Die arabische Revolution macht Demokratie und Freiheit im Nahen Osten möglich. Doch die israelische Regierung sieht das vor allem als Bedrohung an, meint Stefan Ziefle
Seit Monaten stimmen Medien die israelische Öffentlichkeit auf einen Krieg gegen Iran ein. Welche Route könnten die Bomber nehmen? Wie stark ist die iranische Luftabwehr? Wo werden die erwarteten iranischen Vergeltungsraketen einschlagen? Diese Fragen diskutieren Mainstream-Medien tagein tagaus. Und natürlich, wann genau der Angriff stattfinden wird. Denn dass Israel Iran bombardieren wird, scheint außer Zweifel.
Die israelische Regierung bläst ins selbe Horn. Verteidigungsminister Ehud Barak hat erst neulich bei einer »Sicherheitstagung«, der sogenannten Herzliya Konferenz, von der Notwendigkeit eines israelischen Angriffs gesprochen. Die Gründe für dieses Verhalten sind sicherlich vielfältig. Einer ist, dass viele Israelis tatsächlich Angst vor dem Iran haben.
Angst vor dem Iran
Ob der Iran eine reale Bedrohung der Israelis darstellt, ist fraglich. Aber angesichts der fast hysterischen Berichterstattung über angeblich mögliche nukleare Attacken einer angeblich durchgedrehten iranischen Regierung, der die Israelis seit nunmehr 20 Jahren ausgesetzt sind, gibt es diese Angst wirklich.
Nur wenige nüchterne Kommentatoren merken an, dass ein Krieg gegen Iran das iranische Atomprogramm langfristig nicht zu stoppen vermag. Gleichzeitig würde er aber die Spannungen in der Region und die Feindseligkeit gegenüber Israel verstärken und unmittelbar allen einen Vorwand liefern, die Anschläge in Israel verüben wollen.
Gerechtigkeit bringt Sicherheit
Die Sicherheit der Menschen in Israel jedenfalls wird ein Krieg nicht erhöhen – so wenig wie alle anderen Kriege der letzten 60 Jahre das vermochten. Der einzige Weg dafür wäre ein gerechter Ausgleich mit den Palästinensern und die gleichberechtigte Integration in die Region.
Aber keine israelische Regierung war bisher dazu bereit, das überhaupt in Erwägung zu ziehen. Zu viel steht für das Establishment auf dem Spiel.
»Entzionisierung Israels«
Ein gerechter Ausgleich mit den Palästinensern würde erfordern, zuallererst zuzugeben, dass man den Staat Israel auf geklautem palästinensischem Land errichtet hat und die palästinensische Mehrheit durch Vertreibung dezimierte, um eine »jüdische Demokratie« zu ermöglichen. Es wäre nötig, die Palästinenser als gleichberechtigte Kultur mit ihrer eigenen Geschichte auf dem Territorium anzuerkennen, Palästinensern die gleichen Rechte zu gewähren und sie für die Verbrechen zu entschädigen.
Das ist es, was israelische und palästinensische Linke als »Entzionisierung Israels« bezeichnen: Die Überwindung des Rassismus, der momentan die ideologische Grundlage des Staates Israels bildet. Auf dieser Grundlage wäre ein Zusammenleben der Völker und Frieden in der Region keine Utopie mehr.
Strategie: Handlanger sein
Da die große Mehrheit der Israelis aber dazu nicht bereit ist, nicht bereit ist auch zu den materiellen Zugeständnissen: Aufgabe von geklautem Bau- und Agrarland, Wasser und anderen Ressourcen, setzt die Mehrheitsgesellschaft auf Gewalt zur Verteidigung des Status Quo – auch wenn die Opfer letztlich ebenso auf der eigenen Seite zu finden sind.
Die Strategie der israelischen Nationalbewegung schon aus der Zeit vor der Gründung Israels bis heute war es, sich großen Imperien als lokaler Handlanger anzudienen, um sich so viel Territorium (und so wenig palästinensische Bevölkerung) wie möglich einzuverleiben. Seit den 1950er Jahren sind dieser Partner die USA.
Diese Strategie hat Konsequenzen für die gesamte israelische Politik: Zuerst muss Israel seinem Bündnispartner immer wieder beweisen, wie unentbehrlich es ist – vor allem militärisch. Gleichzeitig hat sich Israel damit auf Gedeih und Verderb an den großen Mentor gekettet.
Kriege gegen US-Rivalen
Immer wieder erwies sich Israel als hilfreich bei der Bekämpfung von Rivalen für die US-Dominanz in der Erdölregion. Im Kalten Krieg drängte der US-gesponserte Bagdad-Pakt zwischen Israel, Türkei und Irak den russischen Einfluss zurück. 1967 beendete der sogenannte »Sechstagekrieg« Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien die Ambitionen Gamal Abdel Nassers und der arabischen Massenbewegungen der Zeit auf einen geeinigten arabischen Staat.
Der Sieg im »Jom-Kippur-Krieg« 1973 gegen Syrien und Ägypten stärkte den US-Verbündeten Saudi-Arabien in der arabischen Welt und ermöglichte die Erhöhung der Öl-Förderquoten der OPEC. Zu einem Zeitpunkt, als Washington 1981 anscheinend Saddam Husseins Krieg gegen Iran unterstützte (unter der Hand aber auch Iran mit Waffen belieferte), war es Israel, das die irakischen Nuklearanlagen bombardierte.
Zwei Nahostkonflikte
Unter der Hand operierte der israelische Geheimdienst Seite an Seite mit westlichen Diensten in den Ländern der Region, um anti-koloniale oder gar linke Bewegungen zu bekämpfen – in Algerien, im Irak, in Iran, in Syrien und im Libanon. Und Israel konnte immer einen Schritt weiter gehen als seine westlichen Verbündeten, die Rücksicht auf die Stimmung bei ihren arabischen Verbündeten nehmen mussten. So unterstützte Israel im Libanon sogar faschistische Milizen.
Der als Nahostkonflikt bezeichnete Zustand der letzten 60 Jahre ist im Kern zwei Konflikte: einer zwischen der israelischen und der palästinensischen Nationalbewegung um Territorium, Ressourcen und Rechte, und einer zwischen dem US-Imperialismus und der großen Mehrheit der Bevölkerung der Region, der der Reichtum ihrer Länder vorenthalten wird. Durch die Rolle Israels vermischen beide zu einem, die »spezielle Partnerschaft« Israels mit den USA hat entsprechende Bündnisse auf der Gegenseite zur Folge.
Die Rolle Irans
So kommt der Iran, der ursprünglich nichts mit der arabischen Welt und den Palästinensern zu tun hatte, hinzu. Seit der iranischen Revolution von 1978/79 versucht jede US-Regierung, den Iran zu schwächen und zu isolieren, um die Ausbreitung einer Bewegung, die schließlich auch die Kontrolle über das Öl des Landes übernommen hat, zu unterbinden.
Im Gegenzug instrumentalisiert die iranische Regierung den Nahostkonflikt, um die Isolation zu überwinden und Verbündete zu gewinnen. So unterstützte die Regierung über Jahrzehnte verschiedene Gruppen des palästinensischen Widerstandes gegen Israel.
Machtvakuum gefüllt
Alleine das ist der israelischen herrschenden Klasse ein Dorn im Auge. Und deswegen warnen israelische Politiker seit 1991 vor dem Erstarken des Iran. Ihnen war bewusst, dass das »in die Steinzeit Zurückbomben« des Iraks ein Machtvakuum schaffen würde, dass der Iran füllen könnte.
Und je mehr sich die US-Politik auf die Neokolonisierung des Iraks konzentrierte, desto hysterischer wurden die Warnungen aus Tel Aviv vor einem nuklear bewaffneten Iran. Seit nunmehr 20 Jahren steht der Iran, den Angaben israelischer Politiker und Geheimdienste zufolge, immer kurz vor der Fertigstellung von Atomwaffen.
US-Strategie gescheitert
Inzwischen steht fest, dass die US-Strategie zur Beherrschung des Nahen Ostens gescheitert ist. Die Besatzung Iraks wurde zugunsten einer instabilen irakischen Regierung aufgegeben, dasselbe Schicksal steht der Besatzung Afghanistans bevor. Iran erweist sich nun als regionaler Gewinner dieser Politik – und könnte damit, vor allem mit verstärkten Wirtschafts- und Militärbeziehungen zu China, ein ernstzunehmender lokaler Rivale für die USA werden.
Gleichzeitig ist die iranische Regierung aktuell eine Ordnungsmacht, ein stabilisierender Faktor in Irak und Afghanistan. Eine direkte US-Intervention könnte unübersichtliche Folgen für die gesamte Region haben. Die offensichtlich bequemere Option wäre ein israelischer Angriff.
Die arabische Revolution geht weiter
Aber der Iran ist momentan nicht die einzige Bedrohung für den US-Imperialismus in der Region – vielleicht nicht einmal die größte. Die Massenbewegung, die vergangenes Jahr in Tunesien und vor allem in Ägypten pro-westliche Diktatoren stürzte, hat das Potential zu einer tatsächlich demokratischen Umgestaltung der gesamten Region. Die Auseinandersetzungen um die weitere Entwicklung gehen täglich auf den Straßen von Kairo und anderer ägyptischer Städte weiter.
Aber die Auswirkungen sind auch andernorts spürbar. Ziviler Ungehorsam und Massendemonstrationen, unter Überwindung der Angst um das eigene Leben, sind zu einer Protestform auch in anderen Ländern der Region geworden.
Syrien ist das Beispiel, das die Medien täglich vor Augen führen, weil sie sich gegen ein Regime richten, auf das der Westen gut verzichten könnte. Aber dieselben Protestmethoden sind im israelisch besetzten Westjordanland an der Tagesordnung.
Demokratie und Freiheit sind möglich
Der Marsch der 10.000 jungen Palästinenserinnen und Palästinenser aus Syrien zur israelischen Grenze wurde von der israelischen Armee mit der gleichen Gewalt beantwortet, die die syrischen Sicherheitskräfte an den Tag legen. Und die Stimmung für Wechsel ergreift auch die palästinensische Minderheit in Israel.
Demokratie und Freiheit waren so lange keine Option, dass viele schon aufgehört hatten, davon zu träumen. Das hat die Bewegung letztes Jahr verändert. Und das will die Regierung Netanyahu um jeden Preis zurückdrehen – und wenn es zehntausende Menschen im Iran und in Israel das Leben kostet.
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