sich zu dieser Frage vornehm zurück: Die CDU thematisiert sie nicht und schlägt ebenso wie die FDP Steuersenkungen vor, was den meisten Menschen verständlicherweise irreal erscheint. Die SPD drückt sich auch vor einer Antwort, strebt aber nach Frank-Walter Steinmeiers kürzlich vorgelegtem »Deutschland-Plan« einen »ausgeglichenen Haushalt« an. Ohne Erschließung neuer Geldquellen bedeutet dies jedoch: Massive Kürzungen der staatlichen Ausgaben, vor allem im sozialen Bereich.
Im harten Licht dieser Realität lesen sich die Forderungen aus dem Steinmeier-Papier wie Impressionen aus dem Wolkenkuckucksheim. Dennoch lohnt es sich, einige Passagen des »wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gesamtkonzepts für das nächste Jahrzehnt« genauer unter die Lupe zu nehmen.
Neue Arbeitsplätze?
Steinmeier möchte mit seinem Plan eine »Blaupause« dafür liefern, wie »Deutschland gestärkt aus der Krise herauskommt«. Er fordert »Weichenstellungen«, um durch »innovative Technologien, zum Beispiel im Bereich Klimaschutz oder der Entwicklung neuer Fahrzeugantriebe« den »Produktionsstandort Deutschland« zu stärken. Förderung sollen auch Dienstleistungsberufe erfahren, insbesondere in der Gesundheitswirtschaft und in Kreativbranchen. Dies soll mit staatlichen Geldern geschehen, allerdings ohne direkte staatliche Einflussnahme. Erklärtes gesellschaftspolitisches Ziel der SPD ist es, dass »die Menschen wieder Vertrauen in eine Soziale Markwirtschaft« fassen.
Es ist unstrittig, dass Arbeitsplätze im sozialen und ökologischen Bereich geschaffen werden können. Notwendig dafür ist ein Zukunftsinvestitionsprogramm für Bildung, Klimaschutz, Verkehr, Gesundheit und eine Energiewende. Finanziert werden könnte dies durch die Erschließung neuer Geldquellen – beispielsweise durch die Einführung von Börsenumsatz- und Millionärssteuer, sowie durch die Neugestaltung der Erbschaftssteuer und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Bestverdiener, wie es DIE LINKE fordert.
Umgesetzt werden müsste ein solches Programm im öffentlichen Sektor, dem einzigen Bereich, in dem die Politik direkt Einfluss auf die Schaffung von Arbeitsplätzen hat. Aber gerade dieser Bereich bleibt im »Deutschland-Plan« der SPD ausgeklammert.
»Standort Deutschland fit machen« bedeutet in Wahrheit Sozialabbau
Steinmeiers Grundannahme ist, dass sich Deutschland der Standortkonkurrenz in der globalisierten Wirtschaft stellen muss – eine Überlegung, die auch schon der »Agenda 2010« der Regierung Schröder zugrunde lag: Der »Standort Deutschland« sollte konkurrenzfähig gemacht werden gegenüber den EU-Neumitgliedsländern in Osteuropa und den asiatischen Schwellenländern mit ihrem niedrigen Lohnniveau und schlechteren Sozialstandards. Jetzt kommt hinzu: Deutschland soll »Ausrüster für die Welt von morgen« werden. Steinmeiers Credo: »Der globale Klimaschutz braucht Technologie aus Deutschland«. Rohstoff- und Energieeffizienz sind in diesem Zusammenhang also nichts anderes als wohlfeile Werbe-Schlagworte für »Made in Germany«.
Steinmeier möchte, dass ein »Chancen-Atlas« die Möglichkeiten für deutsche Exporte erhöht. Deutschland als Exportweltmeister – das ist die »Vision 2020« der SPD. Sie basiert auf der »Agenda 2010«, wie die Sozialdemokraten deutlich machen: »Es war die Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die dafür gesorgt hat, dass die Arbeitslosigkeit von 2005 bis 2008 von fünf Millionen auf knapp unter drei Millionen gesunken ist. Das lässt sich wiederholen. Wenn man es will.«
Was sie nicht sagen: »Agenda 2010« bedeutete vor allem: massive Senkung der Reallöhne, Einführung von Hartz IV und Dumpinglöhnen, Ausweitung der Leiharbeit, Zerstörung der Rentenformel, Privatisierung der Altersvorsorge.
Wenn die offiziellen Arbeitslosenzahlen zwischenzeitlich gesunken sind, dann vor allem, weil prekäre Beschäftigung zugenommen hat, mit Löhnen, die nicht zum Leben ausreichen.
Die Schwächung der Binnennachfrage war die Folge, die jetzt die Wirtschaftskrise verstärkt. An dieser Politik war der SPD-Kanzlerkandidat stets beteiligt – erst als Chef von Schröders Kanzleramt; zuletzt als Vizekanzler der Großen Koalition. Will er nun eine Neuauflage?
Mit der SPD gibt es keinen existenzsichernden Mindestlohn
Um die viel diskutierte Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn kommt er in seinem Papier nicht herum. DIE LINKE hat diese Forderung auf die politische Agenda gesetzt und mithilfe außerparlamentarischem Drucks dafür gekämpft.
Im Bundestag hat die SPD jedoch allen diesbezüglichen Gesetzesinitiativen der LINKEN die Unterstützung verweigert. Es klingt daher wenig überzeugend, wenn sich Steinmeier für »moderate Mindestlöhne« ausspricht.
Und wenn er 7,50 Euro für eine »sinnvolle Orientierungsmarke« hält, dann zeigt das nur, dass die SPD noch weit davon entfernt ist, einen existenzsichernden Mindestlohn zu fordern.
Bildung im Interesse der Bosse
Bildung ist ein wichtiges Element des Steinmeier-Plans. Der Kanzlerkandidat verspricht, 2020 soll die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler die Hochschulreife erreichen. Er fordert kostenlose Bildung vom Kindergarten bis zur Universität.
Das klingt zunächst gut. Aber auffällig an seinem Papier ist die Ausrichtung von Bildung und Forschung auf die unmittelbaren Verwertungsinteressen der Industrie. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik sind die Schlüsselwörter, neue Professuren und eine Ingenieursoffensive werden versprochen und mehr »Unternehmensnähe an der Hochschule« angestrebt. Forschungsergebnisse sollen noch häufiger als bisher zu Ausgründungen aus den Hochschulen führen.
Das macht deutlich: Die SPD beantwortet auch die Schlüsselfrage Bildung im Interesse des Kapitals – und nicht im Interesse der Lehrenden und Lernenden.
Bestenfalls kosmetische Korrekturen
Wenn die SPD erklärt, die Finanzmärkte hätten »ihre ureigenen Aufgaben« vernachlässigt, weil die marktliberale Deregulierungs-Ideologie zu einem verschärften Wettbewerb der globalen Finanzplätze geführt habe, dann trifft das zwar zum Teil zu. Sie verschweigt aber, dass es gerade die Schröder-Regierung war, die diese Entwicklung befördert hat.
Was Steinmeier als Schlussfolgerung anbietet, ist ähnlich der in der Medizin gelegentlich verwendeten »weißen Salbe«: Es macht Eindruck, löst das grundsätzliche Problem aber nicht. So will die SPD Finanzmarktprodukte unter stärkere Aufsicht stellen, den Verbraucherschutz durch einen Finanz-TÜV stärken und »die Manager regulieren und zertifizieren«.
Ein Zugeständnis an die Erfahrungen der jüngsten Finanzmarktkrise ist immerhin, dass die Börsenumsatzsteuer in Deutschland mit ähnlicher Ausgestaltung wie in Großbritannien wieder eingeführt werden soll. Konkreter wird das Steinmeier-Papier hier nicht. Es stellt zum Beispiel keinen Bezug zur Finanzierung eines staatlichen Zukunftsinvestitionsprogramms her.
Der »Deutschland-Plan« macht deutlich, dass das Dilemma der SPD ein grundsätzliches ist. Um ihre formulierten Beschäftigungsziele zu erreichen, müsste weitgehend in die Verfügungsgewalt des Kapitals eingegriffen und substanzielle Teile der Wirtschaft unter staatliche Kontrolle genommen werden – Schritte, zu denen die SPD-Führung in der Vergangenheit nicht bereit war und auch künftig nicht bereit sein wird.