Christine Buchholz und Janine Wissler ziehen Konsequenzen aus dem Parteitag der LINKEN, der am 24. und 25. Mai in Cottbus getagt hat.
Der Bundesparteitag der LINKEN war, trotz etlicher Schwächen, ein Erfolg. Die politische Linie des Gründungsparteitags wurde mit dem Leitantrag bestätigt. Im Zentrum der Arbeit im kommenden Jahr stehen drei inhaltliche Themen: Gegen Rentenkürzung, für Mindestlohn und für den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Auch die im Vorfeld umstrittene Forderung nach einem Zukunfts-Investitionsprogramm in Höhe von 50 Milliarden Euro wurde mit dem Leitantrag verabschiedet. Ein Ergänzungsantrag auf grundsätzliche Ablehnung jeglicher Militäreinsätze im In- und Ausland wurde angenommen. Dadurch zeigte sich erneut die antimilitaristische Grundstimmung in der Partei.
Vor allem die Rede von Oskar Lafontaine hat das Selbstbewusstsein und das politische Projekt der LINKEN zugespitzt ausgedrückt. Bemerkenswert war die Passage seiner Rede, in der er – in einem historischen Rückgriff auf den Verrat der SPD an der Novemberrevolution vor 80 Jahren – scharf gegen Opportunismus gegenüber dem Kapital Stellung bezog:
»Nun ist es leicht für die LINKE (…) in Programmen mehr Freiheit und Gleichheit in unserer heutigen Gesellschaft zu fordern. Viel schwieriger (…) ist es, sie durchzusetzen. Und wenn man fragt warum, dann lohnt es sich wieder in unserer Geschichte zurückzublicken. Beispielsweise auf den Zeitpunkt, an dem die Arbeiterbewegung sich spaltete. Für Sebastian Haffner war ‚die deutsche Revolution von 1918/19 eine sozialdemokratische Revolution, die von der sozialdemokratischen Führung niedergeschlagen wurde. Ein Vorgang, der in der Weltgeschichte kaum seinesgleichen hat.‘ (…) Sicher, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber 80 Jahre später setzte ein sozialdemokratischer Bundeskanzler die größte Sozialkürzung der Bundesrepublik Deutschland durch und beteiligte sich wieder an völkerrechtswidrigen Kriegen. Ich erinnere an diese beiden Abschnitte der Arbeiterbewegung, weil sie unerbittlich die Frage aufwerfen, warum Politikerinnen und Politiker der Linken in der Geschichte die Erwartungen ihrer Anhänger so schrecklich enttäuschen. Das ist nicht eine Frage, die andere sich stellen müssen, das ist eine Frage, die wir uns stellen müssen! Wenn wir uns diese Frage nicht stellen, dann lernen wir nicht aus unserer Geschichte und dann können wir keine Lehren aus der Geschichte ziehen!«
Die relative Geschlossenheit des Parteitags ist bemerkenswert, weil die bürgerliche Presse im Vorfeld versucht hat, auf mehreren politischen Feldern Unfrieden zu stiften. Doch weder die Spekulation um eine Stasi-Vergangenheit Gregor Gysis noch der Versuch, der Partei eine Israel-Debatte aufzuzwingen, haben gefruchtet. Viele Medien haben nur die allgemein bekannte Tatsache, dass Christa Müller mit ihren Positionen in der Partei isoliert ist, als Aufhänger genommen. Als weiteren Beweis für den anhaltenden Zuspruch für DIE LINKE können wir das Ergebnis der Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein werten, die parallel zum Parteitag stattfanden: Aus dem Stand erreichte die LINKE 6,9 Prozent der Stimmen.
In Bezug auf die Wahlergebnisse zum Vorstand fällt auf, dass die direkt Gewählten und die weiteren Vorstandsmitglieder, die im ersten Wahlgang gewählt wurden, fast alle zehn Prozent schlechter abschnitten als beim letzten Mal.
Dies liegt wohl vor allem daran, dass auf dem Gründungsparteitag die Vorstandsmitglieder auf Vorschlag der Quellparteien gewählt wurden.
Von daher stellt das Wahlergebnis von Oskar Lafontaine keine Abweichung vom Trend nach unten dar, sondern die Wahlergebnisse von Dietmar Barsch und Lothar Bisky Abweichungen nach oben.
In den zweiten Wahlgängen kamen jeweils Kandidatinnen und Kandidaten aus den unterschiedlichen Quellparteien und aus unterschiedlichen Strömungen durch.
Auch wenn der linke Flügel leicht gestärkt wurde, ist es bitter, dass exponierte Gewerkschafter wie Klaus Ernst und Michael Schlecht schlechte Ergebnisse bekamen und dass Verdi-Mann Ralf Krämer nicht gewählt wurde (dazu im Folgenden mehr). Gleichzeitig ist festzustellen, dass mit Katina Schubert und Elke Breitenbach zwei exponierte Vertreterinnen der Berliner Senatspolitik nicht mehr angetreten sind und der Kandidat des Berliner Landesvorstandes auf der gemischten Liste chancenlos war.
Das zeigt, dass dieser Flügel in der Defensive ist. Die streikenden Verdi-Kollegen, die vor dem Parteitag für ihre Forderungen gegenüber dem rot-roten Senats demonstriert haben, standen symbolisch für den Widerspruch, in dem sich die LINKE in Berlin befindet.
Das Abstimmungsverhalten des Landes Berlin im Bundesrat zum Lissabon-Vertrag hingegen ist ein Erfolg der Berliner Linksfraktion. Zwar hat das Abstimmungsverhalten primär symbolischen Wert und löst mitnichten die sozialen Probleme in Berlin, dennoch zeigt es, dass es sich lohnt, Druck auf die Fraktion auszuüben.
Trotz dieses positiven Gesamtbilds gab es deutliche Schwächen:
I. Keine Klassenorientierung und blasse Kampagnen
Klassenauseinandersetzungen und gesellschaftliche Mobilisierungen spielten auf dem Parteitag keine Rolle. Es gab keine Grußworte und keine sichtbare Präsenz von Gewerkschaftsvertreter/innen, Vertreter/innen der Friedensbewegung und keine Berichte von aktuell stattfindenden sozialen und politischen Auseinandersetzungen.
Auch die Verdi-Beschäftigten aus Berlin, die einforderten, dass die LINKE sich in den Tarifauseinandersetzungen in Berlin für ihre Forderungen einsetzt, konnten nicht sprechen.
Bei den Wahlen zum geschäftsführenden und zum erweiterten Parteivorstand haben die Kandidaten mit gewerkschaftlichem Hintergrund schlechte Wahlergebnisse bekommen. Angesichts der verstärkten Versuche der SPD, um die Gunst der Gewerkschaften zu buhlen und der harten Arbeit unserer Genossinnen und Genossen in den Gewerkschaften, die darum kämpfen eine dauerhafte Verankerung der LINKEN in der Gewerkschaftsbewegung zu erreichen, ist das ein schlechtes Signal.
In Teilen der Partei ist zum einen die strategische Bedeutung des Bündnisses mit den Gewerkschaften zur Durchsetzung unserer Forderungen nicht Grundlage der politischen Arbeit. Zum anderen wurde von einigen im Gleichklang mit der Presse das Bild von „den autoritären Gewerkschaftern« gepflegt. Das schwächt unseren Kampf um die Ausrichtung der Gewerkschaften und gegen die Vorherrschaft der SPD in der Arbeiterbewegung.
Obwohl der Parteitag Startschuss für die Rentenkampagne war und die Afghanistan-Konferenz vor der Tür steht, blieben die Kampagnen, trotz grundsätzlicher Zustimmung, blass. Auch hier wird es für die kommenden Parteitage wichtig werden im Vorfeld zu überlegen, wie die Kampagnen organisch in den Parteitag mit eingebunden werden können.
II. Parteitagsregie
Das Präsidium und die Antragsberatungskommission sind die zentralen Schaltstellen für die Regie des Parteitages. Beide Gremien hatten einen riesigen Berg Arbeit zu leisten, was ihnen im Großen und Ganzen gelungen ist. Unzufrieden sind wir jedoch damit, wie zum Teil das Präsidium geführt wurde. Unausgewogene Redelisten, als GO-Antrag maskierte Wortmeldungen und allerlei Beeinflussungen der Stimmung waren leider keine Ausnahme.
Unaktzeptabel war die öffentliche Demütigung Christa Müllers nach ihrer Abstimmungsniederlage beim familienpolitischen Antrag durch das Einspielen eines Songs mit dem Titel „Tschüss Mama«.
III. Debattenkultur entwickeln
Viele Kontroversen wurden durch eine intensive Debatte im Vorstand und Kompromissformulierungen im Leitantrag gedeckelt. Das war in Ordnung für einen Wahlparteitag, darf aber nicht zum Dauerzustand werden.
Die Familienpolitik war der einzige Bereich, in dem es im Ansatz eine innerparteiliche Klärung gegeben hat. In Bezug auf andere Fragen wurden keine Debatten organisiert: z.B. die China/Tibet-Frage, die Israel/Palästina-Frage, die Politik gegenüber bestimmten Gruppierungen im Iran, die strategische Bedeutung der Gewerkschaften/Lohnarbeit, der Kampf gegen Rassismus u.a.
Wenn politische Differenzen nicht geklärt werden, kann die Partei nicht daran wachsen, beschränkt das die Handlungsfähigkeit der LINKEN und kann uns in Superwahlzeiten um die Ohren fliegen. Denn der politische Gegner wird genau darauf zielen, um die LINKE zu schwächen.
Fazit und Konsequenzen
Mit dem verabschiedeten Leitantrag wurden politische Weichen für den Aufbau der LINKEN bis zur Bundestagswahl gestellt. Aber der weitere Weg der LINKEN wird kein Selbstläufer sein.
Oskar Lafontaine sagte, dass wir den Wind der Geschichte in unseren Segeln haben, es aber nicht genüge, über die Segel zu verfügen: „Die Kunst ist, sie setzen zu können.«
Wir streiten für eine Orientierung auf Klassenkampf und den Aufbau von Gegenmacht. Nach wie vor ist eine parlamentarische Grundausrichtung in der Partei weit verbreitet, das heißt, eine Perspektive, die politische Veränderungen durch die Gewinnung parlamentarischer Mehrheiten ansteuert. Auch nach diesem Parteitag gilt jedoch: Die Dynamik der LINKEN geht weiter, die Entwicklung ist nach wie vor offen.
Um den Leitantrag und die Kampagnen und Schwerpunkte mit Leben zu füllen und neue Mitglieder zu gewinnen, schlagen wir folgende sechs Orientierungspunkte vor:
1. DIE LINKE ist eine Partei, in deren Zentrum die Interessen der abhängig Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner und der Erwerbslosen stehen. Dies ist ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber den Hartz-IV-Parteien.
2. DIE LINKE muss eine Antikriegspartei bleiben. Militärische Interventionen und Kriege dürfen kein Mittel der Politik sein. Afghanistan ist das zentrale Projekt des deutschen Imperialismus und zugleich seine Achillesverse. DIE LINKE ist gefordert – gemeinsam mit der Friedensbewegung – für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu kämpfen und den 60. Jahrestag der NATO für eine große Mobilisierung und inhaltliche Auseinandersetzung zu nutzen.
3. Die aktive Solidarität mit den Beschäftigten und Menschen in sozialen und politischen Auseinandersetzungen ist die praktische Grundlage für die Politik der LINKEN. Verankerung heißt: Stärkung der Mitgliederbasis der Partei, Engagement in den Gewerkschaften, lokalen Initiativen gegen Privatisierung, gegen Rassismus etc.
4. Kampagnen für den gesetzlichen Mindestlohn, gegen Rentenkürzungen durch Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre, gegen Privatisierung und gegen den Krieg in Afghanistan sind die Basis der Arbeit der LINKEN. Und sie helfen uns, die Verankerung in Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen zu verstärken. Dabei schlagen wir die Brücke vom Lokalen zum Globalen und tragen dazu bei, Kampffähigkeit auch unter den Bedingungen wirtschaftlicher Krisen zu entwickeln.
5. Keine Fraktion ohne Aktion. Die Parlamentsfraktionen können einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung linker Politik leisten, wenn sie verwurzelt sind in den außerparlamentarischen Bewegungen und deren Stärkung zum Ziel haben.
6. Ein weiterer Pfeiler für die Arbeit der Parteigliederungen neben den Aktivitäten auf der Straße soll die politische Debatte und die Bildungsarbeit sein. Hierbei ist eine Orientierung nach außen und auf neue Mitglieder wichtig.