2022 wurde in ganz Berlin jegliches öffentliches Gedenken an die Vertreibung der Palästinenser:innen (Nakba) verboten. Die #Nakba75-Kampagne ruft zur Demonstration nach Berlin: Gegen Repressionen der Palästina-Solidarität und für ein freies Palästina. Ein Interview mit der Mitorganisatorin Omnia I.
marx21: Was ist die Nakba?
Omnia: 1948 vertrieben zionistische Milizen im Zuge der Staatsgründung Israels rund 750.000 Palästinenser:innen aus ihren Dörfern und Städten. Dies ist als »Nakba«, das arabische Wort für Katastrophe, in Erinnerung geblieben. Seitdem hat Israels gewaltsame Expansionspolitik einen großen Teil des Landes des palästinensischen Volkes beraubt.
Warum ist es wichtig, der Nakba zu gedenken?
Die Nakba endete nicht 1948. Die Vertreibung und der Landraub, die ethnische Säuberung an Palästinenser:innen, sind Kontinuitäten des zionistischen Projektes. Sie sind Alltag für Palästinenser:innen im gesamten besetzten Palästina. Deswegen bedeutet für uns die #Nakba75-Kampagne nicht nur ein Erinnern an die Vertreibung von 1948, sondern ein Aufruf gegen die andauernde Unterdrückung des Siedlungskolonialismus.
Was ist die #Nakba75-Kampagne?
Die #Nakba75-Kampagne hat sich das Ziel gesetzt, zum 75. Jahrestag der Vertreibung der Palästinenser:innen durch zionistische Milizen eine zentrale Demonstration am 20. Mai 2023 in Berlin zu organisieren. Dabei spielen auch die Repressionen gegen das Gedenken an den Nakba-Tag in Berlin eine zentrale Rolle.
Was ist der Hintergrund der Kampagne?
Am 15. Mai 2022 startete die Berliner Polizei nach einem stadtweiten Verbot von Gedenkfeiern zum 74. Jahrestag der Nakba eine Reihe von Repressionen gegen Palästinenser:innen und ihre Unterstützer:innen. So wurden nicht nur Demonstrationen und Kundgebungen von Palästinenser:innen verboten sondern auch eine Kundgebung von der Jüdischen Stim zum Gedenken von Shireen Abu Akle, der palästinensischen Journalistin, die kurz davor von israelischen Soldaten ermordet wurde.
Aktive und Unbeteiligte wurden in verschiedenen Teilen der Stadt verhaftet. Am Ende des Tages nahm die Polizei 27 Menschen in Gewahrsam und verhängte gegen 25 von ihnen Geldstrafen in Höhe von insgesamt 8.269,50 Euro.
Wie bewertest du das Vorgehen der Behörden?
Das Vorgehen der Berliner Regierung ist ein Ausdruck für die Komplizenschaft des deutschen Staates mit der anhaltenden Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Mit diesem Vorgang erreicht die Kriminalisierung der Solidarität mit Palästina durch die Berliner Regierung eine neue Eskalationsstufe. Das ist auch Ausdruck eines umfassenden Angriffs auf die demokratischen Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Dies kann nicht unwidersprochen bleiben.
Was machen die Betroffenen?
Viele von ihnen fechten die Bußgelder nun vor Gericht an.
Laufen derzeit immer noch Prozesse für die Bußgeldkatalog vom letzten Jahr?
Ja, die Prozesse laufen noch. Der erste Prozess gegen einen antizionistischen Juden wurde fallengelassen. Der Gerichtsprozess gegen die ehemalige Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz, die auch am Nakba-Tag letztes Jahr beim Hermannplatz eingekesselt wurde, fand am 22. März statt. Eine Entscheidung wurde an diesem Termin seitens der Richterin vertagt.
Die Richterin entschied sich, dass die Verhandlung an einem anderen Tag weitergeführt werden müsse, da sie den Polizisten anhören wolle, der die Personalien von Christine Buchholz aufgenommen hatte.
Wie wurde das Demonstrationsverbot 2022 legitimiert?
Polizei und Gerichte argumentieren, es bestehe die Gefahr, dass es zu »volksverhetzenden, antisemitischen Rufen, Gewaltverherrlichung und Gewalttätigkeiten« kommen könne. Dies galt auch für die Kundgebung der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Die Polizei meinte auch, es sei von einem »Aggressionspotential arabischer und muslimischer Menschen auszugehen«. Des Weiteren sei mit Blick auf die derzeitige Situation in Nahost mit Unmut zu rechnen. Ebenso könnte Pyrotechnik eingesetzt werden, Flaschen- und Steinwürfe seien nicht auszuschließen.
Was kritisierst du an diesem Vorgehen?
Palästinenser:innen werden dem Generalverdacht des Antisemitismus und der Gewalttätigkeit ausgesetzt. Dabei traf das Verbot ebenso die »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«.
Anstatt auch selbst nur den Grundlagen der Verfassung und rechtsstaatlichen Handelns zu folgen und nur zu bestrafen, wenn eine Tat auch wirklich begangen wurde, reicht hier die Vermutung einer Behörde im Vorfeld, um ein Demonstrationsverbot und die Einschränkung des demokratischen Grundrechtes der Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Das ist auch eine Form des Racial Profiling.
Können die Repressionen der Nakba-Proteste von 2022 als Türöffner für weitere Repressionen dienen?
Ja. Diese ausgeführten Erwartungen und Grundlagen für pauschale Versammlungsverbote können auf zahlreiche andere Demonstrationen wie etwa zum 1. Mai ebenfalls angewendet werden. Es ist zu befürchten, dass diese Verbote als Präzedenzfall genutzt werden, um zukünftig Demonstrationen leichter zu untersagen, besonders von Linken.
Woran machst du das fest?
Die Berliner CDU hat im Zuge des Nakba-Verbotes in einem Positionspapier schon geringere Schwellen für Demonstrationsverbote durch Behörden und somit in der Konsequenz eine Aufweichung der Gewaltenteilung gefordert. Das sind alarmierende Schritte in diese Richtung. Unabhängig davon, wie Linke zum Thema dieser Demonstrationen stehen, braucht es gemeinsame Anstrengungen zur Verteidigung der Versammlungsfreiheit und für das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Rechnet ihr dieses Jahr mit Repressionen?
Repressionen sind durchaus wahrscheinlich. Sie wären eine weitere Verschärfung der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und sollten jede Person, denen etwas an diesen grundlegenden demokratischen Rechte liegt, aktivieren. Insbesondere bei der rassistischen Law & Order-Orientierung der Berliner CDU und SPD sollte angenommen werden, dass eine Große Koalition versuchen wird, das Nakba-Gedenken wieder zu kriminalisieren.
Am 16. März haben wir in Berlin gegen den Staatsbesuch des Kriegsverbrechers Netanjahu protestiert. Die Kundgebung wurde erlaubt, aber wie immer gab es rassistische Auflagen seitens der Polizei, wie z.B., dass wir auf Arabisch verlesen mussten, keine Puppen verbrennen zu wollen oder die Annahme, dass hochemotionalisierte Palästinenser:innen zu erwarten seien.
Wie kann man die Kampagne unterstützen?
Wir haben neben unserer Website, Social Media-Seiten auf Facebook, Instagram, Twitter und Telegram und verbreiten dadurch Informationen über die Kampagne und ihre Hintergründe. Wichtig ist, dass diese Informationen weit gestreut werden und besonders, dass Leute am 20. Mai nach Berlin kommen. Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, dass Leute sich im Rahmen der Kampagne vernetzen und organisieren, denn nur so sind wir stark. Das bedeutet, dass sich Leute, die aktiv werden wollen, Kontakt zur Kampagne aufnehmen und sich lokal umschauen sollten, welche pro-palästinensischen Gruppen, Vereine, Vernetzungen es gibt und ggf. neue aufbauen. Wir sehen uns am 20. Mai in Berlin bei der Demo!
Titelbild: #Nakba75
Schlagwörter: Antirassismus, Demonstration, Nakba, Palästina