Hunderttausende stehen weltweit gegen die Macht der Banken auf. Auch hierzulande wächst der Protest. Die LINKE kann eine wichtige Stütze dieser Bewegung werden – und sich so aus der Dauerkrise befreien
Mehrere hunderttausend Menschen sind letzten Samstag in fast 1.000 Städten weltweit gegen die Macht der Banken auf die Straße gegangen. Die größten Demos gab es in Madrid mit 200.000 Teilnehmern und in Rom mit 100.000 Teilnehmern. Es war die größte koordinierte internationale Protestaktion seit den Anti-Irak-Kriegs-Protesten vom 15. Februar 2003. Dynamik hatte der internationale Protesttag durch zwei Umstände bekommen: Zum einen durch die neuerliche Zuspitzung der Krise mit der Perspektive von weiteren Milliarden-Geldspritzen an die Banken und zum zweiten durch die Hartnäckigkeit der »Occupy Wallstreet«-Bewegung in New York, die sich bisher erfolgreich einer Räumung widersetzt hat. Die Kernaussage der Bewegung, nämlich für die 99 Prozent zu sprechen, die von einem Prozent ausgebeutet werden, trifft das Gefühl breiter Bevölkerungsschichten.
In Deutschland gingen rund 40.000 Menschen in 50 Städten auf die Straße. Schwerpunkt waren mit jeweils über 5.000 Demonstranten Berlin und Frankfurt. Aber auch in Städten wie Magdeburg oder Halle gab es vergleichsweise große und lebendige Proteste. Verbindende Forderung ist die Einschränkung von Bankenmacht – eine Forderung, die populär und eingängig ist und deshalb in die Breite mobilisiert. Auf den Demos waren viele neue Gesichter quer durch alle Altersgruppen zu sehen. Für DIE LINKE ist die Geburt der neuen Bewegung ein spannender Moment: Konsequent zu Ende gedacht laufen die Forderungen der Bewegung auf die Antworten der LINKEN hinaus – die programmatischen Gegenstücke zu »Schließt das Kasino« sind die Überführung der Banken in Gemeineigentum, die Besteuerung der Reichen und Konzerne und ein Verbot der Spekulation. Natürlich fordern auch SPD und Grüne eine Regulierung der Finanzmärkte – doch haben diese Parteien in ihrer gemeinsamen Regierungszeit die Banken erst richtig von der Kette gelassen und deshalb größere Probleme mit der Glaubwürdigkeit. Die Piraten sind bisher in ökonomischen Fragen noch ein Totalausfall. Für DIE LINKE also eine Situation mit großen Chancen – wenn wir es schaffen, aus der Spirale des Niedergangs auszubrechen und ihre Kräfte in den Dienst des Widerstands gegen das eine Prozent der Herrschenden und ihre Politik zu stellen.
Was lief schief?
Ein neuer Aufbruch ist dringend nötig, denn nach dem anscheinend unaufhaltsamen Aufstieg als neu gegründete Partei in der Zeit zwischen 2005 bis 2009 hat DIE LINKE zuletzt einige Dämpfer bekommen. In die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist sie nicht eingezogen. Seit 2009 hat sie bei verschiedenen Landtags- und Kommunalwahlen nicht hinzugewonnen, teilweise sogar Stimmen verloren – zuletzt in Berlin. Die bürgerliche Presse, noch nie ein großer Freund der LINKEN, fiel über die Partei her, oft mit Unterstützung von Stichwortgebern aus den eigenen Reihen. Der Programmparteitag im Oktober soll die Partei nun einen und wieder in die Spur bringen. Damit das gelingt, bedarf es jedoch einer Analyse, woher die Probleme der LINKEN rühren und wie sie behoben werden können.
Die vorherrschende Meinung der Presse ist, dass die Partei ein Führungsproblem habe. Vor allem die beiden Parteivorsitzenden seien schwach. Der Parteivorstand hingegen verweist auf die »wenig hilfreichen« innerparteilichen Flügelkämpfe und die in der Öffentlichkeit ausgetragenen Debatten über Israel, Mauer und Castro. Beide Erklärungen lassen die geänderten Rahmenbedingungen für DIE LINKE außer Acht. Die Flügelkämpfe sind real, doch warum brachen sie gerade in diesem Jahr so vehement auf? Dafür gibt es mehrere Gründe: Bis dato war das Niveau der sozialen Auseinandersetzungen in Deutschland sehr niedrig. In ganz Europa finden Großdemonstrationen, Studentenbewegungen und Generalstreiks statt, hierzulande bisher nicht. Die Gewerkschaftsführungen haben seit Ausbruch der Krise auf Kooperation mit Regierung und Arbeitgebern gesetzt. Im DGB klopft man sich auf die Schulter, weil man von der Wirtschaftspresse als »verantwortungsvoll« gelobt wird. Die Kehrseite ist jedoch, dass innerhalb des spektakulärsten Nachkrisen-Comebacks einer westlichen Wirtschaft die Löhne weiter gefallen sind – bei steigenden Lebenshaltungskosten. Das nährt nicht unbedingt die Hoffnung, dass sich in diesem Land noch etwas zum Besseren wendet.
DIE LINKE lebt aber von der Hoffnung auf Veränderung. Die entsteht jedoch nicht spontan in einem politischen System, von dem die meisten Menschen mittlerweile kaum etwas erwarten. Dafür sind gesellschaftliche Auseinandersetzungen notwendig. So war es der Aufschwung der Anti-AKW-Bewegung nach dem Amtsantritt von Schwarz-Gelb, der die Hoffnung auf einen möglichen Atomausstieg befeuerte. Nebenbei hat er die Grünen in ungeahnte Höhen katapultiert. Seit Merkels vermeintliche Atomkraftwende die Bewegung größtenteils von der Straße geholt hat, stehen auch die Grünen nicht mehr so stark da. Mangelnde soziale Gegenmacht hat es der der LINKEN nicht einfach gemacht, dem Vertrauensvorschuss von 2009 politisch gerecht zu werden. Unser Versprechen war: »Die LINKE wirkt!« und »Je stärker DIE LINKE, desto sozialer wird Deutschland«. Tatsächlich haben die Existenz und Ausstrahlungskraft der LINKEN dazu beigetragen, dass Deutschland eines der wenigen Länder Europas ist, das bisher von einem Aufschwung rassistischer, rechtspopulistischer oder gar faschistischer Parteien verschont blieb. Doch das allzu vollmundige Versprechen, dass DIE LINKE durch ihren bloße Existenz in den Parlamenten und durch Wahlerfolge wirke, wurde zum Bumerang. Schließlich ist trotz einer stärkeren LINKEN und eines Wirtschaftsaufschwungs der Umverteilungsprozess von unten nach oben weitergegangen. Unsere Wahlparole von 2009 »Hartz IV muss weg« steht im Kontrast zur Tatsache, dass mit dem sogenannten Sparpaket von Schwarz/Gelb (2010) die Hartz-Gesetze noch einmal verschärft wurden.
Ein weiterer Grund für die Krise der LINKEN: Mit dem Niedergang der Bundesregierung hat sich die politische Konstellation in der Bundesrepublik geändert. DIE LINKE ist nicht mehr die einzig wahrnehmbare, sondern nur eine von drei Oppositionsparteien. SPD und Grüne haben sich rhetorisch nach links bewegt, fordern Steuererhöhungen für Reiche und einen Mindestlohn. Die historische Erfahrung zeigt, dass sie vieles davon am Tag nach der nächsten Wahl wieder vergessen werden. Das ändert aber nichts an der jetzigen Konstellation. Sowohl die Grünen als auch die marode SPD ziehen wieder Hoffnungen auf sich. Nach den gegenwärtigen Umfrageergebnissen sieht es nicht so aus, als seien sie nach der Bundestagswahl zur Regierungsbildung auf DIE LINKE angewiesen. Daher versuchen sie, die Partei an die Wand zu drücken. Dazu kommt der Aufstieg der Piraten. Seit ihrem Durchbruch bei der Berlin-Wahl haben sie die Rolle der Protestpartei gegen die herrschenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse übernommen, die bei der Bundestagswahl 2009 noch DIE LINKE innehatte. Viele der Stimmen für die Piraten dürften potenzielle LINKE-Stimmen sein – schließlich sind die Piraten mit linkem Profil in den Berlin-Wahlkampf gegangen, haben sich für den Mindestlohn verwandt und sich am offensivsten von allen Parteien auf das Wasservolksbegehren und ähnliche Initiativen bezogen.
Die weitere Entwicklung der Piraten ist offen. Positionen zu zentralen Themen wie der Finanzkrise sind noch nicht diskutiert. Auch strategisch ist die Partei nicht festgelegt – Überlegungen darüber, ob die Partei ihre Ziele über das Parlament, außerparlamentarische Bewegung oder Änderung des individuellen Verhaltens erreichen kann, stecken noch in den Kinderschuhen. Dabei zielen zahlreiche ihrer Forderungen auf einen Bruch mit der Macht der Konzerne. Diese Forderungen sind nur durch große Mobilisierungen durchzusetzen – oder sie müssen sie zurückzunehmen. Die Piraten könnten aufgrund der zahlreichen ungelösten Widersprüche noch vor der Bundeswahl wieder abstürzen. In Schweden erhielt die Piratenpartei zur Europawahl 2009 7,1 Prozent. Ein Jahr später erhielt sie jedoch zur so genannten Reichstagswahl nur noch 0,63 Prozent. Absehbar ist die Kampagne von SPD und Grünen 2013, dass jede Stimme für Piraten (und natürlich auch DIE LINKE) Rot-Grün gefährdet – da die meisten Piraten in der CDU ihren Hauptfeind ausgemacht haben und ihre Ablösung wünschen, wird diese Kampagne Druck aufbauen. Doch es ist auch möglich, dass die Piraten sich etablieren und mit der LINKEN um diejenigen konkurrieren, die den rot-grünen Heilsversprechungen misstrauen.
Neue Perspektiven
Die aktuellen Herausforderungen kann DIE LINKE bestehen – wenn sie Lehren aus der Krise der Partei zieht.
1) Bewegungen stärken
Ohne eine aktive gesellschaftliche Bewegung ähnelt DIE LINKE einem gestrandeten Wal. Gleichzeitig ist DIE LINKE nicht stark genug, um soziale Kämpfe selbst anzuschieben. Aber sie kann überall dabei sein, wo sich auch nur der geringste Widerstand regt. Das ist die beginnende Bewegung gegen Bankenmacht, in der sich DIE LINKE auf allen Ebenen einbringen sollte. Zudem ist im kommenden Semester aufgrund der zunehmenden Studierendenzahlen die Situation an den Hochschulen sehr angespannt – auch dort sollte sich DIE LINKE an möglicherweise entstehenden Protesten beteiligen. Ebenso ist absehbar, dass die Friedensbewegung anlässlich der Afghanistankonferenz im Dezember größere Proteste organisieren wird. Das sind alles mögliche Bausteine, um das Niveau der sozialen Auseinandersetzungen anzuheben.
Dabei geht es auch um die grundsätzlichen Kräfteverhältnisse in der Arbeiterbewegung: Der Aufstieg der LINKEN konnte bisher nicht verhindern, dass die alte sozialdemokratische Führung der Gewerkschaften in den letzten zehn Jahren weitgehend passiv und tatenlos zuschaute, wie ein riesiger neuer Niedriglohnsektor entstand, der auch die Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen verunsicherte, zu Entsolidarisierungsprozessen führte und aus Deutschland ein Niedriglohnland innerhalb der EU machte. Das sollten wir ändern. LINKE-Anhänger können im Zusammenwirken einen kämpferischen Pol innerhalb der Gewerkschaften aufbauen.
2) Rot-Rot in Berlin auswerten
In Berlin hat die Partei schmerzhaft erfahren, was passiert, wenn DIE LINKE nicht als Oppositionskraft, sondern als handzahmes Beiboot der SPD wahrgenommen wird. DIE LINKE wurde in Berlin, und das nicht zu Unrecht, für die schlechte soziale Gesamtbilanz des rot-roten Senats mit ihn Haftung genommen: 2011 wählten nur noch halb so viele Menschen DIE LINKE wie 2001. Wer der Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften und Mietsteigerungen zustimmt, kann im Wahlkampf noch so viel für bezahlbaren Wohnraum plakatieren – geglaubt wird ihm nicht.
3) Die effektivste Opposition gegen Schwarz-Gelb
Die Kunst im Umgang mit SPD, Grünen und Piraten wird darin bestehen, die Hoffnungen ernst zu nehmen, die viele Menschen in diese Parteien setzen, ohne dabei Illusionen zu schüren. Das bedeutet: Richtige Forderungen, die SPD und Grüne aufstellen, – wie die nach einem Mindestlohn – muss DIE LINKE aufgreifen und sich dann als die Kraft erweisen, die das nicht nur im Wahlkampf fordert, sondern konsequent etwas dafür unternimmt.
4) Ein Programm gegen den Kapitalismus
Papier ist bekanntlich geduldig und Programme verändern nicht die Welt. Trotzdem ist nicht unwichtig, welches Programm sich DIE LINKE gibt. Mehr und mehr Menschen kommen zu dem Schluss, dass der Kapitalismus einen Systemfehler hat und das Leben von Millionen ruiniert. SPD und Grüne hingegen haben sich von dieser Vorstellung schon länger verabschiedet – für sie sind es wahlweise gierige Banker oder unfähige Regierende, welche zu »Übertreibungen« und »Auswüchsen« führen. Entsprechend groß ist der Unwille, wirklich in die Eigentumsverhältnisse einzugreifen und den Finanzsektor an die Kette zu legen.
DIE LINKE kann hier einen Kontrapunkt setzen – auch durch ein antikapitalistisches Programm. Trotz einiger Schwächen wird der vom Vorstand vorgestellte Programmentwurf diesem Anspruch gerecht. Eine Verabschiedung dieses Entwurfs, auch ohne größere Änderungen, würde der LINKEN in den anstehenden Kämpfen Profil geben.