Unter dem Motto »Mietenstopp – damit noch was zum Leben bleibt« demonstrierten am Wochenende Tausende in Berlin gegen die Wohnungspolitik des Rot-Roten Senates. Doch was ist eigentlich Gentrifizierung? und Wer gewinnt und wer verliert bei diesem Konzept von Stadt? Ein Gespräch mit dem Journalisten Christoph Twickel, der diesen Prozess seit Jahren kritisch begleitet
Du hast ein Buch mit dem schönen Titel »Gentrifidingsbums oder eine Stadt für Alle« geschrieben. Was bedeutet eigentlich Gentrifizierung?
Gentrifizierung beschreibt einen sozialen Umstrukturierungsprozess in einer Stadt oder einem Stadtviertel. Die Kurzform: Die Armen gehen, die Reichen kommen. Jede Stadt kennt solche Prozesse: Der Prenzlauer Berg in Berlin, die Dresdner Neustadt oder die jetzige Auseinandersetzung um Stuttgart21 sind nur einige Beispiele. Gentrifizierung hat sehr verschiedene Gesichter und läuft nicht in jedem Stadtviertel nach dem selben Muster ab. Das Ergebnis ist jedoch überall gleich: Verdrängung. Gentrifizierung ist eine Maschinerie, die die Teilhabe an der Stadt über Geld und Herkunft regelt. Sie macht aus einem Milieu der vielen ein Produkt für wenige. In Mumbai, Delhi, Seoul oder Tijuana, wo Baufirmen, Investoren und Lokalpolitiker aus den Slums mit Bulldozern und Prügelgarden neues Bauland machen, mag mit Händen zu fassen sein, dass Verdrängung ein Prozess von oben ist. Aber auch bei uns, wo die Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse schleichend vor sich gehen, ist Gentrifizierung Klassenkampf von oben. Weil sie politisch gewollt und befördert wird. Politiker setzen ja darauf, dass sich Besserverdienende in den Innenstädten ansiedeln – und dass die Empfänger von sozialen Transferleistungen möglichst verschwinden oder fern bleiben. Gentrifizierung ist sozusagen ein Indikator für erfolgreiches Agieren im Konkurrenzkampf der Metropolen.
Wer gewinnt und wer verliert bei diesem Konzept von Stadt?
Gewinner sind die Immobilienfirmen und Grundbesitzer, Verlierer sind alle die, die mit dem gestiegenen Preisniveau nicht mithalten können: Zuerst verschwinden die proletarischen und subproletarischen Bewohner, die Rentner und Migranten mit kleinem Einkommen. Dann trifft es die sogenannten Pioniere, die die Viertel hip gemacht haben: Studenten, Künstler, Bohemiens. Und am Ende können auch viele von den kleinen Shops und Kneipen nicht mehr mithalten. Die Armen ziehen in die Sozialgroßsiedlungen am Stadtrand, die »Pioniere« weichen in das nächst günstige Viertel aus. Ich drücke das in meinem Buch so aus: Gentrifizierung ist das politisch beförderte Recht des Stärkeren, angewandt auf den Stadtraum. Am Ende haben wir gut ausgestattete, für die Work-Life-Balance optimierte Gegenden für das obere Viertel der Bevölkerung – und die sozial und kulturell abgehängten Ecken für das untere Viertel. Auch die Hartz-IV-Reformen treiben die Gentrifizierung voran: Das Ehepaar, das nach dem Auszug der Kinder in der günstigen, großen, unsanierten Wohnung auf St. Pauli wohnt und ALG II erhält, bekommt eine »Kostensenkungsaufforderung«, weil nach den Bemessungskriterien die Wohnung zu groß geworden ist. Die Kostensenkung besteht dann meist darin, dass sich die Betroffenen eine Wohnung in den ärmeren Stadtteilen außerhalb suchen müssen.
Seit wann gibt es Gentrifizierung?
In gewisser Weise gibt es dieses Phänomen der Verdrängung, seit es Stadt gibt. Immobiliengeschäfte stehen seit Beginn der kapitalistischen Urbanisierung auf der Tagesordnung der Stadtentwicklung. Die heutige Gentrifizierung hängt jedoch mit dem Strukturwandel seit den sechziger Jahren zusammen. Die alte industrielle Stadt, in der die Viertel um die Fabrik herum gebaut waren, in der das Proletariat und der Fabrikherr, die Angestellten und die Ingenieure im Umfeld der städtischen Fabrik wohnten, wird allmählich abgelöst durch Metropolen, die die globale, zerstreute Produktion managen. Die alten Stadtkerne werden zum Zielobjekt einer urbanen »Business Class«. Der Boom der Finanzmärkte seit Mitte der achtziger Jahre hat zu einer Transformation im Prozess der Verstädterung geführt. Stadtentwicklung findet nun im weltumspannenden Maßstab statt. US-Immobilienfonds engagieren sich im asiatischen Raum, chinesische Banken setzen auf Hypothekenanleihen in den USA. Gigantische Infrastruktur- und Städtebauprojekte in China oder in den arabischen Ölstaaten eröffnen neue Geschäftsfelder für das Finanzkapital. In den trockensten Regionen Südspaniens wachsen Geisterstädte mit Zehntausenden von Apartments inklusive Swimmingpool und Golfanlagen. Luxuriöse Hotelresorts, Apartmentanlagen, Businessdistrikte und Landmarkprojekte neben Millionenslums ohne fließendes Wasser und Strom gehören zum Bild der neuen Megacitys. Die schuldenfinanzierte Urbanisierung ist zu einem globalen Business geworden. Ihre Konsequenzen sind sozial und ökologisch desaströs und widersprechen jeder stadtplanerischen Vernunft. Im globalen Süden und den Ländern des ehemaligen Ostblocks befördert sie massenhafte Enteignung, Verelendung und Prekarisierung der Bevölkerungsmehrheit auf der einen sowie luxuriöse Abschottung der global mobilen Businessclass und der lokalen Oligarchie auf der anderen Seite.
Du selbst lebst in Hamburg. Dort ließ der Senat die sogenannte Hafencity bauen: ein neues Büro-, Einkaufs-, und Wohnviertel in Toplage. Nach seinen Angaben leben etwa 1500 Menschen in dem neu entstandenen Quartier, rund 6000 arbeiten dort und die Zahl derer, die in den Stadtteil strömen, nimmt täglich zu. Der Senat meint: »Das Projekt ist eine programmierte Erfolgsstory«. Stimmst du zu?
Aus Sicht der neoliberalen Stadtentwickler im Senat ist es unumgänglich, dieses Projekt als erfolgreich anzupreisen. Es ist eines der größten innerstädtischen Stadtentwicklungsprojekte Europas. Nicht erst, aber besonders nach der Finanzkrise ist die Hafencity vom angestrebten »Profit Center« zum Subventionsfall geworden. Im Kaufvertrag von 2005 hatte die Stadt dem Investorenkonsortium eine »Anmietungsoption« garantiert, falls sich keine Mieter für seine Objekte finden. Das greift jetzt: Die Stadt Hamburg muss zirka vierzig Prozent der neu gebauten Bürofläche selbst anmieten. Und natürlich auch zu saftigen Preisen: Die Mietgarantie wird die Steuerzahler jährlich über zwei Millionen Euro zusätzlich kosten.
Aber die Stadtentwickler behaupten, dass eine Stadt nur überleben kann, wenn sie sich im globalen Wettbewerb mit anderen Standorten behauptet. Berlin konkurriert mit Frankfurt, Hamburg, Paris, New York und Tokio. Den Standortwettbewerb der »Global Citys« gewinnt, wer besonders günstige Bedingungen für Investoren und Unternehmen schafft. Diese bringen Arbeitsplätze und neue Steuereinnahmen für die Stadt, so das Credo. Haben sie Recht?
Das Motto »The winner takes it all« kann nicht die Lösung sein. Natürlich zieht eine »Boomtown« eine Menge Menschen an. Aber vom globalen Standortwettbewerb der Städte profitieren nur wenige. Die neu geschaffenen Jobs in der Dienstleistungsökonomie sind häufig prekäre Arbeitsplätze. Für die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, werden die Städte immer unbewohnbarer. Die Arbeitswege werden länger, weil der Wohnraum in der Stadt nicht mehr bezahlbar ist. Im größeren Maßstab gibt es ganze Regionen, die vom Standortwettbewerb abgehängt sind und sich zu Einöden entwickeln.
Das Beispiel Hafencity in Hamburg zeigt eine andere Seite der Standortkonkurrenz. Denn die Städte bleiben meistens auf ihren Kosten sitzen. Die »unternehmerische Stadt« ist zwar überaus kapitalfreundlich, agiert aber keineswegs wie ein Unternehmen. Während Privatunternehmer in Insolvenz gehen, wenn sie sich verspekulieren, lässt die Stadt das Gemeinwesen bürgen, wenn ihre Zukunftsinvestitionen fehlschlagen. Das heißt, das »Unternehmen Stadt« ist im Grunde eine aus Steuermitteln finanzierte Absicherungsinstanz für privatwirtschaftliche Risiken. So ist es keinesfalls ein Widerspruch, dass eine Stadt wie Hamburg mit kommunalen Mitteln knausert, wenn es darum geht, Schlaglöcher zu beseitigen oder den Betrieb von Museen oder sozialen Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Ganz im Gegenteil: Die Rücksichtslosigkeit, mit der städtische Politik das Gemeinwesen für solche Landmarkprojekte wie die Hafencity in Haftung nimmt, wird zur vertrauensbildenden Maßnahme für den Standort.
Aber mal ehrlich: Wer will schon im Ghetto wohnen? Niemand will Heroinspritzen auf dem Kinderspielplatz, heruntergekommene Wohnungen und schlechte Infrastruktur. Was ist denn die Alternative zur »Stadtteilveredelung« von oben?
Naja, erstmal muss man klarstellen, dass Stadtteilveredelung eben nur eine Seite von Gentrifizierung ist. Die klassisch gentrifizierten Viertel mit ihren sanierten Gründerzeithäusern, den Bioläden und Boutiquen mögen das Ideal von »Aufwertung« und »Belebung« sein. Die Realität der Stadtveredelung von oben aber ist oftmals: Globale Franchise-Gastronomie, Malls, Megastores und andere »Frequenzbringer«, die Straßen und Plätze in Shoppingzonen verwandeln. Auch die Ballung von sozialen Problemen an den Rändern der Städte ist eine Folge von Gentrifizierung. Die Form von Aufwertung löst halt nicht die sozialen Problem, sondern verdrängt sie.
Umgekehrt ist es ja auch kein Geheimnis: Heroinspritzen auf dem Kinderspielplatz bekommt man durch vernünftige Drogenarbeit weg, nicht durch irgendwelche Mittelschichtsbürger, die den Stadtteil »durchmischen« sollen. Der Mangel an günstigen, aber guten Wohnungen muss über sozialen Wohnungsbau oder Wohnungsbauförderung behoben werden. Dass das heute nicht mehr gehen soll, muss man mir erstmal beweisen. Zwischen 1949 und 1973 hat man in Deutschland rund zwölfeinhalb Millionen neue Wohnungen gebaut – dank der in den Fünfzigern erlassenen Wohnungsbaugesetze waren etwa die Hälfte davon Sozialwohnungen.
Sprich: Es geht um den Bau günstiger, ökologischer und lebenswerter Wohnungen, es geht um die Ausstattung der Großsiedlungen und Schlafstädte mit Infrastrukturen, mit Einrichtungen, aus denen sich lokale Ökonomien und soziale Plattformen entwickeln können. Es geht um die Rückeroberung des öffentlichen Raums, um die Verwandlung von exklusiven Lagen in Orte verdichteter Unterschiedlichkeit, die allen Teilen der städtischen Gesellschaft selbstverständlich zugänglich sind.
Wie kann denn sichergestellt werden, dass Niedrig- und Normalverdiener sich die Miete leisten können? Welchen Einfluss hat der Staat denn überhaupt auf die Bedingungen für Immobilieninvestitionen?
Der Staat beeinflusst auf diversen Feldern den Immobilienmarkt. Es gibt Dutzende von Stellschrauben, an denen auf kommunaler, landes- oder bundespolitischer Ebene gedreht werden könnte, um Gentrifizierung einzudämmen. Die Städte und Gemeinden sind ja selbst Immobilienbesitzer und Grundeigentümer. Das könnte und sollte man dazu nutzen, mäßigend auf den Immobilienmarkt einzuwirken. Beispielsweise durch städtische Wohnungsbaugesellschaften, die günstiger bauen und vermieten – heute sind die ja in vielen Städten privatisiert oder sollen als Cash Cow dienen. Man hat ja ohne Not – oder besser gesagt: in voller Absicht – bestimmte Instrumente geopfert, die es ermöglichen, günstigen Wohnraum oder Gewerberaum in den Innenstädten zu schaffen und zu erhalten. Wann immer ich mit Wohnungsbaugenossenschaften spreche, erklären die mir, dass sie händeringend nach bezahlbaren Grundstücken suchen und zusehen müssen, wie Grundstücke zum Höchstgebot verscherbelt werden. Bezahlbare Grundstücke, günstige Wohnungsbaukredite, Mietpreisbindungen und ein Mietenspiegel, der tatsächlich die Mieten begrenzt und nicht der Mietensteigerung dient: Das sind alles Instrumente, die auch Mietervereinigungen seit Jahren fordern.
Das Jahr 2011 ist ein Superwahljahr: Insgesamt sechs Landtags- und vier Kommunalwahlen finden statt. Was erwartest du von linker Stadt- und Landespolitik? Muss DIE LINKE regieren, um der Gentrifizierung etwas entgegensetzen zu können?
Ich habe keine Heilserwartung gegenüber politischen Parteien, auch nicht gegenüber der LINKEN. Ich bin ein Freund der Stadtentwicklung von unten: In dem Maße, in dem soziale Bewegungen in den Städten stärker werden, werden auch politische Forderungen durchsetzbarer. Wenn DIE LINKE dabei helfen kann – nur zu. Hier in Hamburg hat sie in manchen Bezirken sehr ordentlich inhaltlich gearbeitet und lokale Kämpfe durch Infrastruktur, Logistik oder beispielsweise mit parlamentarischen Anfragen unterstützt. In anderen Bezirken hat man dann wieder den Eindruck, dass Hartz IV die einzige soziale Frage ist, die DIE LINKE interessiert – da gibt es einfach wenig Vernetzung zwischen Recht-auf-Stadt-Initiativen und Linkspolitikern.
Die Fragen stellte Yaak Pabst
Buchtipp: Christoph Twickel: Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle (Edition Nautilus 2010).