In Berlin demonstrierten 130.000 Krankenhausbeschäftigte gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen und beständig sinkende medizinische Versorgungsqualität der Bevölkerung. Tobias Paul erklärt die Hintergründe der Proteste.
Kittel, Mundschutz und Haube hatten viele wie üblich angezogen, nur standen Ärzte, Schwestern und Pfleger gestern nicht im OP und an den Betten ihrer Patienten, sondern waren auf den Straßen Berlins unterwegs. Nach Angaben der Veranstalter, die sich im Aktionsbündnis „Rettung der Krankenhäuser« zusammengeschlossen hatten, war dies die größte Demonstration in der Geschichte des deutschen Gesundheitswesens. Auf einem Transparent war zu lesen: „Geiz in der Klinik ist tödlich«. Auch die Kundgebungsredner wiesen darauf hin, dass die am Vortag von der Bundesregierung beschlossene Finanzspritze von angeblich rund drei Milliarden Euro bei weitem nicht ausreiche. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske erklärte: „Nach 16 Jahren Budgetdeckelung und zusätzlicher Kürzungsvorgaben ist die Leistungsfähigkeit vieler Kliniken in erheblichem Maße beeinträchtigt. Die Folgen sind eine dramatische Überforderung des Krankenhauspersonals und zunehmend auch eine Gefährdung der Patienten«.
In den vergangenen zehn Jahren sind laut Bsirske rund 100.000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Zugleich habe sich die Zahl der Patienten um eine Million erhöht. Unter tosendem Applaus der Demonstrierenden forderte er die Politik zum Handeln auf: „Hören Sie auf, den Banken das Geld hinterherzuwerfen und geben Sie es statt dessen den Krankenhäusern, wo es für die Menschen Sinn macht.« Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft(DKG) stellte in einer Reaktion auf den neuen Gesetzesentwurf der Bundesgesundheitsministerin fest: „Die Bundesregierung befreit die Krankenhäuser nicht aus ihrer schwierigen Lage. Insgesamt stehen die Kliniken allein für die Jahre 2008/2009 vor einer Finanzierungslücke von ca. 6,7 Mrd. Euro. Mit den weniger als 1,5 Mrd. Euro, die der Gesetzentwurf als Teilausgleich für die Tarifsteigerungen vorsieht, werden die Personalkostensteigerungen für die Krankenhäuser von 4,2 Mrd. Euro nicht einmal zu 50 Prozent gedeckt.«
„Der Deckel muss weg« – immer noch!
Die nicht ausreichende Refinanzierung von inflationsbedingten Kostensteigerungen gab den Ausschlag dafür das die Krankenhausbetreiber und Gewerkschaften ihre Kampagne „Der Deckel muss weg« nannten. Allein die Energiepreissteigerungen von 25 Prozent und die steigende Inflation werden die Krankenhäuser rund 3 Milliarden Euro kosten. Viel Geld auf dem die Krankenhäuser weiter sitzen bleiben werden, wenn sich nicht etwas grundlegen ändert.Doch im neuen Gesetztentwurf von Ulla Schmid ist diese Kostenentwicklung der Krankenhäuser nicht berücksichtig.
Die alten Pflegesätze bzw. die seit 2004 über die DRG-Fallpauschalen (marx21 berichtete) ermöglichten Entgelte sind seit 1992 an die sogenannte Grundlohnrate angebunden. Diese lag für 2008 bei 0,64 Prozent. Von denen obendrein 0,5 Prozent als Sanierungsbeitrag für die gesetzliche Krankenkassen abgezogen wurden. Die aus der Lohnentwicklung der Vergangenheit abgeleitete Grundlohnrate ist die gesetzliche Obergrenze für die Preiszuwächse der Fallpauschalen, mit denen inzwischen über 90 Prozent der Krankenhausleistungen vergütet werden. Die Bundesregierung errechnet die Grundlohnrate auf Basis der von den Krankenkassen gelieferten Berichte ihrer Einnahmen. Die Einnahmesituation der Krankenkassen hängt von verschiedenen Entwicklungen ab. Unter anderem vom Anteil der sozialversicherungspflichtigen Jobs überhaupt, sowie von der allgemeinen Lohnentwicklung. Zwar ist das Ende der Zurückhaltung der Gewerkschaften in der Tarifpolitik u.a. in diesem Zusammenhang erfreulich, aber ein Großteil der im Aufschwung entstandenen Jobs sind im Niedriglohnbereich angesiedelt, und tragen dementsprechend wenig zur Einnahmesituation der Krankenkassen bei. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit könnte im schlimmsten Fall dazu führen, das die Grundlohnrate sogar in den Negativbereich abrutscht, und somit weniger Geld vom Staat für die Krankenhäuser zur Verfügung stünde.
Das neue Gesetz sieht zwar eine Abkehr von der Grundlohnrate vor, wie es Gewerkschaften und Krankenhausbetreiber fordern, allerdings erst ab 2011. Bis dahin soll das Statistische Bundesamt einen sogenannen Orientierungswert entwickeln, der angeblich besser auf die allgemeinen Preissteigerungen in den Krankenhäusern reagieren soll. Es bleibt also erstmal alles beim Alten. Auch weiß niemand genau wie der Orientierungswert Rücksicht nimmt auf Inflation und Tarifsteigerungen. Letztenendes wird es bei der Entscheidung der Bundesregierung bleiben, inwieweit dieser Orientierungswert angewendet wird. Das im aktuellen Gesetz weniger als 50 Prozent der Tarifsteigerung übernommen, und überhaupt keine Rücksicht auf die Inflation genommen wurde, läßt schon mal erahnen was die Zukunft bringt.
Wie die Krankenhäuser kaputt gespart wurden
Mit der Umstellung der Vergütung der Leistungen der Krankenhäuser von Tagessätzen auf die DRG-Fallpauschalen sind ca. 60000 Jobs im Pflegebereich vernichtet worden. Das neue Gesetz sieht nun 220 Millionen Euro vor, um 21000 Arbeitsplätze für Pflegekräfte zu schaffen. 70% der Kosten werden durch die Gesetzlichen Krankenkassen(GKV) getragen. Der Rest soll über Kostenbeteiligungen der Krankenhäuser bezahlt werden. Die DKG weißt zurecht darauf hin, das viele Kliniken überhaupt nicht in der Lage sind, sich an irgendwelchen Kosten zu beteiligen. Angesichts des Jobabbaus der vergangen Jahre, und der zu erwarteten Probleme bei der vollständigen Umsetzung der zusätzlichen Stellen, zeigt sich das dieser Teil des Gesetzes leider nur Populismus, und keine ernst zunehmende Antwort auf die Probleme des Pflegepersonals ist. Dazu kommt, das der Jobabbau bei den Krankenhäusern noch nicht seinen Tiefstand erreicht hat. Der Präsident der DGK, Georg Braun, äußerte sich dazu folgendermaßen: „Auf die Kliniken rollt weiterhin eine milliardenschwere Kostenlawine zu, die zu weiteren Einsparungen beim Personal zwingt. Alleine für das Jahr 2009 sind mehr als 20.000 Arbeitsplätze gefährdet.«
Die Soforthilfe, die gestaffelt über 3 Jahre gewährt werden soll, wäre damit schon nach einem Jahr nichts mehr wert. Außerdem beläuft sich die Finanzierungslücke bei den Krankenhausinvestitionen je nach Schätzung zwischen 20 – 50 Milliarden Euro. Im Rahmen der dualen Finanzierung sind die einzelnen Bundesländer gesetzlich verpflichtet für die notwendigen Investitionen aufzukommen. Diese kamen dem aber in den letzten Jahren aber immer weniger nach. Im Zuge der Einführung der DRG-Fallpauschalen, und dem dadurch eingeleiteten Verdrängungswettbewerb hat sich die Dringlichkeit für die Krankenhäuser in dieser Frage vergrößert. Das führte dazu, das immer mehr Kliniken bereit waren, Investitionen aus dem für die Patientenversorgung vorgesehen Erlösen der DRG-Fallpauschalen zu verwenden. „Die Krankenhäuser haben in den letzten Jahren 20 Prozent ihrer Investitionsmittel beim Personal abgeknöpft – weil die Länder ihre gesetzliche Pflicht zur Finanzierung der Investitionen seit vielen Jahren verletzen.«, sagte der ver.di Vorsitzende Frank Bsirske bei seiner Rede auf der Demonstration in Berlin.
Diesen Skandal will die Bundesgesundheitsministerin, wenn auch nur verbal, beheben. Der im Rahmen des Gesetzentwurf dazu aufgelegte Vorschlag, so genannte Investitionspauschalen einzuführen, trifft allerdings auf Widerstand aus den Bundesländern. Diese wollen sich nicht einfach vom Bund auf irgendwelche Finanzierungsmechanismen(so schlecht sie auch immer sein mögen) festlegen lassen. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist zu lesen: „Grundsätzlich soll die Investitionsfinanzierung ab 2012 auf Investitionspauschalen umgestellt werden, wenn sich die Länder hierzu entscheiden. Dazu wird ein gesetzlicher Auftrag zur Entwicklung einer Reform der Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser durch leistungsorientierte Investitionspauschalen bis Ende 2009 erteilt. Die näheren Einzelheiten des Verfahrens hierzu legen Länder und Bund fest.«
Abgesehen davon das sich bis 2012 in dieser Sache nichts verändern wird, liest sich dieser Teil wie eine Grabrede für das Reformprojekt. Es ist abzusehen das bis Ende 2009 Bund und Länder sich in dieser umstrittenen Frage nicht einigen werden. Die Zustimmung durch den Bundesrat wird eine unüberwindbare Hürde bleiben.
Private Konzernen reiben sich die Hände
In den Schubladen des Bundesgesundheitsministerium lauert allerdings ein Ersatzplan, sollte es mit den Ländern in der Krankenhausfinanzierung keine Einigung geben. Dieser sieht vor, die duale Finanzierung komplett abzuschaffen, und in Zukunft die Investitionen alleine über die Krankenkassen zu finanzieren. Die Investitionspauschalen, die in Zusammenarbeit mit den für die DRG-Fallpauschalen verantwortlichen Institut entwickelt werden sollen, könnten im Prinzip nicht nur dazu dienen, die Bundesländer in irgendwelche Finanzierungsmechanismen zu drängen, sondern auch für das Projekt der Monistik verwendet werden. Die Monistik(die Finanzierung der Krankenhäuser aus einer Hand) sieht eine Krankenhausfinanzierung über die Krankenkassen vor. Dieses Modell ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Hierzu der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Frank Spieth: „Krankenhäuser sind Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Deshalb muss es auch bei aus Steuern finanzierten Investitionen bleiben. Es kann nicht sein, dass nur ein Teil der Gesellschaft, die Beitragszahler in den Gesetzlichen Krankenkassen, alleine mit der Finanzierung der Krankenhäuser belastet wird. Dies ist ordnungspolitischer Unsinn, denn die nicht gesetzlich Krankenversicherten zahlen nichts. Außerdem ist es ein sozialpolitischer Skandal, dass man zu den erheblichen Beitragsbelastungen jetzt den gesetzlich krankenversicherten alleine die Finanzierung der Krankenhäuser obendrauf setzen will.«
Hinzu käme das der Druck der Lohnnebenkostendebatte voll auf die Krankenhausinvestitionen öffentlicher Häuser umgelegt würde. Dies läßt erwarten das die Krankenkassen mit Sicherheit nicht Teil der Lösung, sondern eher ein noch größeres Teil des Problems werden. Private Krankenhauskonzerne, die ihre Investitionen aus den erwirtschafteten Gewinnen finanzieren, hätten es somit noch leichter sich im Wettbewerb auf dem Krankenhausmarkt zu behaupten. Neben den unzureichenden Konzepten der Bundesregierung zur Notlage der Krankenhäuser, gibt es einen weiteren Grund warum sich die Chefetage der privaten Krankenhauskonzerne, trotz rückläufiger Privatisierungszahlen, beruhigt zurück lehnen kann. Die durch die internationale Krise an den Finanzmärkten ausgelöste Abkühlung der Konjunktur wird voraussichtlich auch zu einem niedrigeren Steueraufkommen bei Bund, Ländern und Kommunen führen. Bereits im Juni diesen Jahres referierte der Vorstandsvorsitzende der RHÖN-KLINIKUM AG, Wolfgang Pföhler, auf der Hauptversammlung über die Privatisierungstendenzen der einzelnen Krankenhausträger:
„2007 wurde die Privatisierungsneigung bei den Gebietskörperschaften erwartungsgemäß durch die gute Konjunktur gebremst. Städte und Gemeinden verzeichneten höhere Gewerbesteuereinnahmen und konnten Verluste in ihren Kliniken relativ leicht ausgleichen. Die Ruhephase bzw. gefühlte Windstille auf dem Markt für Klinikprivatisierungen war erwartungsgemäß von kurzer Dauer. Zum einen haben der wirtschaftliche Druck und die Verluste in vielen Kliniken zugelegt. Zum anderen sitzt das Geld bei den Gebietskörperschaften wegen des konjunkturellen Abschwungs und sinkender Gewerbesteuereinnahmen längst nicht mehr so locker. Damit wird die Privatisierung von Kliniken wieder öfter als politisch akzeptierte Alternative und als Chance zur langfristigen Sicherung einer zeitgemäßen Patientenversorgung angesehen.«
Kampf gegen Privatisierung ist noch nicht verloren
Die Aussichten für öffentliche und gemeinnützige Krankenhäuser im brutalen Verdrängungswettbewerb zu überleben, sind auch 2008 schlechter geworden. Der Kampf gegen Privatisierung, der sich bisher auf Abwehrgefechte einzelner betroffener Krankenhäuser beschränkte, kann nur dadurch gestärkt werden, wenn der Widerstand gegen die Marktmechanismen auf dem Krankenhausmarkt insgesamt aufgenommen wird. Neben der richtigen Forderung zur Abschaffung der Grundlohnrate, ist es auch notwendig, die seit 2004 in Kraft getretene Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf die DRG-Fallpauschalen ins Fadenkreuz zu nehmen. Dabei wäre eine völlige Abschaffung nicht notwendig. Lediglich eine Entkopplung des durchaus nützlich verwendbaren Datenmaterials von dem System der Pauschalierung wäre von Nöten, um auf dieser Grundlage eine wirklich bedarfsorientierte, auf regionale Bedürfnisse eingehende Planung der Krankenhausleistungen vorzunehmen. Die Pauschalierung der DRG ist dafür verantwortlich das wir einen blinden Verdrängungswettbewerb haben, auf dem sich über kurz oder lang private Krankenhauskonzerne durchsetzen werden. Es ist höchste Zeit diesen Spieß herum zu drehen. Der Kampf gegen Privatisierung und für eine gerechte Gesundheitsversorgung für alle ist noch nicht verloren. Die große Teilnahme an der Demonstration zeigt, dass die Beschäftigten bereit sind, zu kämpfen. So muss es weiter gehen.
Zum Autor:
Tobias Paul arbeitet in einem Krankenhaus und ist aktiv bei Die LINKE Darmstadt.
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