Die Vertuschung von Mißbrauchsfällen bei der katholischen Kirche zeigt: »Parallelgesellschaften« werden geduldet, solange sie nur Teil der »westlich-abendländischen Kultur« sind. Ein Kommentar von marx21
Innenminister de Maizière (CDU) hat den »Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland« von der Islamkonferenz ausgeschlossen. Die Begründung für die Ausladung des Islamrats: eine seiner Mitgliedsorganisationen Milli Görüs sei von der Staatsanwaltschaft schwer beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung zu bilden, mit dem Ziel »islamistische« Ideen zu verbreiten. Der Religionsverband Milli Görüs zählt etwa 80.000 Gläubige in seinen Reihen. Er wird seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Anklage der Bildung einer kriminellen Vereinigung bezieht sich auf Vorwürfe der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung. Außerdem ziele eine konservative Auslegung des Islam auf die Bildung von Parallelgesellschaften neben den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen.
Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Parallelgesellschaft? Im Handelsblatt vom 22.12.2009 wird der Vatikan als »Drehscheibe für Mafiagelder, Schmiergeldzahlungen und Steuerhinterziehung« bezeichnet. Die Vatikanbank IOR (Instituto Opere di Religione) gilt als größte Geldwaschanlage, durch die jährlich 60 Millionen Euro unbekannter Herkunft fließen. Die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und CDU mit Liechtensteiner und Schweizer Experten für Steuerhinterziehung und Geldwäsche ist auch für Deutschland dokumentiert. Kein Staatsanwalt und kein Gericht käme jedoch auf die Idee, die katholische Kirche oder die CDU der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu bezichtigen. Hier wird ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.
Das Gleiche gilt für den Vorwurf der Bildung von Parallelgesellschaften, in denen geltendes Recht außer Kraft gesetzt ist. Tausende Missbrauchsfälle gegen Kinder und Minderjährige in Institutionen der katholischen Kirche Deutschlands, Österreichs und Irland wurden jetzt bekannt. Die enorme Häufung der Mißbrauchsfälle in der katholischen Krichen, hängt vor allem mit Zölibat und der Tabuisierung von Sexualität in der Katholische Kirche zusammen. Ein weitere Skandal ist der Umgang der verantwortlichen Gremien und Bischöfe mit den Mißbrauchsfällen. Sie handelten nach eigenen, internen Verfahren. Diese waren jedoch fast immer darauf bedacht, die Fälle zu vertuschen und die Täter vor strafrechtlichen Konsequenzen zu schützen. Auffällig gewordene Priester und Ordensleute wurden nicht angezeigt, sondern in andere Pfarreien und Diözesen versetzt.
Der amerikanische Autor Christopher Hitchens schreibt in einem Gastbeitrag in der »Frankfurter Rundschau« zur Rolle des jetzigen Papst Joseph Ratzinger: »Nach seiner Beförderung zum Kardinal übernahm er die Leitung der so genannten ›Kongregation der Glaubenslehre‹ (früher bekannt als Inquisition). 2001 übertrug Johannes Paul II dieser Abteilung die Untersuchung der Fälle von Vergewaltigung und Folter von Kindern durch katholische Geistliche. Im Mai desselben Jahres schrieb Ratzinger einen vertraulichen Rundbrief an alle Bischöfe, in dem er sie an die außerordentliche Schwere eines bestimmten Vergehens erinnerte. Unter diesem Vergehen verstand er allerdings die Meldung von Vergewaltigung und Folter an die Behörden. Die Untersuchung der Vorwürfe, so Hochwürden Ratzinger, sei allein Aufgabe kircheninterner Instanzen. Die Weitergabe von Informationen an Justizbehörden oder Presse sei strengstens untersagt. Eine Untersuchung laufe ›unter strengster Geheimhaltung … mit absoluter Verschwiegenheit … und jeder … ist zur Geheimhaltung verpflichtet … denn es handelt sich um eine Geheimsache des Heiligen Offiziums … deren Verrat mit Exkommunikation bestraft wird.‹«
Im Kloster Ettal musste jetzt der Abt Bögle zurücktreten, weil er nicht einmal der innerkirchlichen Meldepflicht von sexuellen Missbrauchsfällen nachgekommen war (seit 2001 besteht diese Meldepflicht). Wo es bei staatlichen und anderen Erziehungseinrichtungen regelmäßig zu polizeilichen Ermittlungen kommt, bleiben diese in kirchlichen Einrichtungen erst einmal bei Vorgesetzten und Kirchenbehörden hängen nach dem Motto: Nur kein Aufsehen erregen. Solche innerkirchlichen Disziplinarverfahren könnte man auch als katholische »Scharia« bezeichnen: als rechtsfreien Raum, in dem nach kirchlichen Sanktionen und Disziplinarstrafen vorgegangen wird und wo staatliches Recht und Gerichtsbarkeit nur eingeschränkt gilt. Die gegen Milli Görüs erhobenen Vorwürfe – zu Recht oder zu Unrecht sei hier dahingestellt – treffen ganz sicher auf die katholische Kirche zu. Aber die gehört zum westlich-abendländischen gemeinsamen »Kulturerbe« und darf sich offenbar rechtsfreie Räume und Rechtsbruch erlauben. Würde so etwas in islamischen Institutionen ruchbar, würden diese als verfassungsfeindlich bezeichnet oder verboten.