Richard Heigl: »Oppositionspolitik. Wolfgang Abendroth und die Bildung der Neuen Linken«, Argument Verlag 2008, ca. 300 Seiten, 24,90 Euro
Von Philipp Kufferath
In der reichhaltigen Literatur zu 1968 stehen meist die so genannten »Antiautoritären« um Rudi Dutschke im Fokus. Vergessen wird dabei oft, dass ein wichtiger Impuls für die Formierung der Neuen Linken in Deutschland von linksozialistischen Intellektuellen ausging. In seiner Studie zeichnet Richard Heigl die Theorie und den Einfluss dieser Strömung innerhalb der Neuen Linken von 1950 bis 1968 nach. Im Mittelpunkt steht der Marburger Politikprofessor Wolfgang Abendroth, der innerhalb des kleinen linkssozialistischen Milieus eine Sonderstellung innehatte. Sein politischer Werdegang und die Grundzüge seiner Theorien werden hier im Spannungsverhältnis zum Ostblock, zur kritischen Theorie und zum antiautoritären Flügel diskutiert.
Eingezwängt zwischen Stalinismus und sozialdemokratischer Reformpolitik bildete sich in der frühen Bundesrepublik am linken Rand der SPD ein linksintellektuelles Netzwerk, das über kleinere Zeitschriftenprojekte Einfluss auf den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und linke Gewerkschaftskreise ausübte. Heigl zeigt, wie Abendroth gemeinsam mit anderen Vertretern der „alten« Linken enge Kontakte zu linkssozialistischen Kreisen im SDS hielt und so die theoretische Ausrichtung der Neuen Linken Anfang der 1960er Jahre beeinflusste. Die von ihm initiierte Förderergesellschaft sicherte das finanzielle Überleben des SDS nach dem Ausschluss aus der SPD. In der Anti-Notstands-Kampagne war er entscheidendes Bindeglied zwischen SDS und Gewerkschaften. Gleichzeitig trug er über seine wissenschaftliche Tätigkeit in Marburg zur Anbindung an die Traditionen der Arbeiterbewegung bei.
Durch den Eintritt der antiautoritären Gruppe in den SDS Ende 1964 ging der Einfluss der Linkssozialisten zurück. Die Antiautoritären wandelten den Verband von einem Theoriezirkel in eine aktionsorientierte Organisation. Abendroth hingegen sah in der aktionistischen Praxis der Studenten eine revolutionär-spontaneistische Ungeduld und kritisierte insbesondere Herbert Marcuses Randgruppentheorie.
Heigl weist aber zu Recht daraufhin, dass die politischen Antworten der älteren Generation um Abendroth nicht mehr für die neue studentische Bewegung ausreichten: Themen wie alternative Kultur, sexuelle Emanzipation und den Krieg in Vietnam behandelte Abendroth kaum.
Die oft richtigen Hinweise auf die Notwendigkeit einer längerfristigen Strategie und die Rücksicht auf Bündnispartner wurden von den Antiautoritären nicht aufgenommen. Abendroth scheiterte in seinen Bemühungen, dem neuen studentischen Selbstbewusstsein eine Orientierung auf die Arbeiterbewegung zu geben.
Heigls Buch ist ein lesenswerter Überblick über eine wichtige theoretische Strömung innerhalb der Linken, die es aus verschiedenen Gründen nicht schaffte, eine sichtbare politische Alternative zu werden. Eine Beschäftigung mit ihren Positionen ist heute schon deshalb von Wert, weil mit der LINKEN sich erstmals in Deutschland eine linkssozialistische Partei etabliert hat, wie sie die Strömung um Abendroth angestrebt hatte.
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