Wegen der umstrittenen Äußerungen der Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht zur Inneren Sicherheit und zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung mehren sich die Rufe zum Wahlboykott der LINKEN. Warum eine solche Orientierung falsch und unverantwortlich ist, erklärt Florian Wilde.
Ich kann nicht nachvollziehen, warum manche linke Parteimitglieder oder Wählerinnen und Wähler der Linkspartei jetzt plötzlich mit einer Partei von 60.000 Mitgliedern brechen wollen, weil ihnen die Positionen von einem – fraglos: sehr herausgehobenen – Mitglied nicht passen. Die übergroße Mehrheit der Partei und das Parteiprogramm vertreten in der Einwanderungs- und Sicherheitspolitik eindeutig eine andere Position als Sahra Wagenknecht. Eine ganze Partei mit einer einzigen Person gleichzusetzen, ist kein besonders emanzipatorischer Ansatz, sondern reproduziert personalisierte bürgerliche Politikvorstellungen unter umgekehrten Vorzeichen. Die LINKE ist weit mehr als Sahra Wagenknecht, und das sollten alle linken Kritiker ihrer Positionen bedenken.
Warum die LINKE wichtig ist
Insbesondere in der jetzigen politischen Situation ist es unverantwortlich, mit dem ganzen Projekt einer linken Partei zu brechen, weil einem eine einzelne Person mit ihren Positionen nicht passt. Die LINKE steht für einen tiefen historischen Einschnitt: Erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert gelang es, in Deutschland eine sozialistische Partei zu etablieren, in der die verschiedensten Traditionsstränge der linken und sozialistischen Bewegung zusammenfinden. Dank der LINKEN kann Kapitalismuskritik im parlamentarischen und medialen Raum überhaupt wieder wahrnehmbar stattfinden. Dank der LINKEN gibt es Ressourcen für soziale Bewegungen und für kritische Inhalte, wie wir sie vorher nie kannten. Mit ihrem Eintreten gegen Nazis und für Geflüchtete, gegen Neoliberalismus und für eine Stärkung des Sozialen, gegen den blutigen Deal mit Erdogan und für die Solidarität mit Kurdistan ist die LINKE zu einer wichtigen Partnerin vieler Bewegungen geworden. Die große Mehrheit der Mitglieder und das Programm der Partei ziehen eindeutige Grenzen nach rechts – und treten für offene Grenzen für alle Menschen in Not ein. Im Angesichts des globalen Aufstieges der Rechtsextremen all das zu verwerfen, weil eine einzelne prominente Vertreterin der Partei die Grenze dessen überschritten hat, was man zu tolerieren bereit ist, ist der Dramatik der aktuellen politischen Situation nicht angemessen.
Die LINKE als plurale Linke
Die Existenz der LINKEN als plurale Linke bringt es notwendig mit sich, dass in ihr Positionen vorhanden sind, mit denen man selbst sich manchmal sehr schwer tut. Das Spektrum, dass die LINKE abbildet, ist so breit, dass jeder Personen und Positionen finden wird, an denen er sich reiben kann. Seit ich in dieser Partei bin, gibt es dort Menschen und Positionen, die mich furchtbar aufregen, und die überhaupt nicht meine sind. So what?! Die Alternative, sich in kleinen Sekten gleichgesinnter zu organisieren, ist doch weit unattraktiver. Eine politisch homogene Linke mit Massenwirkung wird es auf absehbare Zeit nicht geben.
Was Sahra Wagenknecht wichtig macht
Selbst Sahra Wagenknechts schärfsten Kritiker werden 80% der Dinge, die sie sagt, richtig finden. Ihre Talkshow-Auftritte haben sie zur wichtigsten Stimme gegen den Neoliberalismus in Deutschland gemacht. Sie erreicht dadurch Millionen, die von linker Politik sonst nicht erreicht werden. Wer dieses Land nach links verändern will, sollte ihr dafür dankbar sein. Auch ihr Versuch, um Menschen zu kämpfen, die kein gefestigt rechtes Weltbild haben, aber auf dem Weg zur AfD sind, ist richtig. Die Art, in der Sahra Wagenknecht das macht, ist jedoch oft grundverkehrt und falsch, weil sie Argumente der Rechten opportunistisch aufgreift, statt sie zu bekämpfen.
Wo Sahra Wagenknecht falsch liegt
Ihre Positionen gegen offene Grenzen, gegen die »islamistische Gefahr« in Deutschland oder gegen »Genderthemen« und für mehr Polizei weisen Ähnlichkeiten mit Forderungen auf, die nicht nur die AfD vertritt, sondern das gesamte politische Establishment. Von CDU-Innenminister Thomas de Maiziere über SPD-Chef Gabriel bis hin zur grünen Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: Es herrscht inzwischen ein regelrechter Überbietungswettbewerb bei Vorschlägen zur Inneren Sicherheit. Die LINKE darf dabei nicht mitmachen. Der »Krieg gegen den Terror« ist die Hauptursache für den Anstieg des Terrorismus. Die LINKE fordert deswegen zu Recht den Abzug der Bundeswehr aus dem Ausland und Stopp jeglicher Waffenexporte. Ebenso hat sich die LINKE gegen die Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze und der Asylgesetze sowie den weiteren Ausbau des »Überwachungsstaates« ausgesprochen. Die Leitlinie der Partei ist: Nicht Geflüchtete oder offene Grenzen sind das Problem. Sondern dass Milliarden für Bankenrettungen ausgegeben wurden, der Reichtum ungleich verteilt ist und Waffen exportiert werden, anstatt Fluchtursachen zu bekämpfen. Daran sollten wir festhalten.
Von Bernie Sanders lernen
Viel kann von der erfolgreichen Kampagne von Bernie Sanders gelernt werden, der es meisterhaft verstand, soziale Fragen von abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen mit einem klaren Antirassismus und Antisexismus zu verbinden. Bei Sanders bildete der gemeinsame Kampf von Arbeiterinnen und Arbeitern für einen Mindestlohn, von Schwarzen gegen die Polizeigewalt, von Transgendern für freie Toilettenwahl, von illegalen Einwanderern für Papiere, von Indianern gegen Ölpipelines und von Kiffern gegen die Prohibition eine Grundlage seiner »politischen Revolution«. Auch in Deutschland müssen die Kämpfe gegen Ausbeutung (soziale Frage) und Unterdrückung (Rassismus, Sexismus, Homophobie) zusammengeführt, und nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wer verhindern will, dass Sahra´s gegenwärtiger Kurs sich in der Partei durchsetzt, soll – ob als Parteimitglied von innen oder als kritischer Sympathisant von außen – um den Kurs dieser Partei kämpfen.
Um DIE LINKE kämpfen
In der jetzigen Situation aber die LINKE – dass wohl wichtigste vorhandene Bollwerk gegen Neoliberalismus, Rassismus, Militarismus und Neue Rechte in Deutschland – durch Boykottaufrufe, Wahlenthaltungen oder Austritte zu demontieren, ist nicht zielführend. Der Kampf um den Charakter der Partei als antirassistische und antikapitalistische Kraft darf nicht vorschnell aufgegeben werden. Eine geschwächte LINKE wird niemandem nutzen, der gegen den Rechtsruck kämpfen will.
Zum Autor: Dr. Florian Wilde ist Mitarbeiter am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mehr vom Autor unter http://wildetexte.blogsport.eu
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