Das Opel-Werk in Bochum steht vor der Schließung, doch die Arbeitsplätze könnten gerettet werden. Allerdings nicht durch Verhandlungen mit den Bossen von General Motors. Von Nils Böhlke
Die Vorstandsspitzen von Opel und General Motors wollen das Opel-Werk in Bochum bis zum Jahr 2016 schließen. Wenn auf die anstehende Tariferhöhung nicht verzichtet wird, drohen sie sogar mit einer Werksschließung schon im kommenden Jahr.
Für die Menschen in der Region ist die Schließung eine Katastrophe: Aktuell arbeiten 3400 Beschäftigte im Bochumer Opel-Werk. Weitere 600 Mitarbeiter arbeiten bei Joint Ventures, Partnerfirmen oder Vertragsfirmen. Als Dienstleister und Gewerbetreibende sind 10.000 Menschen in Bochum vom Opel-Werk abhängig, in Nordrhein-Westfalen sind es insgesamt 45.000 Menschen.
Nach der Abwicklung von Nokia im Jahre 2008 wäre dies der nächste schwere Schlag für die Stadt im Herzen des Ruhrgebiets. Schon jetzt ist die Region einer der ärmsten Ballungsräume in Westeuropa. Durch die Zerstörung von Opel Bochum droht weitere flächendeckende Verelendung.
Kürzungen untergraben Nachfrage
Dabei stellt niemand in Frage, dass die Beschäftigten in Bochum hochwertige, qualifizierte Arbeit leisten und in der Lage sind, gute Autos zu bauen. Zudem haben sie bereits in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, ihren Standort durch Gehaltseinbußen zu retten – keine gute Strategie, wie sich jetzt zeigt, weil das Problem eben nicht zu hohe Löhne sind.
Das Problem ist grundsätzlicher Natur. Die Kürzungspolitik der letzten Jahre – sowohl auf EU-Ebene als auch in der Bundesrepublik – hat die Nachfrage nach Autos weiter zurückgehen lassen. Insbesondere in Südeuropa ist die Zahl der neu zugelassenen Autos dramatisch gesunken. In Spanien und Italien sind im November 2012 gut ein Fünftel weniger Autos zugelassen worden als im Vorjahresmonat. In Frankreich gab es ebenfalls ein Minus von 19 Prozent und auch in Deutschland einen Rückgang um 3,5 Prozent.
Überproduktion von Autos
Opel trifft das besonders, weil die Firma auf den südeuropäischen Märkten sehr präsent war. Ein Ausweichen auf die derzeit wachsenden Märkte in Indien und China – ein Weg, den die anderen deutschen Autobauer gehen – verhindert die interne Politik von General Motors. Stattdessen hat sich General Motors selbst auf diese Märkte gestürzt und das Jahr 2012 mit Milliardengewinnen abgeschlossen.
Aber auch wenn eine solche Ausweichstrategie möglich wäre, bliebe die Konkurrenz doch hart und das eigentliche Problem unangetastet. Seit Jahren krankt die gesamte Branche an Überproduktion, die sich durch jede Krise weiter verschärft. In die hoch technologisierten Automobilwerke wird aufgrund massiver Konkurrenz so viel Geld investiert, dass bei gleichbleibenden Beschäftigtenzahlen nur durch immer höhere Verkaufszahlen noch Gewinne zu erzielen wären.
Da aber insbesondere in Europa die Lohnentwicklung einen solchen Absatz nicht erlaubt, sind Rationalisierungen und auch Werksschließungen immer wieder an der Tagesordnung. Somit wird der Krise immer nur mit weiterem Stellenabbau und mehr Standortschließungen begegnet, ohne dass die strukturellen Probleme damit gelöst werden könnten. Vielmehr werden dadurch die Löhne auch weit über die Automobilbranche hinaus weiter unter Druck gesetzt und noch weniger Autos können abgesetzt werden.
Löhne in der Abwärtsspirale
Bereits kurz nach der Verkündung der Pläne von Opel und General Motors, das Werk in Bochum zu schließen, erklärte der Bochumer Betriebsratsvorsitzende, Rainer Einenkel, dass nun gemeinsames Handeln der verschiedenen Standortbelegschaften geboten ist.
Tatsächlich hat es General Motors in den letzten Jahren immer wieder geschafft, die verschiedenen Standorte gegeneinander auszuspielen, indem eine Art Wettbewerb um die geringsten Kosten für die Produktion bestimmter Modelle stattfand. So konnten Löhne europaweit unter Druck gesetzt werden. Ein Standort, der sich alleine oder auch auf nationaler Ebene isoliert dagegen stellte, war schnell auf verlorenem Posten.
Standorte im Wettbewerb
Leider hat die IG Metall diesem Spiel kaum etwas entgegengesetzt. Unter dem Betriebsratsvorsitzenden Franz wurde gerade die Bochumer Belegschaft zu organisiertem Abbau und Verzicht gezwungen. Es wurde mehr Wert darauf gelegt, die Kürzungsprogramme in Verhandlungen so »sozial« wie möglich zu gestalten. Dabei nahm man die Schließung eines Standorts in einem anderen Land durchaus in Kauf, solange die Arbeitsplätze im eigenen Land für ein paar Jahre gesichert blieben.
Ein spontaner sechstägiger Streik der Bochumer im Jahr 2004 gegen weitere Einsparungen und Stellenabbau wurde von der IG Metall nur unzureichend unterstützt. Statt den Versuch zu machen, die Aktionen auf die anderen Standorte auszudehnen, bemühte man sich, alles zu verhindern, was einer »Verhandlungslösung« im Weg stand. Das Ergebnis ist bekannt. Mit diesem Standortnationalismus muss jetzt gebrochen werden, denn er führt in eine Sackgasse. Die Verteidigung der Arbeitsplätze darf nicht von der Wettbewerbsfähigkeit des betroffenen Standorts oder von der momentanen Kassenlage des Konzerns abhängig gemacht werden.
Identifikation mit dem Betrieb
Es wäre aber falsch, das Problem als gewerkschaftliche Auseinandersetzung zwischen Führung und Basis darzustellen. Gerade in der Automobilindustrie ist die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Produkt und damit auch mit dem Hersteller stark ausgeprägt. Dies hat seit dem Jahr 2004 eher noch zugenommen und wirkt sich auch jetzt wieder in Bochum aus.
So wird derzeit auf der Internetseite des Werkes als eines der wichtigsten Argumente gegen die Schließung vorgebracht, dass dies der Marke Opel nachhaltig schaden würde. Diese Einstellung kann nur durch gemeinsame Kampferfahrung aufgebrochen werden.
Grenzen des Individualverkehrs
Ein langfristiges Lösungskonzept für das Werk in Bochum muss zudem mit einbeziehen, dass die Möglichkeiten des motorisierten Individualverkehrs bereits jetzt weit über die ökologischen Grenzen hinaus ausgereizt sind. Aber auch eine ökologisch nachhaltige Lösung darf nicht an den Beschäftigten vorbei entwickelt werden. Bereits jetzt äußern sich linke Gewerkschafter, wie der ehemalige Betriebsrat Wolfgang Schaumberg von der gewerkschaftlichen Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen«, kritisch gegenüber abstrakt richtigen, aber an den aktuellen Kräfteverhältnissen und Bedürfnissen vorbeigehenden Forderungen, wie beispielsweise der Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf dreißig Stunden. Erst recht gilt dies für Forderungen nach einem Ende des Automobilverkehrs, die auch von Teilen der LINKEN zu hören sind. Deshalb muss bei Opel auf eine mehrstufige Taktik gesetzt werden.
Arbeitsplätze verteidigen
Zunächst muss es darum gehen, die Arbeitsplätze gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen zu verteidigen. Die ersten Streiks Mitte Dezember haben schon gezeigt, dass es eine hohe Kampfbereitschaft bei den Beschäftigten gibt. Die Bochumer Belegschaft hat eine lange Tradition des Widerstandes. Die richtige Antwort auf die Schließung ist ein Streik mit einer Besetzung der Tore wie im Jahr 2004.
DIE LINKE sollte im solidarischen Gespräch mit dem Betriebsrat und den Beschäftigten für die Taktik der »Betriebsbesetzungen« werben und den Kolleginnen und Kollegen Mut machen, zu kämpfen. In Nordrhein-Westfalen ist dazu von der LAG Betrieb & Gewerkschaft, dem Bochumer Kreisverband, der Bochumer Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Sevim Dagdelen, und sympathisierenden Teilen der Belegschaft und auch des Betriebsrats eine AG Opel aufgebaut worden.
Zudem sind sämtliche Kreisverbände in Nordrhein-Westfalen über die Standorte der Zulieferer informiert worden, damit in möglichst vielen Städten Gespräche und Solidaritätsaktionen stattfinden können. Ein erster wichtiger Fokus wird das Solidaritätsfest zum fünfzigsten Jahrestag der Eröffnung des Opel-Werkes am dritten März sein, das gemeinsam von der IG Metall und dem Betriebsrat ausgerichtet wird.
Umweltfreundliche Verkehrsmittel
Verbunden werden muss dieser Streik mit politischen Forderungen, wie sie DIE LINKE zum Teil ja schon gestellt hat. So forderte Bernd Riexinger so hohe Abfindungen, dass sich eine Werksschließung bei Opel nicht mehr lohnen würde, und die Bundestagsfraktion hat schon seit längerem immer wieder ein Verbot von Massenentlassungen gefordert.
Im Rahmen dieses gemeinsamen Kampfes sollten dann auch Schritte diskutiert werden, die die grundsätzliche Problematik im Automobilsektor berücksichtigen. Eigentlich ist ja auch den Beschäftigten klar, dass es erhebliche Überkapazitäten auf dem Automobilmarkt gibt und ein ökologischer Umbau der Produktpalette notwendig ist.
Die Anlagen von Opel sind dann keineswegs überflüssig, man könnte mit ihnen zum Beispiel moderne, umweltfreundliche Verkehrsprodukte herstellen und außer Straßenbahnen, Bussen und Kleinbussen auch Fahrräder oder sogar Blockheizkraftwerke bauen. Ein Zukunftskonzept, das einen ökologischen Mobilitätskonzern zum Ziel hat, muss von der Belegschaft gemeinsam mit Betriebsräten, der IG Metall und eventuell auch weiteren gesellschaftlichen Akteuren aus der Region diskutiert werden.
Opel-Werk verstaatlichen
In der Regel wird aber derzeit noch erwartet, dass dies unter den bisherigen Besitzverhältnissen gelingen kann. Angesichts der ohnehin schon geringen Gewinnerwartungen bei gleichzeitig hohen Investitionskosten ist diese Hoffnung allerdings trügerisch. Für Opel Bochum bedeutet dies konkret, dass der Staat aktiv eingreifen und den Fortbestand des Werkes sichern muss.
Die Bundes- und auch die Landesregierung müssen Opel verstaatlichen und die notwendigen Mittel für ein Zukunftskonzept bereitstellen. Private Investoren werden das niemals tun, da nicht unmittelbar Gewinne in Aussicht stehen.
Bedürfnisse als Maßstab
Doch die Bundesregierung will den Beschäftigten bei Opel nicht helfen. Während in den letzten Jahren eine bankrotte Bank nach der anderen mit Milliarden an Steuergeldern gerettet wurde, ist für die Menschen bei Opel Bochum angeblich kein Geld da.
Aber die menschlichen Bedürfnisse – nicht die zahlungsfähige »effektive Nachfrage« auf der Basis herrschender Klassenverhältnisse – müssen der Maßstab für Nutzen oder Nutzlosigkeit von Produktionsmitteln sein.
Steuergelder gegen Bedingungen
Grundsätzlich muss das Bereitstellen von Steuergeldern an klare Bedingungen geknüpft werden. Die erste und wichtigste Bedingung ist natürlich der Erhalt aller Arbeitsplätze und Standorte. Es dürfen keine Werke geschlossen oder verkauft werden und es muss eine Lohngarantie für die Beschäftigten geben.
Wenn der Staat Steuergelder einsetzt, muss er dafür auch Einfluss und Eigentum erhalten. Keine öffentlichen Mittel ohne öffentliche Kontrolle: Nur so können die Arbeitsplätze und Standorte langfristig gesichert werden.
Zur Person:
Nils Böhlke ist Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der LINKEN in Nordrhein-Westfalen.
Mehr im Internet:
- »Erneuerung durch Streik« vom 1.-3. März in Stuttgart: Anmeldung und weitere Infos unter www.rosalux.de/streikkonferenz
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