Die Frauen-Aktivistin Malalai Joya lebt in Afghanistan im Untergrund. Auf Einladung der LINKEN kam sie nach Deutschland. Im marx21-Gespräch erklärt sie, warum die US-Armee in Afghanistan bleibt und die Präsidentschaftswahl am 5. April gar keine Wahl bietet
Interview: Anton Thun
marx21: Hallo Malalai, wieso bist du gerade in Deutschland? Welche Bedeutung haben für dich diese Reisen in andere Länder?
Malalai Joya: DIE LINKE hat mich nach Deutschland eingeladen. Für mich ist diese Möglichkeit wichtig, um den leidenden Menschen in Afghanistan auch hier eine Stimme zu geben und den gerechtigkeitsliebenden Menschen hier von der Situation bei uns zu berichten. Ich will vor allem auch von der unglücklichen Lage der Frauen in meinem Land erzählen und hier um internationale Solidarität bitten, die wir dringend brauchen.
Wie ist die Sicherheitslage in Afghanistan?
Leider nicht gut. Sogar scheinbar sichere Bereiche werden angegriffen. Vor Kurzem wurde fünf Kilometer vom Präsidentenpalast das scheinbar sicherste Hotel Kabuls angegriffen und einige Menschen umgebracht. Darunter auch Afghanen.
Zehntausende Menschen wurden von den terroristischen Gruppen und den Besatzungskräften umgebracht. Wenn es in Afghanistan keine Sicherheit gibt, wie soll es Demokratie oder gleiche Rechte für Frauen geben?
Was ist das Ergebnis von 13 Jahren Besatzung?
Die Besatzer haben Afghanistan zum Zentrum der Drogenproduktion gemacht. Heute kommen mehr als 90 Prozent des weltweit hergestellten Opiums aus Afghanistan. Es gehört den Drogenbaronen und Kriegsfürsten, die von der US-Armee an der Macht gehalten werden.
Hat sich für Frauen wirklich gar nichts verbessert?
Nein. Sie werden misshandelt, öffentlich gehängt und gesteinigt. Diese Gewalt gegen Frauen kommt immer häufiger vor. Viele Aktivistinnen wurden umgebracht.
All das sind Folgen des 12 Jahre langen sogenannten „Krieg gegen den Terror«. Dieselben Verbrecher sind seit Jahren an der Macht, nur unter verschiedenen Bannern. Diese Situation wird immer mehr Blut kosten und mehr Leid hervorrufen.
Ist es gut, dass US-Armee und Bundeswehr Ende des Jahres abziehen?
Sie ziehen nicht ab. Sie streuen nur Sand in die Augen der friedensbewegten Menschen im Westen. Die Stärke der US-Armee wird um 4000 Soldaten verringert, aber sie behalten ihre Stützpunkte in Afghanistan.
Die Veröffentlichungen von Edward Snowden und Bradley Manning haben gezeigt, dass selbst Menschen aus dem Inneren der Kriegsmaschine die Lügen nicht mehr ertragen. Das setzt die Herrschenden unter Druck. Deshalb täuschen sie den Abzug vor.
Doch in Wirklichkeit wird nun ihr Recht auf militärische Besatzung mit dem „bilateralen Sicherheitsabkommen“ gesetzlich garantiert. Zudem wird sämtlichen US-amerikanischen Soldaten garantiert, dass sie für ihre Morde niemals vor ein afghanisches Gericht gestellt werden können. Das bedeutet die Versklavung meiner Heimat.
Warum bleibt die US-Armee in Afghanistan?
Die USA kamen wegen ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen mit der Armee nach Afghanistan. Sie wollen ihren Fuß nach Asien setzen, ähnlich wie es jetzt Russland in der Ukraine tut. Diese Interventionen bringen nur Tragödien und Blutvergießen für die Menschen dieser Länder.
Was wollen die Menschen in Afghanistan?
Die jetzige Regierung ist eine Marionettenregierung. Die USA hat Afghanistan besetzt, es ist ihre Regierung. Was sie wollen, werden sie machen. Die letzten 12 Jahre waren genug Zeit, um das zu verstehen. Kein auswärtiges Land kann einer anderen Nation Freiheit bringen, das hat die Geschichte gezeigt. Die Menschen in Afghanistan sagen, wenn das, was die USA und NATO hier gemacht haben, Demokratie ist, dann wollen wir keine Demokratie. Die westlichen Besatzer haben die Idee der Demokratie betrogen, genauso wie die Sowjetunion es tat, als sie in meiner Heimat Verbrechen im Namen des Sozialismus begangen hat.
Was wird die Präsidentschaftswahl am 5. April bringen?
In einer Demokratie sind Wahlen bedeutend, aber Afghanistan ist keine Demokratie. Dort kandidieren einige der reichsten Männer des Landes und geben jetzt Millionen Euro für ihre Wahlkampagnen aus, während die Menschen nicht genug zu Essen haben.
Zum Beispiel kandidiert ein Mann, der Osama Bin-Laden Jahre lang Unterkunft gewährt hat und schon vor 2001 Teil des afghanischen Regimes war. Die Menschen vertrauen diesen Politikern nicht. Wenn man einfache Menschen fragt, sagen sie, dass sie so oder so eine Marionette wählen müssten. Deshalb nenne ich es nicht „Wahl“ sondern „Auswahl“.
Was bedeutet „Auswahl“?
Die Politiker haben die Menschen betrogen. Keiner der aussichtsreichen Kandidaten hat andere Ziele als Amtsinhaber Hamid Karzai. Deshalb wird auch der neue Präsident nur eine weitere Marionette der US-Regierung sein. Die Afghanen können also aus verschiedenen Personen auswählen, aber eine echte Wahl haben sie nicht.
Was wäre eine alternative Politik in Afghanistan?
Als Erstes brauchen wir Gerechtigkeit. Die Mörder müssen angeklagt werden. Denn Frieden ohne Gerechtigkeit ist bedeutungslos.
Außerdem müssen alle Besatzungstruppen abziehen. Nachbarstaaten wie Pakistan und Iran müssen gezwungen werden, sich nicht in Afghanistan einzumischen, denn auch diese Staaten haben dort ihre Marionetten.
Weiterhin muss der Opiumanbau gestoppt werden. Denn er ist gefährlicher als Al-Kaida. Zwei Millionen Afghanen sind abhängig. Viele davon sind Kinder.
Gibt es Widerstand gegen die Politik Karsais und der NATO?
Ja, da gibt es viele opositionelle Gruppen. Viele Unterstützen das Regime nicht, sind aber auch in keiner Partei. Wir haben einige säkulare und demokratisch gesinnte Organisationen. Eine ist die Solidaritätspartei, aber es gibt auch Frauenrechtsorganisationen wie RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan) oder SAAJS (Social Association of Afghan Justice Seekers) und OPAC (Organisation Promoting Afghan Women Capabilities) und einige mehr. Wir haben auch einige linke Gruppen, die arbeiten aber im tiefen Untergrund. Sie werden überall verfolgt und umgebracht, weil sie Kommunisten seien. Aus diesem Grund möchte ich die Namen der Organisation auch nicht nennen.
Ich habe gelesen, dass du im Untergrund lebst. Wie sieht deine Arbeit in Afghanistan aus? Sind die Verhältnisse für dich sicher?
Für eine Aktivistin oder einen Aktivisten ist es schwer im Untergrund zu leben. Ohne Büro, ohne einen offenen Ort, an dem du dich treffen kannst ist es nicht leicht. Ich kann sogar nicht mit meinem Kind leben, weil es aus Sicherheitsgründen woanders ist. Das sind kleine Dinge, die ich für die Leute in meiner Heimat machen kann. Für Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit. Ich will einfach meine Verantwortung übernehmen und meine Stimme erheben.
Es freut mich, dass meine Stimme eine kleine Stimme der einfachen Menschen werden konnte. Ich sagte bereits zu meinen Feinden, dass sie eines Tages in die Lage kommen werden, dass sie mich töten können, genauso wie sie viele Aktivisten umgebracht haben. Aber wir hoffen alle, dass wir eines Tages lebendig eine friedliche Gesellschaft in Afghanistan genießen können.
Wir hatten einige Heldinnen und Helden in Afghanistan. Wir folgen ihrem Weg zur Gerechtigkeit. Wir wissen, dass der Baum der Freiheit nicht nur Wasser braucht, sondern manchmal auch Blut für die gute Sache. Wir sind bereit unser Blut für Freiheit und Gerechtigkeit zu geben, wenn es nötig ist.
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Foto: Steve Rhodes