Das Internet bietet die Chance, dass Menschen mehr erfahren und miteinander frei kommunizieren. Doch diese Freiheit des Netzes müssen wir uns heute von Konzernen und Regierungen erkämpfen, meint Dirk Spöri
Was viele ahnten, haben Edward Snowdens Dokumente bewiesen: Die komplette Kommunikation zwischen Europa und Nordamerika wird durch das angezapfte Atlantik-Kabel von Geheimdiensten überwacht. Auch die deutsche Regierung versucht seit Jahren mit Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner und dem Durchsuchen von PCs ihre Kontrolle über das Internet auszuweiten. Überwachungsprogramme des US-amerikanischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA) wie »PRISM« speichern jeden Monat hunderttausende Datensätze.
Offenbar ist das Internet weder frei noch offen. Aber wem gehört das weltumspannende Netzwerk und wieso kann es so einfach überwacht werden?
Privatisiertes Internet
Die erste Antwort lautet: Das Internet wurde in den letzten zwanzig Jahren weitgehend privatisiert. Große Teile der Infrastruktur gehören wenigen großen Telekommunikationskonzernen, die mit der weltweiten Privatisierungswelle in den 90er Jahren in vielen Ländern zu Aktiengesellschaften wurden. Zudem sind faste alle im Internet bereit gestellten Dienste wie E-Mail, Suchmaschinen oder soziale Netzwerk im Besitz von Konzernen wie Microsoft, Apple, Google oder Facebook.
Denn in den vergangenen Jahren fand ein Konzentrationsprozess statt: Google hat 2006 Youtube gekauft, Skype ist seit 2011 eine Marke von Microsoft. In Deutschland übernahm Freenet 2007 Mobilcom.
Als am 17. August einige Google-Dienst kurzzeitig nicht funktionieren, sank der Datenverkehr im Internet um 40 Prozent. 90 Prozent der US-Amerikaner verwenden für E-Mails Dienste von Microsoft, Yahoo oder Google.
Idealistische Anfänge
Doch das war nicht immer so. In den 60er Jahren wurden die Vorläufer des Internets an US-amerikanischen Universität als dezentrales Netzwerk zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Computern, aber auch zwischen Menschen, entwickelt. Die Wissenschaftler, die damals an den Technologien arbeiteten, die später zum Internet wurden, waren begeistert von deren Möglichkeiten. Für sie war Austausch und Zusammenarbeit statt Konkurrenz und Überwachung eine Leitidee.
Joseph »Lick« Licklider, ein Psychologe, der in der Frühzeit an der Entwicklung des Internets beteiligt war, beschrieb damals »die zunehmende Bedeutung von gemeinsamer, konstruktiver und sich gegenseitig verstärkender Kommunikation […] nun wissen wir beide etwas, das zuvor nur einer von uns wusste. Wenn Menschen interagieren, entstehen neue Ideen. Wir wollen über den kreativen Aspekt von Kommunikation reden.«
Militärische Nutzung
Doch wie bei vielen technologischen Entwicklungen erkannte das Militär früh deren Potenzial. In den 70er Jahren sah das US-Verteidigungsministerium in der dezentralen Struktur des Internets die Chance, ein Netzwerk aufzubauen, das auch nach einem Atomkrieg funktionieren würde. Entscheidend war, dass es auch weiterarbeiten würde, wenn zahlreiche Rechner und Knoten ausfallen. Mit militärischen Forschungsgeldern wurde ein dezentrales Netzwerk erforscht und aufgebaut, das zum Glück nie diesem Zweck dienen musste.
Einen weiteren Nutzen erkannte das Militär damals zum Glück nicht. Deshalb wurde das Internet vor allem an Universitäten weiter entwickelt. Die Idee der Gleichberechtigung aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer blieb dadurch für lange Zeit erhalten. Dave Clark formulierte über die »Internet Engineering Task Force«, ein noch heute existierendes und für die Einführung von technischen Standards und Regeln zuständiges Gremium: »Wir wollen keine Könige, Präsidenten und Wahlen. Wir glauben an einen groben Konsens und an einen ablauffähigen Code.«
Kooperation statt Konkurrenz
Entsprechend der Idee von »Lick« war die Entwicklung des Internets stark von Zusammenarbeit statt Konkurrenzdenken geprägt. Webserver, -browser oder E-Mail-Programme wurden weitgehend als Open-Source-Software entwickelt: Das heißt, der Quellcode ist frei zugänglich und kann beliebig genutzt und verändert werden. Die Idee dabei ist, dass bessere Anwendungen entstehen, wenn möglichst viele Menschen Fehler im Code finden und korrigieren können.
Noch heute ist die meist genutzte Software für das Bereitstellen von Internetseiten open source und gehört keinem Unternehmen. Auch der Browser Firefox und das E-Mail-Programm Thunderbird gehören der Non-Profit-Organisation Mozilla und werden mit frei zugänglichem Quellcode weiterentwickelt. Das ist der Beweis, dass technischer Fortschritt auch ohne Konzerne oder Staaten funktioniert
Wende in den 90er Jahren
Die Nutzung des Internets hat sich Ende der 80er Jahre stark verändert, als es von US-amerikanischen Universitäten auf Hochschulen auf der ganzen Welt ausgeweitet wurde. Weil es damit von überdurchschnittlich gut verdienenden Menschen genutzt wurde, begannen bald auch Konzerne, im Internet für ihre Waren und Dienstleistungen zu werben und sie dort zu verkaufen.
Damals stießen die Unternehmen noch auf großen Widerstand. Als eine Anwaltskanzlei Werbung für die Green-Card-Lotterie an einen großen Internet-Verteiler schickte, war der Aufschrei groß, denn das Unternehmen verstieß damit gegen die vorherrschende Ablehnung von Werbung und Kommerz. Die Firma wurde daraufhin so sehr mit E-Mails bombardiert, dass ihre EDV-Infrastruktur lahm gelegt war.
Globale Telekommunikationskonzerne
Parallel zur Ausbreitung des Internets privatisierten die Regierungen seit Anfang der 80er Jahre die Post- und Telefongesellschaften. Die erste war Margaret Thatcher mit der Privatisierung der British Telecom 1984.
Damals war die Infrastruktur des Internets, vor allem Überlandleitungen, die Städte, Staaten und Kontinente verbinden, noch im Besitz von Universitäten. Doch mit der Privatisierung von Telefon und Post wurde der massive Ausbau in den 90er Jahren an die neuen Großkonzerne vergeben. Vor der Privatisierung der Deutschen Telekom bezahlte der Staat Milliarden Euro für das Verlegen von Glasfaserkabeln. Als das Unternehmen 1995 an die Börse gebracht wurde, bekam es die mit Steuergeldern geschaffenen Kabelnetze geschenkt und gründete darauf den globalen Telekommunikationskonzern.
Privat, aber nicht ohne staatlichen Einfluss
Wie die Enthüllungen von Edward Snowden zeigen, ist ein privatisiertes Internet kein Schutz vor staatlichen Eingriffen oder Kontrollen. Vielmehr hat der Konzentrationsprozess den staatlichen Zugriff erleichtert.
Während der dezentrale Aufbau des Internets eine Kontrolle grundsätzlich schwierig gemacht hat, ist diese heute einfacher geworden. Die Kommunikation findet über immer weniger, immer größere Aktiengesellschaften statt, die den Regierungen auf Wunsch die vollständige Kontrolle überlassen.
Würden Unternehmen wie Google oder Facebook vollständig abgeschaltet, können die Menschen ihre Kommunikation nicht ohne weiteres anders fortsetzen. Zu marktbeherrschend sind die großen Konzerne.
Verboten und abgeschaltet
Wer das für undenkbar hält, liegt leider falsch. Im größten Land der Welt sind sowohl Google als auch Facebook blockiert und viele andere Internetseiten stark zensiert. Der Grund ist, dass die beiden Konzerne der chinesischen Regierung ihre Daten nicht überlassen wollen, der US-amerikanischen Regierung aber sehr wohl, wie wir wissen. Aber auch in Deutschland hat die Polizei die Internetseite für die Anti-Atomkraft-Kampagne »Castor? Schottern!« verboten und abgeschaltet.
Der Philosoph Slavoj Zizek beschreibt die aktuelle Entwicklung zum »Cloud Computing«, bei dem Daten, ob Urlaubsbilder, E-Mails oder vertrauliche Dokumente, nicht mehr auf dem eigenen Rechner, sondern im Internet abgelegt werden, mit der Möglichkeit, dass »alles erreichbar wird, aber nur durch die Hände einer Firma, die alles besitzt: Software und Hardware, Inhalte und Rechner.«
Durch ihre Macht über die wichtigsten Internetseiten kontrollieren Google, Apple und Co. schon jetzt auch die Inhalte. Facebook zensiert regelmäßig Inhalte, Google entfernt auf Wunsch von Regierungen Treffer aus seiner Suchmaschine und Apple bestimmt, was im AppStore oder iTunes gekauft werden kann. Das privatisierte Internet ist ein Internet, in dem wenige, große Konzerne bestimmen, was die Mehrzahl der Internetnutzer zu sehen bekommt. Als Gegenparole leitet Zizek in Anlehnung an Wladimir Lenins Formel »Sozialismus = Elektrifizierung + Räteherrschaft« die neue Forderung »Sozialismus = Freier Zugang zum Internet + Räteherrschaft« ab.
Öffentliches Netz
Viele Internetaktivisten kritisieren die aktuelle Entwicklung des Netzes. Beispielsweise haben viele gemerkt, dass die Idee von freier, für jeden kopier- und nutzbarer Software vor dem Hintergrund von Patentkriegen und ACTA sehr politisch geworden ist. Richard Stallmann von der «Free Software Foundation« schreibt: »Und wenn Zyniker Freiheit lächerlich machen, Gemeinschaft verspotten, (…) wenn knallharte Realisten sagen, dass Profit das einzige Ideal ist, (…) einfach ignorieren.«
Im Sinne Zizeks bräuchte es ein Internet als öffentliches Gut, das wie Wasser oder Strom jedem Menschen gleichermaßen zur Verfügung steht. Für ein Medium, dass von seiner gemeinsamen Nutzung, von einer wachsenden Beteiligung der Menschen lebt, sollte das eigentlich auf der Hand liegen.
Im »Berliner Manifest zur Grundversorgung in der Netzgesellschaft«, welches vom Chaos Computer Club, von Gewerkschaftern und anderen geschrieben wurde, heißt es: »Jeder Bürger benötigt einen Zugang zum Internet mit ausreichender Bandbreite.« Das Manifest argumentiert dafür, den Begriff der Grundversorgung auch auf das Internet auszudehnen. Weiterhin wird die schrittweise Privatisierung von öffentlichen Wissensbeständen als ein »Vergehen an der Allgemeinheit« kritisiert. Gemeinschaftsgüter müssen vor »privater Vereinnahmung« geschützt werden. Alles was mit öffentlichen Geldern oder Zuschüssen finanziert wurde, müsse für die Öffentlichkeit frei zur Verfügung gestellt werden.
DIE LINKE und das Internet
In diesem Sinne schreibt DIE LINKE in ihrem Parteiprogramm: »Das Internet ist […] ein öffentliches Gut.«
Kernforderung der LINKEN sollte ein freies Internet sein. Frei bedeutet dabei:
- Frei zugänglich für alle, unabhängig vom Geldbeutel
Durch die Preispolitik der Internetanbieter werden schon jetzt viele Menschen von der Nutzung des Internets ausgeschlossen. Verbilligte Tarife wie beim Telefon für Erwerbslose gibt es beim Internet nicht. Als LINKE fordern wir, dass ebenso, wie alle Menschen Zugang zum Telefon haben sollte, auch für jede und jeden unabhängig vom Einkommen Zugang zum Internet bestehen sollte
- Freier Zugang ohne Filter
Der Internet-Zugang soll ohne Zensur und ohne Speicherung der Zugriffe möglich sein.
- Frei von Bevorzugung von Diensten einzelner Anbieter aufgrund von Verträgen mit privaten Betreibern oder aufgrund staatlicher Vorgaben
- Freie Dienste
Für die wichtigsten Dienste wie Webserver, E-Mail, Telefon, Chat oder soziale Netzwerk muss es öffentliche, also nicht in privatem Besitz befindliche und sichere, also verschlüsselte Anbieter geben. Solche Kommunikationsdienste müssen transparent sein und demokratisch kontrolliert werden. Wir können weder Unternehmen noch dem Staat vertrauen, wenn es um die Freiheit und Sicherheit des Internets geht.
Doch die Entwicklung der letzten Jahre ging in eine andere Richtung. Nur in einer freien Gesellschaft ohne Privateigentum an Produktionsmitteln wird das Internet wirklich frei nutzbar sein. Dabei kann das Internet kann eine wichtige Rolle im Kampf um eine andere Gesellschaft spielen. Und die Geschichte des Internets zeigt, welche enormen Möglichkeiten Menschen schaffen, wenn sie solidarisch zusammenarbeiten. In diesem Sinne kämpfen heute zehntausende Menschen auf der ganzen Welt darum, Privatisierung und Kontrolle im Internet zu verhindern.
Zur Person:
Dirk Spöri ist Mitglied des Geschäftsführenden Landesvorstands der LINKEN Baden-Württemberg und Mitglied des Koordinationskreises von marx21.
Aktiv werden:
Überwachung stoppen, Geheimdienste abschaffen!
Solidarität mit Snowden, Manning und Co.
- 31.8.: #StopWatchingUs – weltweiter Aktionstag
http://demonstrare.de/demonstrare/stopwatchingus-international-day-of-privacy-idp-31-08-2013
- 7.9.: Bundesweite Demo »Freiheit statt Angst«
http://blog.freiheitstattangst.de/
und
http://www.die-linke-berlin.de/nc/politik/termine/detail/browse/1/zurueck/termine-37/artikel/freiheit-statt-angst-3/
Mehr auf marx21.de:
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