Norbert Hackbusch war Abgeordneter der Grün-Alternativen Liste in Hamburg. 1999 verließ er die Partei aus Protest gegen den Kosovokrieg. Mittlerweile regieren seine ehemaligen Kollegen in der Hansestadt gemeinsam mit der CDU. Im Gespräch mit marx21 zieht er Bilanz
Norbert, die Grünen befinden sich im Höhenflug und du bist nicht mehr dabei. Reue?
Nein, wirklich nicht. Wenn es danach ginge, dann könnt man ja auch schon mal bei der SPD oder bei der CDU gewesen sein. Höhenflüge können ja nun nicht das Kriterium für politisches Engagement sein. Für mich ist entscheidend: Die Grünen haben die drei wichtigen Ursprünge ihrer Partei hinter sich gelassen. Das ist zum einen die ökologische Frage. Am deutlichsten wurde das hier in Hamburg: Die Partei hatte zwar einen Baustopp des Kohlekraftwerks Moorburg ins Zentrum ihres Wahlkampfs gestellt, dieses Projekt aber dann in der Regierung nach einigem Hin und Her aufgegeben.
Entscheidender Grund für mich, die Grünen zu verlassen, war, dass sie ihr soziales Moment verloren haben – Stichwort: Zustimmung zu Hartz IV. Es zeigt sich aber auch hier in Hamburg.
Die Stadt ist sozial stark gespalten, trotzdem gehen kaum Initiativen von den Grünen in der sozialen Frage aus. Der dritte Aspekt ist die Friedensfrage. Hier hat die Partei mit ihrem »Ja« zu Bundeswehreinsätzen den früheren Grundkonsens verlassen.
Warum profitieren dann momentan ausgerechnet die Grünen vom Frust über Schwarz-Gelb?
Ich denke, das spiegelt den Stand des politischen Bewusstsein wieder und entspricht dem, was die Leute denken. Die Grünen bieten sich als einfache Alternative an – nach dem Motto, man muss nur woanders ein Kreuz machen und dann wird etliches besser. Solange Menschen nicht wirklich glauben, selbst etwas verändern zu können, ist dieser einfache Weg natürlich verführerisch.
Laut Umfragen wäre eine Neuauflage von Rot-Grün im Bund möglich.
Ich sehe nicht, dass eine wirkliche Auseinandersetzung in diesen Parteien stattgefunden hat über Entstehung und Folgen der Politik der Schröder/Fischer-Regierung. Beide senden jetzt linke Signale, fordern Mindestlöhne und Verbesserungen bei Hartz IV – alles Dinge, bei denen sie in der Regierungszeit nichts oder das Gegenteil gemacht haben. Diese zumindest verbale Umkehr ist natürlich begrüßenswert, trotzdem glaube ich nicht, dass dem ein Erkenntnisprozess zugrunde liegt. Es handelt sich um Wahlpropaganda, die im Falle einer Regierungsbeteiligung wieder im Regal verschwindet. DIE LINKE hat aber damit ein politisches Problem: Es gibt leider zu wenig unabhängige Kräfte und Mobilisierungen, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen von 1998 bis 2005 die beiden Parteien konfrontieren. Dadurch stehen wir als diejenigen da, die an allem rumkritisieren. Es mangelt ein Stück weit an unabhängigen Autoritäten aus der außerparlamentarischen Bewegung, die SPD und Grüne mit ihren alten Fehlern konfrontieren könnten. Dadurch und natürlich durch die Praxis von Schwarz-Gelb erstrahlt Rot-Grün schöner als es in Wirklichkeit war.
Warum auch kritisieren? An den Protesten gegen Stuttgart 21 und den Aktivitäten der Antiatombewegung sind die Grünen doch stark beteiligt.
Das ist richtig. Aber wenn man sich zum Beispiel die Antiatommobilisierung genau anschaut, fallen zwei Dinge auf: Diejenigen, die den Kern dieser Mobilisierung darstellen, beispielsweise im Wendland, haben mit der grünen Partei praktisch nichts mehr zu tun. Das ist eine große Veränderung zur Gründungsphase und den 1980ern und auch zu den 1990er Jahren. Da waren die Grünen tatsächlich ein Teil der Anti-AKW-Bewegung und auch der Friedensbewegung.
Was den Grünen nach wie vor gelingt, ist, an diesem Thema gut zu mobilisieren – auch und vor allem ihre eigene Partei. Sie sind nicht die Bewegung, aber sehr wohl in der Lage, wenn die Bewegung abhebt, Präsenz zu zeigen. Das ist besser als nichts, aber es ist nicht dasselbe wie eine wirkliche organische Integration in die Bewegungen. Ähnliches gilt auch für die SPD. Wir waren erstaunt, wie viele ihrer Mitglieder sie zur Anti-Atom-Menschenkette in Norddeutschland mobilisieren konnte.
Gerade die Tatsache, das SPD und Grüne noch nicht im Reinen mit ihrer Agendapolitik sind, ist doch ein Argument für eine Regierungsbeteiligung der LINKEN – als linkes Korrektiv.
Nein, ist es nicht. Ich halte alle Strategien, die sich auf Veränderung durch Regierungsbeteiligung richten, für falsch. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Regierungsbeteiligung, aber die strategische Orientierung darauf ist gegenwärtig falsch. Ein Beispiel aus Hamburg: Wir haben hier das Phänomen, dass die oppositionelle SPD unsere schwarz-grüne Landesregierung häufig von rechts angreift. Die Sozialdemokratie in Hamburg steht für stärkere staatliche Repression. Außerdem will die Partei einen noch härteren Sparkurs als ihn Schwarz-Grün schon verfolgt. Das macht deutlich, dass es die behaupteten großen Lager, den rot-rot-grünen »linken« Block versus die Rechten, in dieser Form gar nicht gibt.
Zu Hamburg: Für die Grünen stellt die Koalition mit den Konservativen ein Pilotprojekt dar. Ist es erfolgreich?
Das schwarz-grüne Bündnis in Hamburg steht derzeit mächtig unter Feuer. Ole von Beust hat sein Amt abgegeben, mit seinem Nachfolger Christoph Ahlhaus ist ein recht unattraktiver Bürgermeister aufgetaucht. Dazu stellen sich momentan Fragen, von deren Beantwortung maßgeblich das soziale Gefüge in der Stadt abhängt: Wie soll mit den Schulden der HSH Nordbank umgegangen werden? Wie mit der Kostenexplosion beim Bau der Elbphilharmonie? Wie soll das jetzt anrollende Kürzungsprogramm aussehen und umgesetzt werden? Die GAL profitiert in den Hamburger Umfragen nicht vom Stimmungsaufschwung der Grünen bundesweit.
Das klassische Grünenspektrum erwartet von seiner Partei, dass sie Kürzungen in den Bereichen Soziales und Kultur abmildert oder verhindert. Das gelingt den Grünen hier jedoch kaum und deshalb gibt es einen Vertrauensverlust. Die ursprünglich geplante Schließung des Altonaer Museums hat zum Beispiel zu einem Aufschrei bei den »alten« Grünen geführt – viele beteiligten sich an der Bürgerinitiative zu dessen Erhalt. Ähnlich sieht die Konfliktlage beim Schauspielhaus aus, welches nach ersten Planungen 1,2 Millionen Euro einsparen sollte oder bei den öffentlichen Bücherhallen, denen Mittelkürzungen drohen. In diesem Bereich verlieren die Grünen momentan viele aktive Sympathisanten und deshalb sieht die Perspektive für Schwarz-Grün in Hamburg sehr schlecht aus. Ich kann mir sogar vorstellen, dass die Koalition innerhalb der nächsten Monate platzt.
Du hattest vorhin den Konflikt um das Kohlekraftwerk Moorburg erwähnt. Was ist dort abgelaufen?
Nun, die Grünen hatten ihren Wahlkampf im Kern um das Versprechen aufgebaut: »Wählt uns, dann kommt das Kraftwerk nicht« – aus Ole von Beust wurde auf Grünen-Wahlplakaten »Kohle von Beust«. Jedoch streute die Grünen-Spitze schon während der Koalitionsverhandlungen, man müsse prüfen, ob ein Ausstieg aus dem Projekt rechtlich überhaupt möglich sei. Nach Beendigung der Koalitionsverhandlungen verkündete sie dann, der Bau von Moorburg sei aus juristischen Gründen nicht aufzuhalten. Mit der Juristerei ist das in solchen Auseinandersetzungen immer so eine Sache: Natürlich gibt es bei solchen Projekten Regularien und Verfahren.
Auf der anderen Seite ist der Bauherr Vattenfall stark von der Stadt Hamburg abhängig – die Stadt muss Verträge etwa über Fernwärme verlängern, damit Vattenfall Profite machen kann. Das heißt, es hätte politische Hebel gegeben, die man hätte ziehen können, um Vattenfall zum Einlenken zu bewegen. Das haben die Grünen nicht eingefordert, weil dann die Koalition mit der CDU wahrscheinlich nicht zustande gekommen wäre, die für sie als Pilotprojekt eine übergeordnete, bundesweite Relevanz hat. Das alles hat natürlich enorm an der Glaubwürdigkeit der Grünen gezehrt. Im Wahlkampf zu behaupten, ein Ausstieg ist möglich, um dann hinterher zu sagen: »Sorry, wir haben uns geirrt, er ist doch nicht möglich«, kommt natürlich nicht gut an.
Bundesweit durch die Presse gegangen ist der Kampf um die Schulreform. Sie war doch maßgeblich von den Grünen initiiert worden.
Bei der Schulreform hatten wir folgende Konstellation: Alle Parteien im Parlament haben die Reform unterstützt, wenn auch nicht alle, wie im Falle der SPD, mit Feuereifer. Die CDU-Fraktion hat die Reform einstimmig unterstützt und auch Bürgermeister Ole von Beust hat sich richtig reingehängt. Da haben die Grünen eine gute Rolle gespielt, weswegen wir ja auch gemeinsam auf der Straße standen und für die Reform gekämpft haben.
Also doch die große rot-rot-grüne Zusammenarbeit?
Ja, natürlich. Auf der Straße, im Kampf für sinnvolle Verbesserungen immer. Aber für erfolgreiche Politik brauchen wir eine Linke, die in den Auseinandersetzungen verankert ist, die Erinnerung an die Erfahrungen mit Rot-Grün aufrechterhalten und trotzdem mit SPD und Grünen gemeinsam kämpfen kann.
Die Fragen stellte Stefan Bornost
Zum Autor: Norbert Hackbusch schloss sich 1984 der Grün-Alternativen Liste (GAL) an und zog für sie 1993 in die Hamburgische Bürgerschaft ein. Heute ist er dort stellvertretender Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Hamburger Senat.