Recyclingwahn in Hollywood. US-amerikanische Studios setzten immer häufiger auf Fortsetzungen und Neuverfilmungen. Jüngstes Opfer: Stieg Larssons »Verblendung«. Von Marcel Bois
Hollywood scheinen die Ideen auszugehen. Achtziger-Jahre-Klassiker wie »Karate Kid« oder »Freitag der 13.« wurden kürzlich neu verfilmt und von erfolgreichen Blockbustern erscheinen zahllose Fortsetzungen. Allein im nächsten halben Jahr werden weitere Folgen von »Men in Black«, »Ice Age« und »Resident Evil« in die Kinos kommen, wenig später folgen Batman und James Bond.
Auch am europäischen Filmmarkt bedienen sich die US-Studios gerne. So nun geschehen mit Stieg Larssons »Millenium«-Trilogie. Das Remake des ersten Teils der Reihe, »Verblendung«, ist gerade in Deutschland angelaufen. Die Besonderheit hier: Das Original – eine deutsch-skandinavische Co-Produktion – ist gerade einmal drei Jahre alt.
Untertitel unzumutbar
Weltweit spielte der Film von Regisseur Niels Arden Oplev über 100 Millionen Euro ein. In den USA fand er allerdings nur wenige Zuschauer. Dort lief er im Original mit Untertiteln. Für die amerikanische Filmindustrie ein klarer Fall: So etwas könne man dem Publikum nicht zumuten, auch eine Synchronisierung käme nicht in Frage: Die Schauspieler des Films seien in den USA zu unbekannt, Filmästhetik und Sehgewohnheiten seien andere.
Also ereilte »Verblendung« das gleiche Schicksal wie etliche ausländische Filme vorher: Die Produktionsfirma Sony nahm viel Geld in die Hand, engagierte Erfolgsregisseur David Fincher und James-Bond-Darsteller Daniel Craig und verfilmte die Geschichte neu.
Dunkle Familiengeschichte
Ähnlich wie das europäische Original bleibt die US-Version von »Verblendung« nahe am Roman. Es geht um den Großunternehmer Henrik Vanger (Christopher Plummer), der den Enthüllungsjournalisten Mikael Blomkvist (Daniel Craig) damit beauftragt, den Verbleib seiner Nichte Harriet aufzuklären. Seit 1966 ist die spurlos verschwunden. Vanger vermutet, dass sie von einem Mitglied seiner Familie ermordet wurde.
Blomkvist begibt sich zum Familiensitz, der verschneiten Insel Hedeby. Unterstützt wird er von der ebenso intelligenten wie eigentümlichen Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara). Auf der Insel treffen die beiden auf einen Clan, hinter dessen bürgerlicher Fassade sich eine dunkle Familiengeschichte verbirgt.
Zu glatt trotz Tattoo
Regisseur Fincher hat als Macher von »Sieben« und »Fight Club« bewiesen, dass er ein Händchen für die Inszenierung anspruchsvoller Thriller hat. Auf den ersten Blick fällt seine Interpretation von »Verblendung« noch düsterer aus als die Verfilmung von Oplev: Die winterliche Insel Hedeby erscheint als unwirtlicher Ort, das Ambiente ist in kalten Blautönen gehalten. Hierzu passt auch der von Nine-Inch-Nails-Frontmann Trent Reznor komponierte Soundtrack des Films.
Doch trotz der aufwendigen Produktion gelingt es Fincher nicht, die Stimmung des Romans einzufangen. Besonders deutlich wird das bei der Figur Lisbeth Salander. Zweifelsohne liefert Rooney Mara eine solide Darstellung ab, aber sie reicht zu keiner Zeit an die phänomenale Leistung von Noomi Rapace aus der ersten Verfilmung heran. Rapaces Salander merkte man in jeder Sequenz ihre innere Zerrissenheit an, beeindruckend stellte die Schauspielerin die autistische Art Salanders dar. Maras Lisbeth hingegen ist zu glatt und – trotz aller Piercings und Tattoos – fast zu gewöhnlich.
Krise in Hollywood
Das trifft auch auf den gesamten Film zu: Es fehlen die Ecken und Kanten. Finchers »Verblendung« ist zwar in Schweden gedreht worden, aber er könnte auch an jedem anderen Ort der nördlichen Erdhalbkugel spielen. Alles ist westlich-chic durchgestylt. Das mag im Haus des Millionärs Martin Vanger durchaus angebracht sein, lächerlich wird es aber, wenn auch die Redaktionsräume der kleinen, linken Zeitschrift »Millenium« aussehen, als stammten sie aus dem Designerkatalog.
Nervig ist zudem das aggressive Product Placement. Permanent werden dem Zuschauer Produkte großer US-amerikanischer Firmen präsentiert. Hier wird überdeutlich, dass es bei diesem Remake und überhaupt bei Hollywoods Recyclingwahn ums Geld geht. Die Krise ist auch in der Traumfabrik angekommen. Im vergangenen Jahr gingen so wenig Menschen in die US-Kinos wie seit 1995 nicht mehr. Vor drei Jahren haben die Studios 22.000 Beschäftige entlassen. Was liegt also näher als den Erfolg zu planen?
Das funktioniert am besten, indem man auf Geschichten setzt, die schon einmal bewiesen haben, dass sie das Publikum begeistern können. »Verblendung« ist ein Beispiel dafür – zugegeben: ein gelungenes. Dafür sorgt schon die Geschichte, auf der der Film basiert. Doch wer die Originalverfilmung kennt, kann sich guten Gewissens den teuren Kinobesuch inklusive Überlängenzuschlag sparen.
Angaben zum Film:
Verblendung
Regie: David Fincher
USA 2011
158 Minuten
Seit dem 12. Januar im Kino
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