Wir trauern um Amy Winehouse. Sie war eine Frau über die sich Moralaposteln beschwerten. Ihr verdienter Erfolg basierte auf der kraftvollen Soulstimme irgendwo zwischen Sarah Vaughan und Billie Holliday sowie der Tatsache, dass sie ihre Songs selbst schrieb und lebte. Ein Nachruf von Karin Wilfingseder.
Amy Winehouse ging mit 16 Jahren von der Schule ab, um professionelle Musikerin zu werden. Mit 18 unterschrieb sie ihren ersten Vertrag bei Island Records. Für ihr 2003 erschienenes Debütalbum »Frank« erhielt sie zwei Nominierungen für die Brit Awards sowie eine für den Ivor Novello Award. Von Amy Winehouses zweitem Album »Back to Black« haben sich weltweit fünf Millionen Exemplare verkauft. Sie stürmte die Charts auf beiden Seiten des Atlantiks. Bei den Grammys erlebte Winehouse einen Triumph und gewann gleich fünf dieser begehrtesten Musikpreise der Welt. War alles bloß ein Hype? Absolut nicht.
Video:
Amy Winehouses Album »Back to Black« zählt zu den besten des Jahrzehnts. Wesentliche Teile ihrer Musik sind Jazz, Soul, Motown, ein bisschen Reggae und Ska. Sie war erstaunlich gut, besonders für jemanden der so jung war. Gebrochenes Herz, unbändige Lust und zerstörende Sucht sind alles Themen, über die sie mit einer seltenen Glaubwürdigkeit singen konnte. Dies war nicht die Musik des sterilen Studios. Der Text im Song Tears Dry On Their Own lautet: »Ich sollte mein Schema ändern – ich sollte meine eigene beste Freundin sein – Mich nicht mit dummen Männern kaputt machen. In Back To Black: »Er ließ mir keine Zeit zu bereuen, sein Schwanz feucht von seiner ewigen Ex – Ich trage meinen Kopf hoch oben – Und meine Tränen trocknen, mache weiter ohne meinen Typen«. Diese fast vulgäre Ehrlichkeit passt in ihre Welt der gleichzeitigen Wut und Traurigkeit. Ein englischer Journalist riet: »Wenn Sie nicht bewegt werden von diesem schönen Song (Back to Black), überprüfen Sie verdammt ihren Lebensfunktionen«. Amys Stimme hatte eine ungewöhnliche Tiefe und eine unbestreitbare Stärke. Sie singt aus ihrem Bauch, aus ihrem Herzen und das sehr, sehr echt. Daher mögen die Menschen ihre Musik.
Sexismus, Vermarktung und Verweigerung
Amy Winehouse Musikauszeichnungen wurden in den Medien hysterisch hinterfragt. Nicht weil irgendein Zweifel an ihrem unglaublichen Talent bestünde, aber sie sei ein schlechtes Vorbild. Wegen ihres skandalösen Lebens dürfe sie nicht mit Preisen ausgezeichnet werden. Das sei ein falsches Signal an die Jugend. Für diejenigen, die gut vermarktbare Kunststoffpuppen schätzen, war Amy ein rotes Tuch. Eine Künstlerin erlaubt sich das, was die meisten Plattenbosse und Massenmedien verbieten: Menschsein. Amy Winehouse war kaum das modellierte Sex-Objekt mit der fragilen Nachtigallstimme, wie wir sie aus den Hitparaden gewöhnt sind. Sie würde von einer Zeitung zu unerotischsten Frau der Welt gekürt, von einer anderen als am schlechtesten gekleidete Frau der Welt. Amy Winehouse versuchte nicht eine dieser aalglatten »Schönheiten« zu sein. Sie ist tätowiert. Sie trägt, was sie mag (einschließlich der Bienenkorbfrisur). Die Medien breiteten ihre Drogenabhängigkeit aus. Sie sagte dazu in einem Interview: »Es interessiert mich nicht, was die über mich schreiben. Das sind ja keine Freunde von mir oder so. Und was ein paar Fremde von mir denken, ist mir echt völlig egal…. Ich bin kein verdammtes Vorbild, will auch keines sein!«. Im Song Some Unholy War singt sie über den laufenden Kampf gegen ihre Drogenabstürze und jene ihres Mannes, ebenfalls ein Musiker: »Nur wir auf dem Küchenboden, das Urteil ist gesprochen, rezitierend – mein Magen steht still – als würdest du mein Testament verlesen, er ist aufrecht trotz seiner Narben – Ich kämpfe bis zu diesem bitteren Ende, nur ich, meine Würde, und dieser Gitarrenkoffer. Würde, würde mein Typ kämpfen, in einem unheiligen Krieg, würde ich hinter ihm stehen – aber für wen kämpfst du, ich wäre auch gestorben, wär ich irgendwie gern«.
Musikerin, nicht Barbie
Amy Winehouse hatte manchmal den Blues, verwandelte ihn aber sofort in freche Soul-Songs. Amy sagte offen wie es ihr geht und machte was sie will. Der frühere Labelchef Berry Gordy hätte Amy Winehouse wahrscheinlich erstmal auf die Benimmschule geschickt. Doch was früher für Diana Ross gegolten haben mag, ließ sich Amy Winehouse nicht gefallen. In ihrem Hit Rehab erzählt die Londonerin die Geschichte ihres ehemaligen Managements, das sie zum Entzug schicken wollte. »Sie wollten mich in die Reha schicken, aber ich sagte nein, nein, nein…«. Für den legendären Motown-Chef wären dieser Exhibitionismus und die Lyrics aus dem Leben des unangepassten Mädchens mit den vielen Flüchen tabu. Soul à la Motown, das hieß früher keine Drogen, Kraftausdrücke oder schlampigen Bühnenoutfits. Als Amy in die Entzugsklinik ging tat sie es aus eigenem Leidensdruck. Sie hat zugegeben, dass sie an Essstörungen leidet: »Ich bin nicht ganz OK, aber ich glaube, dass geht vielen Frauen so«.
Video: Komplettes Livekonzert BBC Live Session
Der US-amerikanischer Jazzsänger Tony Bennett, der mit ihr den neuen Song »Body and Soul« aufgenommen hat, forderte eben erst die Musikindustrie dazu auf, sich um seine abstürzende Kollegin zu kümmern. »Sie ist absolut wundervoll. Wenn es um ihre Musikalität geht, ist sie allen einen Schritt voraus. Sie ist eine natürliche Sängerin. Zugleich ist sie aber absolut hilfebedürftig und bräuchte dringend Unterstützung gegen ihre Sucht: Es wäre zivilisierter, einzuschreiten, aber dann setzt die Gier ein« sagte er auf die Frage eines BBC-Reporters, ob die Branche einschreiten sollte. Der legendäre Sänger weiß wovon er redet. Als Benetts Karriere beendet schien, wäre er 1979 fast an einer Überdosis gestorben. Das Erlebnis rüttelte ihn wach und er kämpfte erfolgreich gegen seine Sucht. Diesen Erfolg im Kampf ums Überleben hat nicht nur er Amy Winehouse gewünscht.
Doch die Musikindustrie gewährte der angeschlagenen jungen Künstlerin keine Auszeit. Immer neue Songs und noch mehr Konzerttermine. Die Medien leuchteten mit ihrer Maschinerie jedes kleineste Detail ihres Privatleben aus, in gedruckten hochglanz Magazinen und Bolevardblättern, wurde lustvoll eine Frau am Boden zur Schau gestellt. Amy Winehouse war eine fantastische Künstlerin, das reicht sowohl für anerkennende Auszeichnungen als auch für eine riesige Menge von Hörerinnen und Hörern. Es ist herzzerreißend, dass die großartige Künstlerin nur 27 Jahre unter uns geweilt hat.