Die Frage nach dem kollektiven politischen Subjekt ist zentral für die revolutionäre Theorie. Das neue Buch von Nina Power ist diesem Thema gewidmet, scheitert aber an den eigenen Ansprüchen. Von Theodor Sperlea
Manchmal, wenn Mainstreamfilme Szenen des Widerstands und der zeigen, sehen wir auf der Leinwand das kollektive Subjekt – zum Beispiel in der großartigen Endszene von »V wie Vendetta«, den Gesängen des Pöbels und der Revolution in »Les Misérables« oder dem Zusammenschluss der Bewegungen in »Pride«. Solche Momente machen etwas greifbar, das theoretisch hochkomplex ist: Das Zusammenkommen Einzelner zu einem zwar nicht homogenen und meist nicht organisierten, aber gemeinsam handelnden Ganzen. Nun hat sich die Aktivistin und Philosophin Nina Power in der Aufsatzsammlung »Das kollektive politische Subjekt« mit dieser Thematik beschäftigt.
Zwischen Marx und Badiou
Dafür gräbt sich die Autorin tief in die Werke von Philosophen wie Jacques Rancière, Giorgio Agamben, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Simon Critchley, Jean-Jacques Rousseau und Jean-Paul Sartre ein. Ihre Analysen fußen auf der genauen Kenntnis der Werke Karl Marx‘. Ein zentraler Bezugspunkt sind außerdem die Arbeiten des zeitgenössischen französischen Philosophen Alain Badiou, der sich mit seinen Werken und in aktuellen Debatten für eine Erneuerung der Idee des Kommunismus einsetzt.
So behandeln die letzten drei Kapitel, der Höhepunkt des Buchs, hauptsächlich den Subjektbegriff und vor allem den Subjektbegriff bei Badiou. Da dieser seine Ansichten bereits mehrfach geändert hat, kann Nina Power hier nicht nur den Vergleich zu anderen Autoren, sondern auch zu früheren Phasen Badious ziehen. In diesen Kapiteln findet sich unter anderem eine sehr interessante Beschreibung der Herkunft und Entwicklung des Subjektbegriffs vom Untergeordneten (lat.: subiectum) zum Akteur der Aufklärung.
Eine politische Sackgasse
Jedoch ist die Wahl Badious als theoretische Grundlage schwer nachzuvollziehen. Schließlich gibt die Autorin selbst zu, dass sich dessen »Theorie des Subjekts (…) als eigenartig substanzlos« erweist. Dennoch beschreibt Power andere Subjekttheorien aus den letzten Jahrzehnten entweder nur nebenbei oder gar nicht. Dies ist umso ärgerlicher, da sie feststellt, dass »Badious Schwierigkeit bei der Benennung des Subjekts (…) einen Hinweis auf eine gewisse politische Sackgasse« darstellt. Hier wäre ein Blick in die Arbeiten Jacques Lacans, Slavoj Žižeks und Michel Foucaults nützlich gewesen, denn diese haben Subjektbegriffe entwickelt, die womöglich aus jener Sackgasse herausführen.
Die anderen Kapitel von Powers Buch streifen das Thema kollektive politische Subjekte dann auch nur. Stattdessen geht es dort unter anderem um Begriffe von Gleichheit, Humanismus und Anarchismus und verliert sich in Details.
Nabelschau der Philosophie
Ein inhaltlicher roter Faden wird nicht erkennbar, jedoch ein stilistischer: Die Sprache der Autorin ist zwar sehr akkurat, aber deswegen auch nur schwer lesbar. In vielen Abschnitten übernimmt Nina Power zudem Begriffe von den behandelten Autoren, ohne diese zu erklären oder zu diskutieren. Insofern scheitert die Autorin mit diesem Buch an ihrem eigenen Anspruch, der auf dem Buchrücken folgendermaßen formuliert ist: »Das kollektive politische Subjekt in Theorie und Praxis ist das Antidot zur Nabelschau der Philosophie.«
»Das kollektive politische Subjekt« ist für mich als interessierten Laien, der sich nicht mit den Standpunkten und Begriffssprachen aller behandelten Denker auskennt, in großen Teilen schwer verständlich. Die Autorin betreibt also dieselbe Nabelschau, der sie gern entfliehen würde, und das ist bedauerlich: Eine zugängliche Bearbeitung dieses Themas könnte der Linken eine neue, solide theoretische Grundlage bieten.
Das Buch: Nina Power: Das kollektive politische Subjekt – Aufsätze zur kritischen Philosophie, Laika Verlag, Hamburg 2015, 264 Seiten, 24 Euro
Foto: Artem Nezvigin
Schlagwörter: Buch, Bücher, Buchrezension, Hegel, Marx, Revolution, Rezension, Sartre, Theodor Sperlea