Stresstests für Atomkraftwerke und der Euro-Rettungsschirm standen auf dem EU-Gipfel im Vordergrund. Aber die Regierungen der Eurozone haben sich letzte Woche auch neue Regeln gegeben, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. marx21 sprach mit der Europaabgeordneten Sabine Wils
marx21: Unter anderem soll zukünftig die Entwicklung der Lohnstückkosten verglichen werden. Was sind die Lohnstückkosten und warum ist ihre Entwicklung interessant?
Sabine Wils: Mit den Lohnstückkosten wird verglichen, wie hoch der Anteil der Lohnkosten bei der Herstellung eines Produkts ist. Die Lohnstückkosten sind ein entscheidendes Kriterium in der Industrie, um die Wettbewerbsfähigkeit einzelner kapitalistischer Betriebe bzw. Länder zu vergleichen. Entscheidend ist dabei nicht der Stundenlohn, der in der Bundesrepublik in Einzelfällen immer noch hoch sein mag, sondern die Lohnstückkosten, die in Deutschland in einem beispiellosen Sinkflug begriffen sind.
Die Entwicklung der Lohnstückkosten soll zukünftig kontrolliert werden. Von wem?
Ganz offensichtlich soll diese Aufgabe bei EU-Kommission angesiedelt werden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Ministerpräsident Nicolas Sarkozy haben gemeinsam für die Europäische Union einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit durchgesetzt.
Die Lohnstückkosten sind in keinem Land der EU in den letzten Jahren so weit gesunken wie bei uns in der Bundesrepublik. In den letzten Jahren sind die Löhne in der BRD um 4,5 Prozent gesunken, während sie in allen anderen EU-Ländern gestiegen sind.
Sinkende Lohnstückkosten waren und sind die Voraussetzung der aggressiven Exportpolitik des deutschen Kapitals, die letztendlich zu den Zahlungsdefiziten in Ländern wie Griechenland oder Portugal geführt hat. Offensichtlich soll dieses sogenannte deutsche Modell nun allen anderen Länder in der EU übergestülpt werden.
Zur Kontrolle gehört, die Lohnfindungsprozesse zu überprüfen und die Verhandlungen zu dezentralisieren. Was bedeutet das?
Auf die Bundesrepublik bezogen bedeutet das mit Sicherheit einen weiteren Angriff auf die Tarifautonomie und den Flächentarifvertrag sowie andere soziale Schutzrechte der Beschäftigten. Am liebsten wäre es dem Kapital, wenn es nur noch betriebliche Regelungen geben würde, die nur mit den Betriebsräten ohne Arbeitskämpfe ausgehandelt würden. Das Streikrecht der Gewerkschaften ist dem Kapital bekanntermaßen ein Dorn im Auge.
In anderen Ländern der EU ist der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit ein Angriff auf die sozialen Schutzrechte der Beschäftigten, so zum Beispiel in Belgien oder Luxemburg. Dort gibt es Gesetze, die den Beschäftigten zumindest eine Lohnerhöhung in der Höhe der Inflationsrate sicherstellen. Deshalb haben belgische und luxemburgische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vor dem Kanzleramt in Berlin demonstriert.
Wie stehst Du als Gewerkschafterin zu diesen Regeln?
Ich lehne diesen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit strikt ab. Ich bewege mich da in vollem Umfang auf der Linie des EGB-Vorsitzenden John Monks, der am 21. März 2011 in einem Brief an alle Europaabgeordneten die Ablehnung dieser Vorschläge empfohlen hat. Entsprechend habe ich auch mit Nein abgestimmt.
Was schlägt die Linksfraktion im Europaparlament jetzt vor?
Das Abstimmungsverfahren im Europaparlament ist jetzt erst einmal gelaufen. Mit der entsprechenden zu erwartenden deutlichen Mehrheit für diese Vorlage im Interesse des Kapitals. Damit hier wieder etwas in Bewegung kommt, ist politischer und gewerkschaftlicher Druck auf der Straße notwendig, zuallererst bei uns in Deutschland, nicht nur in Luxemburg oder Belgien. Dann kann überlegt werden, welche parlamentarischen Möglichkeiten für uns im Europaparlament noch bestehen.
(Die Fragen stellte Jan Maas)