»Nun ist die Politik gefragt.« Solche Zitate aus der Wirtschaftspresse belegen die Hilflosigkeit der bürgerlichen Welt angesichts der sich vertiefenden Wirtschaftskrise. Von Thomas Walter
Im »Handelsblatt «meint Professor Michael Hüther, Chef des unternehmernahen Instituts iw Köln, entnervt: »Das Märkte-Chaos ist geradezu aberwitzig« und schließt marktkritisch an: »Wer jetzt argumentiert, dass die Kapitalmärkte (und die Ratingagenturen) informationseffizient seien, der ist entweder blind oder naiv.« Vorbei sind die Zeiten, in denen etwa noch im Jahr 2000 Rolf Breuer, damaliger Chef der Deutschen Bank, in der »Zeit« behaupten wollte: »Wenn man so will, haben die Finanzmärkte quasi als ›fünfte Gewalt‹ neben den Medien [nach Legislative, Exekutive, und Judikative] eine wichtige Wächterrolle übernommen. Wenn die Politik im 21. Jahrhundert in diesem Sinn im Schlepptau der Finanzmärkte stünde, wäre dies vielleicht so schlecht nicht.« Blamiert sind auch die linken Spielarten dieser Meinung. Die Regierungen sind keine Marionetten der Finanzmärkte. Im Gegenteil, die Finanzmärkte rufen die Politik, um gerettet zu werden. Für manche Linke ist dies eine »Rückkehr des Staates«. Der Staat war aber gar nicht weg. Er hat sich nur versteckt. Die so genannten Privatisierungen sollten den Eindruck erwecken, alles sei marktwirtschaftlich organisiert. Jetzt in der Krise wird die Macht des Staates offenbar, die relative Macht, denn angesichts der Krise ist auch der Staat ratlos.
Die Krise selbst ist das Ergebnis einer Überakkumulation. Im Konkurrenzkampf überleben die Unternehmen, die am meisten produzieren können. Wer soll die Produkte kaufen? Die Arbeiter müssen mit ihrem Lohn das kaufen, was sie zum Leben brauchen, aber sie können nicht alles kaufen. Das Mehrprodukt realisiert sich als Profit nur, wenn die Kapitalisten selbst kaufen wollen, weil sie Profite erwarten. Doch im Konkurrenzkampf bleiben immer weniger Konzerne übrig. Diese beherrschen ihre Märkte oder teilen sie mit wenigen Konkurrenten. Die Konzerne legen ihr Geld lieber bei Banken als Vorsorge für schwierige Zeiten an, statt damit Investitionsgüter zu kaufen. Wenn aber nicht gekauft wird, können die Kapitalisten nicht mehr ihre Profite realisieren.
Die scheinbare »Lösung« dieses Problems war ein verrückter Schuldenkreislauf. Die Konzerne leihen ihre Profite den Banken, die Banken leihen das Geld dann weiter an den Staat. Dieser kauft damit Produkte von den Konzernen, so dass diese Profite realisieren, die sie den Banken leihen. Die Kehrseite ist die steigende Staatsverschuldung. In den 80er Jahren wurde deshalb dieser verrückte Schuldenkreislauf um die Privaten ergänzt. Die private Verschuldung wurde staatlich gefördert, damit die Konzerne ihre Profite realisieren konnten. Doch die Privaten können die Schulden nicht zurückzahlen. Das zeigt sich in einer Reihe von Krisen, deren letzte 2007 in den USA ausbrach und die jetzt zu einem »finanziellen 11. September« geworden ist, wie eine französische Zeitung schreibt.
Der Staat half schnell und unbürokratisch, indem er die Schulden der Privaten übernahm, genauer gesagt, den Steuerzahlern aufbürdete. Zunächst muss er sich aber das Geld für die Rettungspakete leihen. Da trifft es sich günstig, dass in der Krise der Anlagenotstand für die Konzerne zunimmt. Sie sind jetzt noch weniger als sonst bereit ihre Profite auszugeben, sondern legen diese ängstlich bei den Banken an. Die Banken, geplagt vom »Anlagenotstand«, verleihen das Geld den relativ sicheren Staaten wie BRD und wegen der großen Militärmacht auch den USA. Der Zinssatz, den diese Staaten für ihre Schulden zahlen müssen, gleicht nicht einmal die Inflationsrate aus. Der »Realzinssatz« ist negativ. Ein Kommentator der FAZ merkt säuerlich an, dass die Kapitalanleger den noch sicheren Staaten Geld dafür geben, dass sie es bei ihm anlegen dürfen. Blamiert ist damit auch das Gerede, dass Schulden zukünftige Generationen belasten würden. Im Gegenteil, wer jetzt sein Geld in deutsche Staatsanleihen anlegt, opfert nach dieser Logik einen Teil seines Reichtums für die zukünftigen Generationen. Es gibt keine sichere Geldanlage mehr. Dollar, Euro und Yen sind alle in der Krise. Gold oder Schweizer Franken können nicht die weltweite Kapitalflucht aufnehmen. Medien erinnern daran, dass unter Präsident Roosevelt oder Hitler in den 30er Jahren der private Besitz von Gold einfach verboten wurde. Dem Kapital geht es wie den Reichen in Edgar Allan Poes Gruselgeschichte »Die Maske des Roten Todes«: Im Land herrscht eine tödliche Seuche, vor der sich die Reichen auf ein Schloss zurückgezogen haben. Dort feiern sie ausgelassen, müssen dann aber schockiert feststellen, dass der Tod längst unter ihnen ist.
Die politische Bedeutung der Krise besteht darin, dass der Kaiser jetzt nackt dasteht. Der kapitalistische Staat kann nicht mehr so tun, als würde alles von der »unsichtbaren Hand« eines Adam Smith oder von der »List der Vernunft« eines G.W.F. Hegel »effizient« geregelt. Der Staat muss massiv eingreifen. Die Europäische Zentralbank z.B. kauft Staatspapiere, aber nur von bestimmten Staaten, von solchen, die ihre »Sparprogramme« gegen die Bevölkerung am energischsten vorantreiben. Der Staat ist nicht neutral, sondern greift aktiv zugunsten des Kapitals in den Klassenkampf ein.
Um zu erkennen, dass das Kapital schon seit langem in einer tiefen Krise steckt, muss man nicht Marxist sein. Die Privatisierungen der letzten Jahrzehnte hatten auch den Zweck, vom Staat die Verantwortung zu nehmen, wenn die Krise schließlich ausbricht. Diese Strategie geht nicht auf, denn das Kapital selbst ruft jetzt den Staat zu Hilfe. Die Krise wird laut Mainstreamökonomen auf unabsehbare Zeit bleiben. Sie wissen, dass die Arbeiter nicht einfach für die Krise bezahlen können. Dafür haben sie gar nicht das Geld. Das Kapital wird versuchen, in einem jahrelangen Prozess über möglichst hohe Profite zu Lasten der Bevölkerung die Verschuldung abzubauen. Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der US-Regierung kann ein Versuch sein, den Sparkurs gegen die Bevölkerung zu verstärken. Die »kommunistische« Regierung Chinas, Eigentümerin vieler US-Staatspapiere, hat bereits die US-Regierung aufgefordert, beim Sozialstaat stärker zu sparen. Doch Schuldenabbau ist das Gegenteil von Schuldenmachen. Letzteres ist aber der Motor des »späten« Kapitalismus. Auf dieses Dilemma hat niemand eine Antwort. Die Zentralbanken können vielleicht den Schuldenkreislauf weiter verlängern, indem sie alle Papiere kaufen, deren Wert sinkt. Dies tat z.B. die US-Zentralbank mit »QE1« und »QE2«, jetzt denkt sie über »quantitative easing 3« nach (Aufkauf von Wertpapieren aller Art, finanziert über die Notenpresse). Der Kapitalismus wandelt sich zunehmend von der Tragödie zur Farce, wobei der slowenische Philosoph Slavoj Žižek bemerkt, dass eine Farce nicht lustig sein muss.
Auch in dieser Krise gibt es Gewinner und Verlierer. In Europa konnte die BRD ihre Stellung bislang ausbauen. Doch es zeichnet sich ab, dass das überschuldete Ausland nicht mehr viel aus der BRD importieren kann. Dann wird die Krise auch Deutschland voll treffen, wie Wirtschaftsvertreter auch bereits ankündigen. Gegen »das große Sparen« zu Lasten der Bevölkerung, das jetzt laut FAZ angesagt ist, bildet sich weltweit Widerstand, von der arabischen Welt bis Wisconsin, von Griechenland bis Großbritannien, von Israel bis Chile. Streiks gab und gibt es z.B. in Ägypten, China und Deutschland. Die Menschen werden sich zunehmend bewusst, dass sie alle Opfer der gleichen kapitalistischen Weltkrise sind und sich gemeinsam gegen das Kapital wehren müssen.
Zum Autor:
Thomas Walter ist Ökonom und Mitglied der Partei DIE LINKE.
Mehr auf marx21.de:
- Thomas Walter: Euro-Pakt für die Banken (Artikel vom 28. Mai 2011)