In der LINKEN hoffen viele auf eine zukünftige rot-rote Koalition. Ein ähnliches Bündnis gab es bis 2008 in Italien. Marcel Bois zieht eine kritische Bilanz der linken Regierungsbeteiligung.
Bislang waren sie »Populisten« und »realitätsferne Spinner«. Doch seit dem 27. September ist alles anders. Die Sozialdemokratie hat ihr Herz für die LINKEN entdeckt. Seit der historischen Wahlniederlage plädieren führende Vertreter der SPD für einen anderen Umgang mit den bisherigen Schmuddelkindern. Bereits am Tag eins nach der Bundestagswahl forderte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, die »Tabuisierung« zu beenden. Weitere Funktionäre wie der ehemalige Arbeitsminister Olaf Scholz stimmten in den Chor ein. Der Bundestagsabgeordnete Andreas Steppuhn erklärte, wohin die Reise gehen soll: »2013 muss Rot-Rot eine Option sein.«
Innerhalb der LINKEN treffen die ungewohnten Sympathiebekundungen auf Gegenliebe. So sagt der Berliner Abgeordnete Stefan Liebig: »Es wäre gut, wenn Rot-Rot-Grün 2013 als Alternative zu Schwarz-Gelb zur Wahl stehen würde.« Auch das gerade in Brandenburg geschlossene Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten dient durchaus als Testlauf für die Bundesebene.
So berechtigt der Wunsch nach einem schnellen Ende von Schwarz-Gelb und einem grundsätzlichen Politikwechsel ist, birgt das Projekt einer linken Regierungsbeteiligung jedoch auch Risiken. Ein Blick nach Italien macht dies deutlich. Die dortige Linke war Anfang dieses Jahrzehnts die stärkste in ganz Europa. Nach nur zwei Jahren in der Regierung steht sie nun vor einem Scherbenhaufen.
Einer der Profiteure dieser Situation heißt Silvio Berlusconi. Medienmogul, Multimilliardär und immer wieder Ministerpräsident. Mittlerweile bekleidet der Mann, der derzeit vor allem wegen Affären, wilden Partys und möglicher Strafverfahren in den Schlagzeilen steht, das Amt schon zum dritten Mal. Seine erste Dienstzeit Mitte der neunziger Jahre währte nur wenige Monate, doch von 2001 an gelang es ihm, eine ganze Legislaturperiode durchzuregieren – ein Kunststück, das seit dem Zweiten Weltkrieg bislang kein italienischer Politiker vollbracht hatte.
Doch auch diese Regierungszeit verlief keineswegs reibungslos. Vielmehr sah sich der »Cavaliere« mit einem massiven Aufschwung der außerparlamentarischen Bewegungen konfrontiert. Es begann mit der eindrucksvollen Demonstration gegen den G8-Gipfel in Genua 2001. Danach verging kein Monat, in dem nicht gegen Berlusconis Kürzungspolitik protestiert wurde. Mehrere landesweite Generalsstreiks fanden in dieser Zeit statt. Millionen Menschen demonstrierten zudem gegen den drohenden Krieg im Irak.
Trotz ihrer gesellschaftlichen Breite und Stärke hatten die außerparlamentarischen Kräfte scheinbar wenig gegen die Politik der Berlusconi-Regierung ausrichten können. Die Friedensbewegung mobilisierte Millionen – dennoch beteiligte sich Italien am Irak-Krieg. Auch ihre Sozialkürzungen nahmen die Rechten trotz massiver Proteste nicht zurück.
Es schien für die Linke, die ein wichtiger Teil der sozialen Bewegungen gewesen war, nur einen Weg zu geben, Berlusconi los zu werden und gleichzeitig wichtige politische Verbesserungen auf den Weg zu bringen: Eine Koalition mit Romano Prodi und seiner Demokratischen Partei. Fausto Bertinotti, Vorsitzender der Partito della Rifondazione Comunista (Partei der kommunistischen Neugründung – Schwesterpartei der LINKEN) erklärte, wenn die Bewegung nicht alleine von unten gewinnen könne, müsse man die Dinge von oben verändern. Zudem herrschte in der Bevölkerung eine weit verbreitete »Berlusconi muss weg«-Stimmung, viele hofften auf die »Einheit der Linken«. Tatsächlich gewann Prodi im April 2006 die Wahl gegen Berlusconi. Die Parteien der radikalen Linken kamen zusammen auf über zehn Prozent der Stimmen.
Doch der neue Ministerpräsident stand keineswegs für ein linkes Projekt. Der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission hatte sich schon in der Vergangenheit einen zweifelhaften Namen als Sparfuchs gemacht. 1996 bis 1998 regierte er schon einmal das Land und machte es durch massive Sozialkürzungen für den Euro fit. Nicht von ungefähr setzten die italienischen Unternehmer auf die Mitte-Links-Koalition. Sie waren unzufrieden mit Berlusconis Regierungsbilanz: Zwischen 2001 bis 2006 wuchs die italienische Wirtschaft nur um durchschnittlich 0,35 Prozent im Jahr – verglichen mit 1,45 Prozent im restlichen Europa.
Nachdem in Deutschland die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder durch die Agenda 2010 auf Kosten der lohnabhängig Beschäftigten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gestärkt hatte, wuchs der Druck auf die italienische Wirtschaft, gleichzuziehen. Angesichts des stetigen Zurückfallens gegenüber der internationalen Konkurrenz übten die italienischen Unternehmer immensen Druck auf die neu gewählte Regierung Prodi aus. Sie wollten wirtschaftliche Reformen nach deutschem Beispiel und eine Stärkung der militärischen Präsenz Italiens im Ausland.
Bisherige »Reform«-Versuche nach dem Muster der Agenda 2010 waren vor allem an großen gewerkschaftlichen Mobilisierungen gescheitert, in denen sowohl Rifondazione als auch Prodis Demokratische Partei eine wichtige Rolle gespielt hatten. Die Unternehmer erhofften sich von der neuen Regierung, dass sie ihre gewerkschaftliche Verankerung nutzen könne, um Proteste im Zaum zu halten und die Gewerkschaften zum Stillhalten zu zwingen.
Die linke Regierung sollte also eine ähnliche Rolle wie Rot-Grün in Deutschland spielen. Die Einführung der Agenda 2010 durch »ihre« Regierung hat die Gewerkschaften hierzulande enorm verunsichert. Ähnlich verhielt es sich mit der Friedensbewegung, als ein grüner Außenminister den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 rechtfertigte.
Tatsächlich erfüllte die Prodi-Regierung die Wünsche der italienischen Unternehmer: Innerhalb von 18 Monaten senkte sie die Renten und erhöhte das Renteneintrittsalter, führte die Selbstbeteiligung bei ambulanter Hilfe in öffentlichen Krankenhäusern ein, baute 47.000 Stellen an den Schulen ab, senkte die Mittel für öffentliche Forschung, liberalisierte das Verkehrswesen, ließ ein Gesetz verabschieden, das Massenabschiebungen ermöglicht, erhöhte die Militärausgaben um 23 Prozent, stimmte dem Bau einer neuen US-Militärbasis in Vicenza zu und entsandte zusätzliche Truppen ins Ausland, vor allem nach Afghanistan, aber auch in den Libanon.
Da Prodi nur über eine knappe Mehrheit von zwei Senatoren verfügte, musste die Koalition permanent diszipliniert werden. In Schröder-Manier stellte er mehrfach die Vertrauensfrage. Die Argumentation lautete immer gleich: Wenn die Regierung zerbricht, kommt Berlusconi wieder an die Macht. Vor allem Rifondazione als linker Flügel der Regierung wurde permanent unter Druck gesetzt. Claudio Grassi, der für die Partei im Senat saß, sagt heute selbstkritisch: »Aus Loyalität und um einen Sturz der Regierung zu verhindern, hat die Linke für alle Maßnahmen gestimmt, die sie inhaltlich nicht teilte.« Dissidenten in den eigenen Reihen duldete die Parteiführung nicht: Als der Rifondazione-Abgeordnete Franco Turigliatto gegen den Bau der Militärbasis in Vicenza stimmte, wurde er aus der Partei ausgeschlossen.
Alex Gaudillière, ehemaliges Mitglied der Rifondazione, erklärt, dass die Regierungsbeteiligung zu einem Wandel der Partei geführt habe – und zwar schon vor dem Eintritt in die Regierung. Bereits im Wahlkampf habe sie begonnen »sich das Image einer Regierungspartei zu geben, um ihren zukünftigen Bündnispartnern Sicherheit zu geben. Als beispielsweise zwei Mitarbeiterinnen von Hilfsorganisationen im Irak entführt wurden, nahm Bertinotti an einer von Berlusconi geleiteten Versammlung aller Parteien teil und erklärte, die Frage des Truppenrückzugs sei zu einer nachrangigen Frage geworden.«
Letztendlich führte die Regierungsbeteiligung die Linke ins gesellschaftliche Abseits. Die vorgezogene Parlamentswahl im April 2008 endet für sie mit einem Desaster. Das Bündnis »Regenbogenlinke« – ein Zusammenschluss von Rifondazione, den Grünen, der Partei der italienischen Kommunisten und einigen linken Sozialdemokraten – erzielte nur noch 3,1 Prozent der Stimmen. Eine historische Niederlage: Erstmals in der Geschichte der italienischen Republik ist die radikale Linke weder in Abgeordnetenkammer noch Senat vertreten. Sang- und klanglos verschwanden die Erben der ehemals stärksten kommunistischen Partei Westeuropas aus der italienischen Parlamentslandschaft.
Aber nicht nur das: Silvio Berlusconi war zurück. Mit deutlichem Vorsprung gewann er die Wahl. Mit ihm jubelten zweifelhafte Persönlichkeiten wie Alessandra Mussolini. Die Enkelin des »Duce« gehörte zu dem großen Kreis von Rechtsradikalen, die den reichsten Mann Italiens bei seinem neuerlichen Anlauf auf das Ministerpräsidentenamt unterstützt hatten. Die sich selber als »post-faschistisch« bezeichnende Alleanza Nazionale beteiligte sich ebenso an Berlusconis Wahlbündnis wie die rassistische Lega Nord.
Seit ihrem Wahlsieg agiert die radikale Rechte enorm selbstbewusst. Kurz nach Berlusconis Triumph ging sein Bündnispartner Gianni Alemanno als Sieger aus der Bürgermeisterwahl in Rom hervor. Seine Anhänger feierten ihn frenetisch mit Faschistengruß und »Duce, Duce«-Rufen.
Auch die Zahl rechtsextremer Übergriffe hat seit dem vergangenen Jahr massiv zugenommen. So wurde am 1. Mai 2008 in der Lega-Nord-Hochburg Verona ein Jugendlicher von einer Neonazigang zu Tode geprügelt – weil sie ihn für einen »Kommunisten« hielten. In Rom kam es zu brutalen Übergriffen von Neonazis gegen mehrere Rumänen. Auch ein Lokal, in dem Homosexuelle verkehren, überfiel der rechte Mob. Im Februar dieses Jahres wurde in der Nähe der Hauptstadt ein indischstämmiger Mann im Schlaf überwältigt, mit Benzin übergossen und angezündet.
Der rechte Terror geschieht durchaus mit Unterstützung der Regierung. Sie hat das Einwanderungsrecht verschärft und forciert landesweit den Aufbau von lokalen »Bürgerwehren«. Als im Mai vergangenen Jahres in Neapel eine ganze Roma-Siedlung niedergebrannt wurde, erklärte Reformminister Umberto Bossi: »Die Menschen machen das, worum sich der Staat nicht kümmern kann.« Innenminister Roberto Maroni fügte hinzu: »Das passiert halt, wenn Zigeuner Babys stehlen oder wenn Rumänen sexuelle Übergriffe begehen.«
Die Entscheidung der Linken, sich an der Regierung zu beteiligen, muss man im Nachhinein als Fehler bezeichnen. Die Frage, ob die Linke unter den gegeben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihre Ziele in der Regierung erreichen könnte, verschwand hinter dem Wunsch, Berlusconi zu verhindern. Erst wurde damit der Regierungseintritt gerechtfertigt, später die Unterwerfung der Rifondazione unter die rechteren Kräfte in der Regierung.
Politisch genutzt hat dies weder der Rifondazione und der Linken noch der Mehrheit der Italiener. Im Gegenteil: Dass die Linke Sozialkürzungen, Kriegseinsätze und Sicherheitsgesetze mittrug, hat die sozialen Bewegungen stark geschwächt.
Da es keine Kraft gab, die die Entfremdung von Prodi nach links hätte kanalisieren können, profitierten die Rechten. Die Prodi-Koalition wurde von einer kleinen konservativen Partei gesprengt und Berlusconi ist wieder an der Macht, weil er die Enttäuschung über Prodis Sparpolitik mit einem rassistischen Wahlkampf auf seine Mühlen lenken konnte.
Das vermeintliche »kleinere Übel«, nämlich die Regierungsbeteiligung, um Berlusconi zu verhindern, hat dem »großen Übel« Berlusconi Tür und Tor geöffnet. Gleichzeitig hat es eine schwächere und desorientierte Linke hinterlassen.
Diese Erfahrungen sind durchaus auf Deutschland übertragbar. Genau wie Prodi haben SPD und Grüne im vergangenen Jahrzehnt gezeigt, dass sie keineswegs geeignete Partner für einen Politikwechsel sind. Die weltweite Krise hat zudem die Spielräume für linke Regierungspolitik deutlich eingeengt. Das macht der gerade in Brandenburg unterzeichnete rot-rote Koalitionsvertrag deutlich. Er verheißt nichts Gutes: Dort festgeschriebene Maßnahmen wie der Stellenabbau im Öffentlichen Dienst, Studiengebühren im Zweitstudium und Handyüberwachung richten sich fundamental gegen die Forderungen von Gewerkschaften, Studierenden und Bürgerrechtlern.
Die Nazis stehen auch hierzulande in den Startlöchern. Sie warten nur darauf, von einem Versagen der LINKEN zu profitieren. Die Partei sollte gewarnt sein.
Zum Autor:
Marcel Bois ist Redakteur von marx21 und Mitglied des Landesvorstandes der LINKEN in Hamburg.
Auferstehen aus Ruinen
Ein Kommentar von Marcel Bois
Die italienische Linke gleicht einem Trümmerhaufen. Anfang des Jahrzehnts schauten Aktivisten aller Länder voller Neid Richtung Mittelmeer: Die machtvollen Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua hatten die globalisierungskritische Bewegung nach Europa gebracht. Millionen Italiener gingen gegen den Krieg im Irak auf die Straße, die Gewerkschaften mobilisierten zu einem Generalstreik nach dem anderen.
Doch davon ist nicht mehr viel übrig. Die außerparlamentarische Bewegung ist verunsichert, die linken Parteien sind aus dem Parlament geflogen und die Rifondazione hat sich gespalten. Der Grund für die Krise der italienischen Linken ist ihre Regierungsbeteiligung. Daran sind sich die meisten mittlerweile einig. Doch es bleibt die Frage: Was wäre die Alternative gewesen?
Die Antwort darauf umfasst zwei Aspekte. Der eine lautet: Politische Standfestigkeit. Zu Recht hat die Linke 2006 die »Berlusconi muss weg«-Stimmung aufgegriffen und die Wiederwahl des Multimilliardärs im Parlament verhindert. Doch sie hätte die Regierungsbeteiligung an klare Mindestbedingungen knüpfen müssen: Kein Stellenabbau im öffentlichen Dienst, keine Rentenkürzung, keine Erhöhung der Militärausgaben und ein sofortiger Truppenabzug aus Afghanistan. Dann hätte sich gezeigt, ob Prodi tatsächlich für einen Bruch mit der Politik Berlusconis bereit gewesen wäre.
Der andere Schlüssel zum Erfolg wäre die weitere Orientierung auf die außerparlamentarische Bewegung gewesen. Die Italiener haben selber gezeigt, wie man Berlusconi am Besten stoppt. Am 22. März 2002 gingen drei Millionen auf die Straße, um gegen die geplante Lockerung der Kündigungsschutzes zu protestieren. Es war die größte Demonstration in der Geschichte Italiens. Berlusconi zog daraufhin sein Vorhaben zurück.
Mittlerweile wird auch in der Rifondazione die Regierungsbeteiligung ausgiebig diskutiert. Die Mehrheit meint, sie habe geschadet. Die Partei will nun wieder Teil der Mobilisierungen auf der Straße werden. Der Wiederaufbau kann also beginnen.
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