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Durch das Ergebnis der Bundestagswahl ist DIE LINKE als Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens für die kommenden politischen und sozialen Kämpfe gestärkt worden. Bei ihren Wählerinnen und Wählern steht sie nun in größerer Verantwortung. marx21 über anstehende Aufgaben der Partei und das Umgehen mit einer Sozialdemokratie in der Opposition
Die deutsche Wirtschaft jubelt über den Wahlsieg von Angela Merkel und Guido Westerwelle. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, fordert einen Tag nach der Wahl von der Regierung, »wieder auf einen stärker marktwirtschaftlich orientierten Kurs« einzuschwenken.
Der Präsident des Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Hans Heinrich Driftmann meint, es sei Zeit für einen » Kassensturz« und erwartet von der neuen Regierung eine »mutige Reformpolitik« für die Wirtschaft. Auf dem Wunschzettel des Wirtschaftsverbandes steht ein »klarer Sanierungskurs« und eine weitere »Flexibilisierung des Arbeitsmarktes«.
Des weiteren erwartet die Wirtschaft, dass es keine neuen Mindestlöhne gibt. Mancher Konzernchef träumt sogar von der »Lockerung des Kündigungsschutzes«. Die Financial Times Deutschland freut sich über die konservative Mehrheit auch im Bundesrat und titelt: »Schwarz-Gelb kann durchregieren«.
Kein Rechtsschwenk der Bevölkerung
Doch die neue Regierung ist nicht das Resultat eines Rechtsschwenks in der Bevölkerung. Im Gegenteil: Schwarz-Gelb regiert, obwohl die Mehrheit zentrale Projekte der Regierung ablehnt. Nur 31 Prozent wünschen sich eine Gesellschaft, »in der mehr Leistung« zählt. Dagegen geben 59 Prozent an, dass sich Politiker für mehr Solidarität einsetzen sollen. 77 Prozent sind für einen gesetzlichen Mindestlohn, 61 Prozent für den Ausstieg aus der Atomenergie. 66 Prozent lehnen weitere Steuererhöhungen ab. 55 Prozent sind für einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
59 Prozent meinen, dass es in Deutschland nicht sozial gerecht zugeht und ebenfalls 59 Prozent aller Befragten gaben an, dass die wichtigste Aufgabe die Sicherung von Arbeitsplätzen sei. 62 Prozent stimmen jedoch der Aussage zu, dass die CDU »die Interessen der Arbeitnehmer vernachlässigt«. 65 Prozent denken, dass unter einer CDU Regierung die »Schere zwischen Arm und Reich« weiter auseinander geht.
Die neue Regierung hat nur eine knappe Mehrheit, weil die Wahlbeteiligung um sieben Prozent gefallen ist. 18.134.809 Menschen gingen nicht zur Wahl, dass sind vier Millionen Nichtwähler mehr als bei der Bundestagswahl 2005.
Die CDU verlor 920.000 Stimmen, die SPD 1.640.000 Stimmen an die »Partei« der Nicht-Wähler. Das bürgerliche Lager bekam bei den Bundestagswahl 2009 insgesamt 20.968.027 (21.279.193) Stimmen. Das sind 311.166 Zweitstimmen weniger als bei der Bundestagswahl 2005.
Am Absturz der SPD ist ihre neoliberale Agenda schuld
Die Verluste der SPD sind dramatisch. 9.988.843 Wähler gaben der Sozialdemokratie noch ihre Stimme. Das sind 6.205.822 Menschen weniger als 2005. Besonders deutlich wird der historische Verlust im Kontrast zu den Zahlen von 1998. Damals hatten noch 20 Millionen für die SPD und Gerhard Schröder ihre Stimme abgegeben. 2,1 Millionen SPD-Wähler von 2005 sind diesmal den Urnen ferngeblieben, errechnete das Umfrageinstitut Infratest dimap. Mehr als eine Million einstige SPD-Wähler entschieden sich bei dieser Wahl für DIE LINKE.
Die Gründe für die Verluste sind dieselben wie 2005. 42 Prozent aller SPD-Abwanderer haben »soziale Gerechtigkeit« als wahlentscheidendes Thema angegeben. 67 Prozent sagen über die SPD, dass »sie ihre sozialdemokratischen Prinzipien aufgegeben hat.«
Die Wahlniederlagen gehen einher mit einer Erosion der Mitgliedschaft. Hatte die SPD 1990 noch 943.000 Mitglieder, waren es nach vier Jahren rot-grüner Regierungszeit 2002 nur noch 694.000. Nach der neoliberalen Agenda-Politik und der Großen Koalition sank die Mitgliederzahl nochmals auf 513.262 im Jahre 2009. Zwischen 1990 und 2009 hat die SPD also mehr als 400.000 Mitglieder verloren.
Nazi-Gefahr ist nicht gebannt
Alle faschistischen Parteien haben bei der Bundestagswahl Stimmen verloren. Allen voran die NPD. Trotzdem gaben 635.437 Menschen der Nazi-Partei ihre Stimme. Insgesamt kommen die faschistischen Parteien (NPD/REP /DVU) gemeinsam auf 874.835 Stimmen. Das sind 139.834 Stimmen weniger als 2005. Die DVU ist nicht mehr im brandenburgischen Landtag vertreten.
Aber geschlagen sind die Nazis nicht. Die angekündigten Großdemonstrationen im Frühjahr 2010 in Dresden und Magdeburg zeigen, dass die Nazis in Wartestellung sind und alles daran setzten von der Krise des Kapitalismus zu profitieren. Zudem ist es wahrscheinlich, dass diejenigen Teile der Neo-Nazi Szene, die eine Schwerpunktsetzung auf Wahlen und Parlamentsarbeit ablehnen, sich nun darin bestätigt sehen und es eine Verschiebung der Aktivitäten, hin zum »Kampf um die Straße« gibt.
Klassenwahlkampf statt rot-rot-grüne Lagerbildung
DIE LINKE ist durch das Ergebnis der Bundestagswahl als Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens für die kommenden politischen und sozialen Kämpfe gestärkt worden. Bundesweit haben 5.153.884 Menschen der LINKEN ihre Stimme gegeben. Das sind 1.035.690 Wählerinnen und Wähler mehr als 2005. Die Ergebnisse sind im Westen flächendeckend besser geworden, im Osten wurden 16 Direktmandate gewonnen, das sind 13 mehr als vor vier Jahren. Erfolgreich ist DIE LINKE, weil sie die soziale Frage in den Mittelpunkt des Wahlkampfes rückte.
Gekennzeichnet war der Wahlkampf durch eine Absage an eine rot-rot-grüne Lagerbildung und die Orientierung auf einen eigenständigen Klassenwahlkampf. Die schwache politische Ausrichtung der Plakate vom Bundestagswahlkampf 2005 und die provokative, klare Plakatsprache von 2009 machen den Unterschied deutlich. (2005: »Klar. Stur gegen Krieg, fantasievoll für Frieden« versus 2009: »Raus aus Afghanistan«. 2005: »Dem Trübsinn ein Ende« versus. 2009: »Reichtum besteuern«, »Gegen die Rente ab 67« und »Hartz IV abwählen«.2005: »Klasse. Länger gemeinsam lernen« versus 2009: »Mehr Geld für Bildung, nicht für Banken«).
Die Forderungen richteten sich an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Schülerinnen und Schüler, Studierende, Rentnerinnen und Rentner und Arbeitssuchende. Das kam an. 56 Prozent meinen, dass sich DIE LINKE am stärksten für die sozial Schwachen einsetzt. 18 Prozent der Arbeiter und 26 Prozent aller Arbeitslosen wählten DIE LINKE.
Entscheidend für diesen Erfolg war das politische Auftreten: Auf der Grundlage des bundesweiten Kernprofils der Partei (Weg mit Hartz IV, Nein zur Rente mit 67, Her mit dem gesetzlichen Mindestlohn, Raus aus Afghanistan, Umverteilung des Reichtums) hat DIE LINKE den Wahlkampf fortwährend polarisiert und die Unterschiede zu den anderen Parteien erklärt. Dazu kam ein engagierter Basiswahlkampf der Partei vor Ort.
Konsequenzen für DIE LINKE
Auf der Basis guter Wahlkampfarbeit kann die Partei in den kommenden Kämpfen aufbauen. DIE LINKE wollte über den Wahlkampf mehr Stimmen erhalten, Mitglieder aktivieren und mehr Mitglieder gewinnen. Das ist zum Teil auch gelungen – in Berlin-Neukölln zum Beispiel steht die Parteiarbeit nun auf einem breiteren Fundament und kann in diese Richtung fortgeführt werden. Wichtige Punkte sind:
- Kommende soziale Auseinandersetzungen: Der Druck der Unternehmer auf die neue Regierung ist massiv. Wie sich das im kommenden Koalitionsvertrag auswirkt, wird sich zeigen. Des weiteren ist werden die Unternehmer die ausbleibende Restrukturierung der Wirtschaft starten, also Personal abbauen und auch entlassen. Konflikte sind damit vorprogrammiert. Hier muss DIE LINKE eingreifen, an der Seite von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen
- Afghanistan: In den bürgerlichen Wahlanalysen wird generell unterschätzt, welchen Anteil die Afghanistan-Frage beim Einbruch von Union und SPD und beim Erfolg der LINKEN gespielt hat. Die Debatte wird sich um die Abstimmung zur Verlängerung des Mandats rund um den 13. Dezember zuspitzen Die Friedensbewegung ruft zu einer Aktionswoche in der letzten Novemberwoche auf. Die LINKE steht in der Pflicht, hier eine aktive Rolle einzunehmen.
- Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch am 13. Februar in Dresden: Die ersten Bündnistreffen haben schon stattgefunden und DIE LINKE hat lokal wie bundesweit ihre Unterstützung angekündigt. Diese praktisch umzusetzen, wird eine der zentralen Kampagnen der nächsten Monate sein.
Umgang mit der SPD
Bei den Sozialdemokraten wird jetzt das Personalkarussell rotieren. Viele in der LINKEN verbinden damit die Hoffnung, dass sich die SPD »re-sozialdemokratisiert« und zu einem Partner für soziale Politik in Regierungsverantwortung wird. Doch die historischen Erfahrungen legen das nicht nahe – im Gegenteil. Die SPD ist oft in der Opposition nach links gegangen, so unter der Führung Lafontaines in der Endphase der Kohl-Ära zwischen 1995 und 1998. Darauf folgte in der Regierung Schröder die Agenda-Politik.
Das politische Problem der SPD liegt nicht in erster Linie im »falschen« Personal. Denn alle Kräfte in der SPD sind sich einig, dass sprudelnde Profite die Grundlage für soziale Politik sind. Unter Bedingungen verschärfter Konkurrenz folgt daraus der Ausverkauf jeglicher sozialer Reformpolitik (siehe Analyse: »SPD in der Krise – Willy kommt nicht mehr zurück«).
Unter den gegeben Rahmenbedingungen geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass sich die SPD nachhaltig nach links wendet. In den Debatten um Rot-Rot-Grün 2013 und bei den anstehenden Verhandlungen auf Länderebene sollte dieser wesentliche Punkt eine große Rolle spielen.
Damit ist die Frage nach dem Verhältnis zur SPD unter den Bedingungen einer schwarz-gelben Regierung und kommender Angriffe aber nicht erledigt. Nur dauernde Abgrenzung von der SPD wird Schwankende nicht davon überzeugen, dass DIE LINKE die bessere, konsequentere Verteidigerin von sozialen Rechten und Friedenspolitik ist. Der Beweis muss praktisch erbracht werden im gemeinsamen und entschlossenen Kampf gegen die Angriffe von Regierung und Bossen und für echte Verbesserungen. Und daran sollen auch Mitglieder, Wähler und Sympathisanten von SPD und Grünen teilnehmen. Mit einer solchen Einheitsfrontpolitik hat die KPD Anfang der zwanziger Jahre substanzielle Fortschritte erzielt (siehe Artikel »Durch gute Arbeit überzeugen«). DIE LINKE kann es ihr gleichtun.
Blockadeinstrument Bundesrat?
Oskar Lafontaine hat auf der Parteivorstandssitzung der LINKEN eine Doppelstrategie für den Kampf gegen Schwarz-Gelb formuliert: Zum einen Bewegung auf der Straße an der Seite von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gegen schwarz-gelbe Angriffe. Zum anderen die Brechung der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat durch rot-rot-grüne Länderregierungen.
Das ist eine Neuauflage der Strategie Lafontaines gegen Kohl in den Jahren 1996 bis 1998, als die SPD-Bundesratsmehrheit Kohls Gesetze blockiert hat. Damals ließ das die Konservativen handlungsunfähig erscheinen. Zentral für ein solches Vorgehen ist laut Lafontaine die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr.
Doch die beiden Elemente dieser Strategie ergänzen einander nicht, sondern eines untergräbt das andere. Widerstand gegen die kommenden Kürzungen, Opposition auf der Straße ist absolut notwendig. Hier kann die LINKE eine wichtige Rolle spielen, weil sie glaubwürdig ist und sich Vertrauen erworben hat.
Diese Glaubwürdigkeit würde durch Regierungsbeteiligungen unter den derzeitigen fiskalischen Bedingungen massiv leiden. Die Krise des Kapitalismus hat die Einnahmen der öffentlichen Haushalte drastisch verringert.
Saarland: Alles Mögliche auf dem Prüfstand?
Die Gewerbesteuer-Einnahmen der Saar-Kommunen brechen entgegen den bisherigen Erwartungen schon in diesem Jahr drastisch ein. Wie der Geschäftsführer des Saar-Städtetags, Richard Nospers, mitteilte, rechnen die vier größten Städte des Landes wegen der Wirtschaftskrise für 2009 mit einem Minus bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das hat eine Umfrage bei den Städten Saarbrücken, Völklingen, Neunkirchen und Homburg ergeben.
Der Städtetags-Geschäftsführer geht davon aus, dass die erwarteten Mindereinnahmen im Superwahljahr 2009 noch keine massiven Sparmaßnahmen zur Folge haben werden. »Im Jahr 2010 wird man aber alles Mögliche auf den Prüfstand stellen müssen«, so Nospers.
Richtigerweise hat die LINKE für das Saarland klare Bedingungen genannt: Keine Privatisierung, kein Sozialabbau, keine Entlassungen im öffentlichen Dienst. Diese Bedingungen sollten nicht fallen gelassen werden, um einer Bundesratsmehrheit näher zu kommen.
Sozialer Widerstand hat Schwarz-Gelb 1998 beendet
Selbst wenn der Bundesrat rot-rot-grün dominiert ist, würde DIE LINKE trotzdem schwächer werden, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit auf dem Weg zur Mehrheit verspielt.
Zudem hat die SPD gegenüber der LINKEN auf Länderebene großes Erpressungspotential, weil sie immer auf Konzessionen auf Länderebene drängen kann, um die Blockademehrheit nicht zu gefährden.
Außerdem wäre die Rückkehr einer schwarz-gelben Mehrheit wahrscheinlich, wenn rot-rot-grüne Landesregierungen wegen Kürzungen wieder abgewählt würden.
Auch das historische Argument trifft nicht: Die Kohl-Regierung ist nicht wegen der SPD-Blockade abgewählt worden. Entscheidend war der Stimmungsumschwung nach der großen gewerkschaftlichen Mobilisierung gegen das Sparpaket 1996 und die erfolgreichen Streiks um die Lohnfortzahlung. Sozialer Widerstand hat das letzte Mal Schwarz-Gelb beendet – wir sollten daran arbeiten, dass es wieder so wird.