Als die portugiesische TV-Comedy-Truppe »Homens da Luta« ihren Song »A luta é alegria« veröffentlichte, wollte sie eigentlich die Nelkenrevolution parodieren. Doch was als Spaßguerilla begann, wurde die Hymne der Protestbewegung gegen die Regierung. Jetzt vertritt die Rebellencombo Portugal beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf. Von Yaak Pabst
Portugal im Frühjahr 2011. Der Staat versinkt in einem Schuldenberg von 135 Milliarden Euro, immer mehr Fabriken, Büros und kleine Läden müssen schließen, elf Prozent der Bevölkerung sind ohne Arbeit. Die Wirtschaftskrise ist allgegenwärtig. Die Menschen haben Angst – wer seinen Job verliert, der steht vor dem Nichts. Besonders hart trifft die Krise die Jugend. 300.000 Portugiesen unter 35 Jahren sind ohne Job, das ist knapp die Hälfte aller Arbeitslosen. Im Jahr 2010 stieg die Arbeitslosigkeit innerhalb dieser Altersgruppe um 46 Prozent. Doch diese Statistik zeigt nur einen Teil der Misere. Viele Jugendliche, die Arbeit haben, sind in prekären, also befristeten und schlecht bezahlten Jobs beschäftigt. Laut einer Studie der EU-Kommission arbeiten 53 Prozent aller portugiesischen Arbeitnehmer zwischen 15 und 24 Jahren mit zeitlich begrenzten Verträgen.
Der sozialdemokratischen Regierung ist das egal. Sie will die Bevölkerung für die Krise zahlen lassen und friert die Renten ein, kürzt die Löhne und streicht die Stipendien für Studierende. Gleichzeitig erhöht sie die Preise für den öffentlichen Nahverkehr und die Mehrwertsteuer. Die staatliche Eisenbahn, die Post und die Fluggesellschaft werden zur Privatisierung freigegeben.
Doch als die Regierung das vierte »Sparpaket« in Folge schnüren will, explodiert die Wut. Etwa drei Monate nach dem letzten Generalstreik demonstrieren am 12. März in Lissabon 200.000 Menschen. In der Hafenstadt Porto füllen 80.000 Menschen die Straße. Vor allem die Jugend geht auf die Straße. Auf den Plakaten steht: »Wir zahlen nicht für eure Krise!« oder »Auf zum Klassenkampf!« Ein Teilnehmer meint: »Auch hier haben wir Gaddafis und Mubaraks. Was fehlt, ist nur die Revolution.« Die Demonstrationen verändern das gesellschaftliche Klima. In Portugal ist die Rede vom »größten Marsch seit dem Ende der Diktatur im Jahr 1974«. Die Zeitungen schreiben vom »Aufschrei der verlorenen Generation«. Der Widerstand bringt die Politik ins Wanken. Weil die konservative Oppositionspartei ihre Zustimmung zum »Sparpaket« verweigert, tritt am 23. März der Premierminister José Socrates zurück. Die Regierung ist gestürzt.
Dass die Protestbewegung noch an einem ganz anderen Ort Aufsehen erregt, hätte niemand erwartet. Schauplatz ist die Fernsehshow, in der der portugiesische Beitrag für den Eurovision Song Contest (ESC) gekürt werden soll. Unter den zwölf Finalisten befindet sich auch die TV-Comedy-Truppe »Homens da Luta«. Das bedeutet übersetzt »Menschen des Kampfes«. Als sie die Bühne betritt, um ihr Lied »A luta é alegria« (»Kampf ist Freude«) zu spielen, werden Millionen Fernsehzuschauer Zeuge, wie sich die Demonstrationen gegen die Regierung auf der Bühne fortsetzen.
Im Rampenlicht der Kameras stehen ein Bauarbeiter, eine Lehrerin, ein Soldat, eine Bäuerin, ein Liedermacher und ein Aktivist mit Megaphon. Alle haben eine rote Nelke deutlich sichtbar an ihrer Berufskleidung stecken – eine Anspielung auf die widerständige Geschichte Portugals: In die Gewehrläufe aufständischer Militärs gesteckte Nelken waren das Zeichen der Bewegung, die im Jahr 1974 die autoritäre rechte Diktatur stürzte. Daher wird sie als »Revolução dos Cravos« (Nelkenrevolution) bezeichnet. Die Bandmitglieder halten Plakate hoch, auf denen »Kampf« und »Freude« steht. Sie recken die Fäuste in die Luft, der Sänger agitiert die Zuschauer über ein Megaphon.
Por vezes dás contigo desanimado / Por vezes dás contigo a desconfiar / Por vezes dás contigo sobressaltado / Por vezes dás contigo a desesperar
(Manchmal fühlst du dich ohne Mut / Manchmal fühlst du dich misstrauisch / Manchmal fühlst du dich aufgeregt / Manchmal fühlst du dich verzweifelt)
De noite ou de dia, a luta é alegria / E o povo avança é na rua a gritar
(Ob Tag oder Nacht, der Kampf macht Freude / Das Volk kommt voran, ist auf der Straße und schreit)
De pouco vale o cinto sempre apertado / De pouco vale andar a lamuriar / De pouco vale um ar sempre carregado / De pouco vale a raiva para te ajudar
(Gürtel enger schnallen bringt nichts / Jammern auch wenig / Ein besorgter Blick ist nichts wert / Die Wut wird dir nicht helfen)
E traz o pão e traz o queijo e traz o vinho / E vem o velho e vem o novo e o menino
(Bring das Brot, den Käse und den Wein / Und es kommt Alt, Jung und das Kind)
Vem celebrar esta situação e vamos cantar contra a reacção
(Lasst uns in dieser Situation feiern und gegen die Reaktion singen)
Não falta quem te avise «toma cuidado» / Não falta quem te queira mandar calar / Não falta quem te deixe ressabiado / Não falta quem te venda o próprio ar
(Manche werden dich warnen / Manche wollen, dass Du den Mund hältst / Viele werden Dich ärgern / Andere werden Dir sogar Luft verkaufen wollen)
A luta continua
(Der Kampf geht weiter)
Das Lied beginnt klassisch. Bass, Gitarre, Schlagzeug, Akkordeon machen klar: Hier kommt Volksmusik. Wer portugiesischen Fado erwartet, wird enttäuscht. Es wird musikalisch marschiert. Der Schlagzeuger wirbelt mit der Snare-Drum, gesungen wird im Chor. Die Gruppe macht Musik zum Mitklatschen und Feiern. Im Hintergrund summt noch eine Querflöte die eingängige Melodie heiter mit.
Dass aus Spaß Ernst wird, liegt auch an der Comedytruppe selbst. Sie nimmt zwar den verblichenen portugiesischen Revolutionsmythos auf die Schippe. Doch trotz der lustigen Aufmachung transportiert sie konkrete und aktuelle politische Botschaften. Sie wendet sich offen gegen die Sozialkürzungen der Regierung und tritt bei den Demonstrationen gegen die Auswirkungen der Krise auf. In TV-Interviews nehmen die Musiker kein Blatt vor den Mund. Sie sprechen über den Sozialabbau, die korrupten Politiker, über Demokratie und warum es richtig ist, auf die Straße zu gehen.
»Wir sind Leute, die nicht mögen, wie es gerade um Portugal und Europa steht und wir werden in Düsseldorf sein, um genau das zu zeigen«, sagt Leadsänger Nuno Duarte alias Jel im Interview mit der Fansite Oikotimes. Er ergänzt: »Dieser Song ist eine Waffe«, die seine Band nutzen will, um »für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen, damit alle in Europa besser leben können«. Der Jury für den Vorentscheid des ESC passt das überhaupt nicht. Sie wählen das Lied der Protestkombo nur auf Platz zehn. Doch die Zuschauer sehen das anders. Beim Televoting rufen so viele Menschen an, dass zum Schluss trotzdem die »kämpfenden Menschen« gewinnen und nun Portugal offiziell beim ESC vertreten dürfen.
Es ist nicht das erste Mal, dass politische Musik aus Portugal beim ESC läuft. Der Wettbewerbsbeitrag des Jahres 1974 »E Depois do Adeus« von Paulo de Carvalho trug zusammen mit Zeca Afonsos Lied »Grândola, Vila Morena« direkt zur Revolution bei. Die Ausstrahlung dieser beiden Songs im portugiesischen Rundfunk diente den oppositionellen Truppen als Signal zum Aufstand.
Auch in den Folgejahren setzte sich Portugal in seinen Grand-Prix-Beiträgen musikalisch mit der Diktatur und ihrer Überwindung auseinander. Doch noch nie forderte ein Song im ESC so explizit zur Gegenwehr auf. Die letzte Zeile singen die sechs Musiker a capella: »Lasst uns in dieser Situation feiern und gegen die Reaktion singen – Der Kampf geht weiter!« – weltweit, in Portugal und definitiv am 14. Mai in Düsseldorf beim Finale des Eurovision Song Contest.
Kämpfen wie in Portugal – Televoten!
Zum Autor:
Yaak Pabst ist Redakteur des Magazins marx21. In der Kolumne »Die Geschichte hinter dem Song« schreibt er regelmäßig über die Hintergründe berühmter Songs.
Zum Text: Der Artikel ist eine Veröffentlichung aus marx21, Heft 20, April/Mai 2011.
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