Was steckt noch alles hinter der Nazi-Terrorzelle aus Zwickau? marx21.de sprach mit Markus Ragusch von der Redaktion des Antifaschistischen Infoblattes über die gewaltbereite Naziszene, ihre Verflechtung mit dem Verfassungsschutz und die Rolle der NPD
marx21.de: Kommt die Aufdeckung der Nazi-Terrorzelle in Zwickau für dich überraschend?
Markus Ragusch: Dass es Nazis gibt, die Menschen ermorden, die nicht in ihr Weltbild passen, ist natürlich nicht überraschend. Auch die zahlreichen Waffenfunde im Rahmen von Hausdurchsuchungen bei Neonazis und ihre gewalttätige, menschenverachtende Rhetorik in Internetforen zeigen die Gewaltbereitschaft und den Fanatismus der Szene. Dass es eine kontinuierlich mordende Gruppe gab, die über Jahre hinweg Bomben legte, Banken überfiel und mit Schusswaffen türkische Ladenbesitzer hinrichtete, ist natürlich eine neue Dimension, aber letztendlich auch nur eine Zuspitzung der seit Jahren beobachteten Zustände. Von einer klassischen Aufdeckung von außen kann ja eigentlich kaum die Rede sein. Es scheint eher so, als hätte die Nazi-Terrorzelle ohne den gescheiterten Bankraub noch eine Weile weiter morden können.
Wie schätzt du die Gefahr von Seiten gewaltbereiter Nazis allgemein ein?
Nach wie vor hoch. Die Zahl von fast 200 seit 1990 durch Neonazis ermordete Menschen in Deutschland spricht eine eindeutige Sprache. Gerade in den letzten Jahren kamen verstärkt zielgerichtete Angriffe hinzu, die von kleineren, aber umso aktionshungrigeren Neonazi-Grüppchen begangen wurden: Seien es Anschläge auf Parteibüros mit Steinen und Farbe oder Brandanschläge auf linke Zentren und Wohnhäuser. Die Grenzen dieser Gewalt sind nicht irgendwelche vorhandenen inneren Hemmschwellen oder taktisches Kalkül, sondern allein die teilweise beschränkten Möglichkeiten, die den Neonazis zur Verfügung gehen.
Was für ein Interesse kann der Staat daran haben, V-Leute in Nazistrukturen zu bezahlen, wenn diese Naziterror nicht verhindern oder sogar begünstigen?
Das weiß wohl nur der Verfassungsschutz (VS) selber. Der Informanten-Skandal um die NPD vor zehn Jahren hat ja gezeigt, dass Neonazi-Kader das Geld des VS gerne annehmen, um es für sich und die eigenen Strukturen zu verbrauchen. Die Berichte, die dann als Gegenleistung geliefert werden, enthalten meist nur Belangloses oder Informationen, die man auch den Publikationen der NPD oder denen der Kameradschaften entnehmen könnte. Vermutlich glauben die einzelnen VS-Leiter, je mehr militante Nazis sie bezahlen, desto besser hätten sie diese Szene unter Kontrolle. In Wirklichkeit ist dies aber ein Trugschluss. Relevante Informationen werden nicht preisgegeben, und das Vorgehen gegen diese Strukturen wird verhindert, unter anderem indem Durchsuchungen und Abhörmaßnahmen an die Neonazis im Vorfeld verraten werden. Hinzu kommen die selbst für den VS undurchsichtigen und schwer kontrollierbaren Beziehungen zwischen einzelnen V-Leuten und ihren V-Führern. Da findet vieles informell statt, ohne dass darüber Schriftliches festgehalten wird.
Zugegebenermaßen spekulativ: Wie erklärst du dir, dass Verfassungsschützer anscheinend bei einigen der von der Nazi-Terrorzelle verübten Morde zugegen waren?
Hier lässt sich noch kein klares Bild erkennen. Wie gesagt: Die Geheimdienst-Neonazi-Verflechtungen an der Basis sind oft eng und untrennbar. Möglicherweise glaubten ja beide Seiten, sie hätten einander im Griff. Spätestens wo Menschen ermordet werden, sollte kein Spielraum für solche unseriösen Geheimdienstpraktiken mehr sein.
Welche Kräfte haben das gesellschaftliche Klima geschaffen, in dem diese Nazi-Terrorzelle derart lange ungestört agieren konnte?
Diese Frage lässt sich nicht in wenigen Sätzen beantworten. Aber die politische Sozialisation der Gruppe in der ultrarassistischen, tendenziell rechtsfreien und verrohten Nachwendezeit dürfte eine Rolle spielen. Auch das Bundesland Thüringen war nicht gerade als Musterregion für ein demokratisches und antifaschistisches gesellschaftliches Klima bekannt. Ältere Aktivist_innen werden sich noch an die verbotenen Antifa-Demonstrationen in Saalfeldt erinnern. Die Sicherheitsbehörden konnten hier auf der anderen Seite schon mehrere Geheimdienstskandale in Bezug auf bezahlte V-Männer in der Nazi-Szene überstehen.
Wie deutest du die Tatsache, dass die Nazi-Morde bisher immer als Döner-Morde bezeichnet worden sind?
Klassische rassistische Stereotype der Medien und der Polizei. Nur zwei der Ermordeten haben in Döner-Buden gearbeitet. Offenbar ist Nazi-Terrorismus immer noch ein blinder Fleck in der Wahrnehmung mancher Ermittler. Jahrelang war in den VS-Berichten zu lesen, für so was gibt es keine Anzeichen in Deutschland.
Welche Verbindung besteht zwischen der Nazi-Terrorzelle und der NPD?
Wer in der Nazi-Szene aktiv ist, hat meistens auch punktuell Verbindungen zur NPD. Einige der ersten politischen Weggefährten der Gruppe aus Jena machten später Karriere innerhalb der regionalen NPD. Einige Mitglieder der Terrorzelle nahmen vor ihrem Abtauchen auch an mindestens einer NPD-Demonstration teil.
Was bedeutet die Wahl von Holger Apfel zum Bundesvorsitzenden für die politische Ausrichtung der NPD?
Die politische Grundausrichtung wird sich nur wenig ändern. Vermutlich wird sich die Partei um ein seriöseres, bürgernäheres Auftreten bemühen. Bei der öffentlichen Themenwahl wird wohl eine Ausrichtung hin zur »sozialen Heimatpartei« angestrebt werden. Trotzdem bleibt die NPD eine neonazistisch geprägte Partei.
Gehst du davon aus, dass die Partei jetzt hinter Holger Apfel steht?
Mit Sicherheit nicht geschlossen. Auch die NPD ist geprägt von internen Machtkämpfen und persönlichen Konflikten. Holger Apfel hat sich aktuell durchsetzen können und verfügte beim Bundesparteitag über eine ausreichende Hausmacht innerhalb der NPD. Ob und wie er die an sich binden kann, wird sich zeigen.
Ist Holger Apfel weniger gefährlich als Udo Voigt?
Beide sind führende Exponenten einer neonazistischen Partei und somit politisch gefährlich. Für einen direkten Vergleich müsste man sich darauf einigen, was man eher als gefährlich ansieht: Die Einbindung militanter Kameradschaften oder eine Schwerpunktsetzung auf regionale Verankerung für Wahlerfolge. Um mal zwei Optionen als Beispiel zu nennen.
Was bedeutet die Abwahl von Udo Voigt für die Verbindung zwischen den gewaltbereiten Nazi-Kameradschaften und der auf Legalität angewiesenen NPD?
Mit Sicherheit werden manche Gräben zwischen diesen Flügeln tiefer werden. Ausschlaggebend dürfte aber in vielen Regionen eher die Ausrichtung der jeweiligen Basis und die Besetzung der regionalen Führungskader sein.
Wie sieht eine Erfolg versprechende politische Strategie gegen eine neu ausgerichtete NPD unter Holger Apfel aus?
Es wäre mit Sicherheit ein guter Anfang, das neue in Frage zu stellen. Wir als antifaschistische Fachzeitschrift werden unseren Teil dazu beitragen, die NPD-Strategien aus antifaschistischer Sicht zu analysieren.
Und was wäre nötig, um das gesellschaftliche Klima zu bekämpfen, auf das die NPD aufbaut?
Ein gesellschaftliches Klima lässt sich nicht ohne weiteres bekämpfen. Hierzu sind viele Schritte, viele Akteure und vor allem ein langer Atem nötig. Eine Ausgrenzung antifaschistischer Initiativen z.B. durch die Extremismusklausel oder ein Bedienen der rassistischen Mitte durch entsprechende Bestseller tragen mit Sicherheit nicht zu einem Niedergang der NPD bei.
(Die Fragen stellte Jan Maas.)
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