Das IOC macht mit den Olympischen Spielen seit Jahrzehnten Politik, will den Sportlern aber eine Meinung verbieten. Das könnte dieses Jahr wieder einmal scheitern, meint Hans Krause.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) garantiert allen Sportlern Meinungsfreiheit – außer dort, wo Olympische Spiele stattfinden. Wer bei den Olympischen Spielen im August in China eine tibetische Fahne schwenkt, könnte ausgeschlossen werden. Denn »politische Propaganda und Demonstrationen sind an den Wettkampfstätten verboten«, wie das IOC im Mai erklärte.
Ein Artikel der Olympischen Charta, der ursprünglich verhindern sollte, dass Diktatoren im Stadion Reden halten, wird jetzt gegen die Sportler eingesetzt. Dabei zeigt ein Blick auf die Geschichte der Olympischen Spiele, dass das IOC mit Diktaturen und Unterdrückung überhaupt keine Probleme hat.
1932 fanden die Olympischen Spiele in den USA statt. Dass damals die Schwarzen durch die rassistischen »Jim Crow Gesezte« unterdrückt wurden und der faschistische Ku-Kux-Klan in den Südstaaten sein Unwesen trieb, hielt das IOC nicht davon ab die Spiele dort stattfinden zu lassen.
Vier Jahre später fanden die Olympischen Sommer- und Winterspiele im faschistischen Deutschland statt. Die Nazis konnten die Spiele benutzen, um den Sportlern, Besuchern und Journalisten erfolgreich eine weltoffene und soziale Gesellschaft vorzugaukeln. In der Hauptstadt wurden für zwei Wochen alle »Juden unerwünscht«-Schilder entfernt und die antisemitische Zeitung »Der Stürmer« nicht verkauft. Während das IOC mit den Nazis das »Weltfriedensfest« feierte, mussten Häftlinge nördlich Berlins das Konzentrationslager Sachsenhausen bauen.
Das IOC weigerte sich 1933, Deutschland die Spiele wegen der Machtübernahme der Nazis wieder wegzunehmen, obwohl weltweit viele Menschen genau das forderten. Auch später hatte das Komitee keine Bedenken gegenüber Nazi-Deutschland. Nachdem der vorgesehene Ausrichter Japan kurzfristig im Frühjahr 1939 zurückzogen hatte, wurden die Winterspiele 1940 erneut nach Garmisch-Partenkirchen vergeben. Sie fielen nur aus, weil die Nazis im September 1939 den Zweiten Weltkrieg begannen.
Während das IOC in diesem Fall behauptete, Sport und Politik müssten getrennt sein, versuchte es gleichzeitig immer wieder Politik zu machen, indem es Sportler aus bestimmten Ländern ausschloss. 1920 waren die Olympischen Spiele ursprünglich in die ungarische Hauptstadt Budapest vergeben worden. Doch als die Bevölkerung dort im März 1919 eine Räterepublik ausrief, wurden die Spiele im April nach Antwerpen verlegt.
Ab 1945 versuchte das IOC offensichtlich, mit Ausschlüssen von Sportlern die Ziele der westlichen NATO-Staaten zu unterstützen. So wurde 1952 ausdrücklich der Alleinvertretungsanspruch der BRD für ganz Deutschland anerkannt. Ostdeutsche Sportler durften nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen.
Bis 1972 durfte der Inselstaat Taiwan als »Republik China« antreten, weil die meisten NATO-Staaten die taiwanesische Regierung als Vertreter von ganz China anerkannten. Der Volksrepublik China wurde hingegen verwehrt, eine eigene Mannschaft anzumelden.
Auch Nordvietnamesen waren bis 1976 ausgeschlossen, weil die USA Krieg gegen sie führten. Gleichzeitig konnte die mit den USA verbündete südvietnamesische Regierung Sportler für ganz »Vietnam« antreten lassen. Das gleiche Schicksal hatten nordkoreanische Sportler bis 1968, während Südkorea als »Korea« teilnahm.
Die Olympischen Spiele sind für das IOC und die jeweiligen Regierungen also vor allem eine Gelegenheit, ihre politischen Ziele darzustellen und Nationalismus zu schüren. Dafür gehen sie über Leichen. Als Zehn Tage vor den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko zehntausende Studierenden gegen die Spiele demonstrierten, wurden ihre Proteste brutal niedergeschlagen. Mehr als 500 Menschen wurden von der Polizei ermordet. Die Spiele fanden reibungslos statt.
Manchmal gelingt es allerdings auch Sportlern, auf Unterdrückung und Widerstand hinzuweisen.
Den ersten politischen Protest gab es schon bei den Spielen 1906 in Athen. Der Ire Peter O‘Connor wurde im Weitsprung Zweiter. Doch weil Irland damals mit mörderischer Gewalt von Großbritannien besetzt wurde, hisste man für ihn bei der Siegerehrung die britische Fahne. Deshalb kletterte O‘Connor auf einen Mast und schwenkte die irische Fahne, während andere irische Sportler die Sicherheitsleute fernhielten.
Irische Sportler setzten ihren Protest gegen die Besatzung bei den Spielen 1908 in London fort. Mehrere nahmen kurz zuvor die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an, um nicht für Großbritannien antreten zu müssen.
Als 1968 weltweit Millionen Menschen gegen die Unterdrückung der Herrschenden aufstanden, nutzten auch einige Sportler die Olympischen Spiele in Mexiko-Stadt, um zu protestieren.
Weltberühmt wurden die schwarzen US-Amerikaner Tommie Smith und John Carlos, Sieger und Dritter des 200-Meter-Laufes. Bei der Siegerehrung schauten sie zu Boden statt auf die gehisste US-Fahne und hoben die Faust mit schwarzem Handschuh zum Gruß der Black-Power-Bewegung, die in den USA für die Gleichberechtigung der Schwarzen kämpfte.
Das IOC warf sie sofort aus dem Olympischen Dorf und schloss sie lebenslang von den Spielen aus. Doch die Schwarzen aus der US-Mannschaft ließen sich nicht einschüchtern. Auch die drei Sieger des 400-Meter-Laufes der Männer und erneut die 4 x 400-Meter-Staffel hoben bei der Siegerehrung die Faust. Dazu trugen die Sportler ein schwarzes Barett, das Symbol der sozialistischen Black Panther Party.
Die beste Turnerin der Welt war damals die Tschechoslowakin Vera Caslavska. 1968 unterstützte sie öffentlich den »Prager Frühling« und unterschrieb wie zehntausende andere das antistalinistische »Manifest der 2000 Worte«.
Nachdem die sowjetische Armee die Bewegung niedergeschlagen hatte, musste Caslavska fast bis zum letzten Tag kämpfen, um zu den Olympischen Spielen reisen zu dürfen. In Mexiko wurde sie zu einem Star der Spiele, gewann vier Wettbewerbe und wurde zweimal Zweite – jeweils hinter einer Sowjetrussin.
Bei diesen beiden Siegerehrungen senkte Caslavska den Kopf, während die sowjetische Hymne zu hören war. Dafür wurde sie von den Tschechoslowaken gefeiert. Doch die Regierung verbot ihr fortan, an sportlichen Wettkämpfen teilzunehmen, ins Ausland zu reisen oder zu arbeiten.
Die Olympischen Spiele in China im August werden voraussichtlich Dutzende Sportler nutzen, um gegen die Unterdrückung der Tibeter zu protestieren. Netzathleten.de, eine Internet-Plattform für Sportler, hat auch für die Spiele eine Kampagne gestartet, mit der Sportler sich für Menschenrechte aussprechen sollen.
Die französischen Olympia-Teilnehmer haben sich darauf geeinigt, einen Ansteck-Button zu tragen. Das hat ihnen das Nationale Olympische Komitee jedoch verboten. Die Aufschrift ist zu radikal. Sie lautet auf deutsch: »Für eine bessere Welt«.