Am 17. November werden in rund 40 Städten erneut tausende Studierende auf die Straße gehen, um gegen die Folgen der Bologna-Reform und für ein besseres Bildungssystem zu demonstrieren. Es könnte der Beginn von neuen Besetzungen an den Hochschulen sein, meint Leon Wagner
Im Herbst 2009 demonstrierten bundesweit 276.000 Studierende und Schüler in rund 110 Städten gegen die Auswirkungen der Bologna-Reform, gegen ein ungerechtes Bildungssystem, gegen Kürzungen und Sozialabbau. In vielen Städten gab es symbolische Banküberfälle und Bankbesetzungen. So wurde der Zusammenhang zwischen der Unterfinanzierung der Bildung und den Geschenken der Bundesregierung an krisengeschüttelte Banken deutlich gemacht.
Zwei Jahre später hat sich die Situation verschärft: Die Finanzkrise hat sich verschärft, die EU-Staaten kämpfen mit der Schuldenkrise, Banken werden weiter mit Steuergeldern gerettet. Auch die Krise der Hochschulen hat sich verschärft: mittlerweile sorgen die doppelten Abiturjahrgänge und die Aussetzung der Wehrpflicht für überfüllte Hörsäle, schlechtere Betreuungsverhältnisse und Chaos in der Hochschulverwaltung. Auf diese schon lange absehbare Entwicklung hat die Politik nicht reagiert. Die Schaffung von zusätzlichen Studienplätzen steht in keinem Verhältnis zu der halben Million Erstsemester alleine in diesem Wintersemester.
Bologna ist gescheitert
Die Bildungspolitiker haben nicht nur den Erstsemestern ein heilloses Chaos beschert. Denn der Übergang vom Bachelor zum Master entwickelt sich zum Master-Desaster. Bildungsministerin Anette Schavan hatte den Studierenden zwar versprochen, dass der Übergang für alle Studierende »problemlos« ablaufen solle. Tatsächlich können aber nur rund ein Drittel ihr Studium nach dem Bachelor fortführen, obwohl drei Viertel der Studierenden gerne einen Master studieren würden. Master-Absolventen verdienen im Schnitt 40% mehr als Bachelor-Absolventen.
Die betriebswirtschaftliche Idee hinter der Bologna-Reform, dass Studierende durch mehr Konkurrenz effizienter und schneller studieren hat sich als absurd erwiesen. Immer mehr Studierende werden durch zunehmenden Leistungsdruck regelrecht krank gemacht. Die Inanspruchnahme psychologischer Beratungen und Behandlungen ist in den letzten Jahren gestiegen: Allein in den letzten fünf Jahren stieg die Zahl der Behandlungen mit Antidepressiva um 44 Prozent.
»Occupy University«
Nichtsdestotrotz haben die Bildungsstreiks der vergangenen Jahre einige bedeutende Erfolge verbucht. Anders als zum Beispiel in Großbritannien, wo die Studiengebühren unter der liberal-konservativen Regierung in die Höhe getrieben werden, hat die Studierendenbewegung in Deutschland in einigen Bundesländern die Einführung von Studiengebühren verhindert oder diese wieder abgeschafft.
Vielleicht besteht nun eine Chance auf mehr politischen Druck, wenn sich die Bildungsstreik-Bewegung mit der Occupy-Bewegung zusammenschließt. Erste Beispiele gibt es bereits in Berlin, in Passau oder in Köln. Unter dem Motto »Occupy University« veranstalten Studierende Teach Ins vor der Uni-Mensa und bringen Aktivisten der Occupy-Bewegung mit streikenden Gewerkschaftern und hochschulpolitischen Aktivisten zusammen.
Aufwachen aus dem Alptraum
Noch ist unklar, ob die Proteste in diesem Wintersemester groß genug werden, um grundlegende Verbesserungen im Bildungssystem herbeizuführen. Fest steht allerdings, dass in den kommenden Jahren weitere Doppeljahrgänge an die Unis strömen werden. Auch eine Abkehr von der Unterfinanzierung der Hochschulen haben die Bildungsminister noch nicht angekündigt.
Was der slowenische Philosoph Slavoj Žižek über die Occupy-Bewegung und die Finanzkrise schrieb, trifft genauso auf die Studierenden zu: »Sie werden als Träumer abgetan, aber die wahren Träumer sind jene, die glauben, dass die gegenwärtigen Verhältnisse – mit einigen wenigen kosmetischen Korrekturen – für immer fortbestehen könnten. Sie sind keine Träumer, sie erwachen vielmehr gerade aus einem Traum, der dabei ist, sich zu einem Alptraum zu entwickeln.«
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