Mit einer EU-Verfassung soll ein Europa für Konzerne festgeschrieben werden. Die Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten werden nicht gefragt.
Es ist die größte Demonstration im Land seit Jahrzehnten gewesen – und das, was die Demonstrierenden auf die Straße gebracht hat, bewegt Menschen in ganz Europa: 200.000 haben am vergangenen Donnerstag zu Beginn des EU-Gipfels in Lissabon protestiert. Ihr Motto: „Für ein soziales Europa -für die Rechte der Arbeitenden«. Denn die Regierenden der EU-Länder, darunter auch die deutsche, wollen eine europäische Verfassung verabschieden, die weiteren Sozialabbau und beschleunigte militärische Aufrüstung zur Folge haben wird.
Dabei ist eine solche Verfassung bereits vor zwei Jahren am „Nein« der fränzösischen und niederländischen Bevölkerung gescheitert. Nun wollen die Regierungen der EU im Kern das gleiche Vertragswerk verabschieden – nur der Name hat sich geändert: Es heißt jetzt „Reformvertrag«.
Unbeeindruckt von der Ablehnung des ersten Verfassungsentwurfes und der Proteste in der letzten Woche haben sich die EU-Staatschefs den neuen Vertragsentwurf verständigt. Dieser enthält eine Verpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten auf Schrittweise Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten. Der EU-Rüstungsagentur wird Vertragsrang eingeräumt.
Zweitens soll die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten auf eine „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« festgelegt werden. Konzernen wird es damit erleichtert, EU-weit zu agieren, während Arbeitnehmer- und soziale Rechte nur noch als für die Mitgliedsstaaten nicht verbindliche Absichtserklärungen vorkommen.
Während das Kapital sich innerhalb Europas frei bewegen können soll, gibt es im „Reformvertrag« „weitreichende Bestimmungen in Richtung einer repressiven Flüchtlings- und Migrationspolitik«, stellt der LINKE-Abgeordnete im Europaparlament Tobias Pflüger fest.
Auch die globalisierungskritische Organisation Attac lehnt den Verfassungsentwurf ab. Denn mit diesem Vertrag werde die EU „auf eine rigide neoliberale Ausrichtung festgelegt«, sagte. Anne Karras aus dem wissenschaftlichen Beirat von Attac gegenüber der „jungen Welt«. „Im Mittelpunkt steht die Schaffung eines EU-Binnenmarktes mit zügellosem Standortwettbewerb«, so Karras weiter.
Am 13. Dezember wollen die EU-Staatschefs den neuen Vertrag unterzeichnen. Danach muss er in den einzelnen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Diesmal ist lediglich in Irland eine Volksbefragung vorgesehen. In den anderen 26 Ländern der EU sollen allein die Parlamente darüber entscheiden.
Die »Europäische Linke« (EL), ein Zusammenschluss von 15 Parteien in Europa, fordert, Volksabstimmungen über die geplante Verfassung in jedem Mitgliedsland durchführen zu lassen. Der EL gehört in Deutschland DIE LINKE an.
Im deutschen Bundestag wird bereits im nächsten Jahr über das Vertragswerk abgestimmt. Bisher ist DIE LINKE die einzige dort vertretene Partei, die mehrheitlich den „Reformvertrag« ablehnt.
»76 Prozent der Deutschen fordern eine Volksabstimmung über den EU-Reform-Vertrag. DIE LINKE wird dieser Mehrheit eine Stimme im Bundestag geben«, sagte der europapolitische Sprecher der Fraktion, Diether Dehm.
(Michael Ferschke / Frank Eßers)
Mehr auf marx21.de:
- Sarah Wagenknecht (Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE): „Ein neuer Umschlag« (über den »Reformvertrag«)
Mehr im Internet::
- Tobias Pflüger (DIE LINKE im Europaparlament): „Nein zum Reformvertrag – Nein zum Vertrag von Lissabon!«