Der radikalen Rechten muss die Öffentlichkeit genommen werden. Staatliche Repressionen werden dabei nicht helfen, meint Jan Maas. Vorabveröffentlichung aus marx21 Nr. 23, das am 2. Dezember erscheint
Es scheint verrückt: Die Mordserie der Jenaer/Zwickauer Naziterroristen deckt eine Staatsaffäre auf – und die Regierung setzt auf noch mehr Staat. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fordert eine Verfassungsschutzreform, Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will ein Zentralregister für Nazis einführen. Der Präsident des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke verlangt, dass Polizei und Verfassungsschutz enger zusammenarbeiten und stellt damit eine Konsequenz aus dem Gestapo-Terror der Jahre 1933 bis 1945 in Frage. Dass der Sicherheitsapparat ungeeignet ist, Naziterror zu bekämpfen, ist schon deswegen klar, weil er ihn meistens ignoriert. Ein Park am Leipziger Hauptbahnhof, Oktober 2010: Als zwei Betrunkene seinen Freund anpöbeln, schreitet der 19-jährige Kamal Kilade ein. Die beiden mit Hakenkreuzen tätowierten Männer prügeln ihn zu Boden und rammen ihm ein Messer in den Bauch. Der gebürtige Iraker verblutet kurze Zeit später. Die Ermittler finden in der Wohnung des Haupttäters kistenweise Nazipropaganda und NPD-Zeitungen.
DAS NEUE HEFT: AB 2. DEZEMBER
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Beide Täter waren vorbestraft und erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden. Trotzdem unterstellt die Leipziger Staatsanwaltschaft den beiden keinen Rassenhass als Motiv, sondern bewertete die Tat bis zuletzt als eine alkoholisierte Prügelei mit Todesfolge: »Hinreichende Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche Motivation der beiden Angeschuldigten bei der Tat haben die Ermittlungen nicht ergeben.« So kommt es, dass staatliche Stellen 46 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 zählen, antifaschistische Initiativen dagegen 182.
Gestapo und Verfassungsschutz
Der Staat ist also auf dem rechten Auge blind. Das hat eine historische Dimension. Schon als die Alliierten 1950 den Verfassungsschutz gründeten, griffen sie auf zahlreiche frühere Mitglieder der Gestapo zurück, die vor allem Linke als ihre Feinde betrachteten, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Jahr 2009 berichtete. Als die Regierung Adenauer 1955 die Kontrolle über den Verfassungsschutz übernahm, setzte sie mit Hubert Schrübbers (CDU) für 17 Jahre einen Mann an seine Spitze, der dem Nazi-Regime als SA-Mitglied und Oberstaatsanwalt gedient hatte.
Schrübbers musste zwar 1972 seinen Hut nehmen, aber rechte Überzeugungen existieren bis heute beim Inlandsnachrichtendienst. Helmut Roewer leitete von 1994 bis 2000 den Thüringer Verfassungsschutz, also zu jener Zeit, als die Jenaer/Zwickauer Terroristengruppe entstand. Unter seiner Federführung produzierte das Erfurter Landesamt ein Video für den Schulunterricht, in dem der Neonazi und V-Mann Tino Brandt die angebliche Friedfertigkeit seiner Kameradschaften loben durfte. Seit Roewer vom Dienst suspendiert wurde, veröffentlicht er Schriften in einem österreichischen Verlag, in dem auch ehemalige Gestapo-Mitglieder und bekennende Neofaschisten publizieren.
LINKE will Gemeindienste abschaffen
Über das parlamentarische Kontrollgremium, das die Geheimdienste eigentlich überwachen soll, schreibt die stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, Halina Wawzyniak: »Geheimdienste heißen Geheimdienste, weil sie geheim arbeiten und wer geheim arbeitet, lässt sich nicht kontrollieren.« Entsprechend fordert DIE LINKE in ihrem neuen Programm, alle Geheimdienste abzuschaffen. Zu Recht: Der Staatsapparat ist kein geeigneter Bündnispartner im Kampf gegen Nazis. Auch eine demokratische Wahl tauscht immer nur eine kleine Schicht von Abgeordneten, Ministern oder Senatoren und Staatssekretären aus. Hier und da können diese noch auf das Personal für manche leitende Funktionen Einfluss nehmen, wenn diese in der Legislatur neu besetzt werden. Aber die Mehrheit des Apparates bleibt unangetastet.
Für den Konservatismus des Staatsapparats gibt es eine strukturelle Ursache: seine Verknüpfung mit dem Kapitalismus. Staat und Kapital sind voneinander abhängig. Kurz: Das Kapital braucht eine verwertungsfreundliche Umgebung, der Staat eine starke wirtschaftliche Basis. Und da Naziterror zwar Menschenleben gefährdet, nicht aber diese wirtschaftliche Basis, interessiert sich der Staat auch nicht in dem Maße dafür wie für Atomkraftgegner, die Sitzblockaden organisieren, oder Linke, die eine andere Wirtschaftsordnung fordern.
Vor allem sind Staat und Kapital auch noch verantwortlich für das gesellschaftliche Klima, in dem Nazis gedeihen. Arbeitslosigkeit, Hartz IV und befristete Billigjobs ohne jede Perspektive zerstören das Vertrauen auf eine sichere Existenz und unterminieren zugleich den solidarischen Zusammenhalt zwischen den Menschen. Rassismus wird geschürt, um von den Verursachern der Krise abzulenken und die Verzweifelten, Ausgegrenzten und vom Abstieg Bedrohten gegen Sündenböcke aufzuhetzen. Sarrazins Hetze gegen Muslime und Unterschichten in seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« ist beispielhaft dafür.
Muslime als Sündenböcke
Sündenböcke, das sind heute vor allem Muslime oder Menschen, die für Muslime gehalten werden. Von daher ist es kein Zufall, dass acht der zehn Opfer der Naziterroristen türkischer Abstammung waren. Indem die Innenminister von Schily bis Friedrich vor allem angebliche Islamisten zum Sicherheitsrisiko für die Gesellschaft erklärten, schürten sie den Rassismus gegen Muslime.
Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime Aiman Mazyek sagte der Mitteldeutschen Zeitung: »Für mich ist das ein klassischer Fall von home grown terrorists – und zwar über Jahre hinweg« und fügte hinzu: »Wir dürfen Islam- und Fremdenfeindlichkeit nicht bagatellisieren.« Wenn der ehemalige bayerische Innenminister Beckstein im Jahr 2005 im Bierzelt auf dem Gillamoos-Volksfest unter lautem Gejohle forderte: »Das Kruzifix bleibt in den Klassenzimmern, aber der Schleier und das Kopftuch kommen raus!«, dann ist es kein Wunder, dass die NPD im Bundestagswahlkampf desselben Jahres erstmals ein Foto von Frauen mit Kopftuch unter dem Slogan »Gute Heimreise!« plakatiert hat.
Im Schatten des 11. September 2001 sei einseitig ermittelt worden, meint Mazyek. »Der Rechtsterror konnte so gedeihen.« Es habe genug Momente für eine Hinterfragung dieser Anti-Terror-Strategie gegeben, kritisierte Mazyek. Zum Beispiel die Wohnungsbrände in türkischen Häusern, Anschläge auf muslimische Gotteshäuser und den »islamfeindlichen Mord« an der Ägypterin Marwa El-Sherbini.
Grenzen des NPD-Verbots
Die Forderung nach einem NPD-Verbot ist zwar richtig, aber auch kritisch zu bewerten. Selbst wenn die Partei verboten wird: Das würde die Nazis zwar beim Aufbau stören, beispielsweise dadurch, dass sie kein Geld mehr aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhielten. Doch in der Vergangenheit sind immer wieder Naziparteien verboten worden, ohne dass dadurch die rechten Strukturen nachhaltig geschwächt worden wären.
Entscheidend ist es, den Nazis überall dort, wo sie auftreten, massenhaft und entschlossen entgegenzutreten: Ihre Aufmärsche zu stoppen, ihre Treffpunkte zu schließen. Dafür braucht es jetzt eine massenhafte antifaschistische Bewegung auf den Straßen. Nur so können die harten Nazis von ihrem Umfeld isoliert werden, ohne das auch die Jenaer/Zwickauer Terrorzelle nicht hätte bestehen können. Um die Gefahr dauerhaft zu bannen, ist allerdings eine gesellschaftliche Alternative nötig, die den Menschen ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung ermöglicht. Hoffnung gibt es: Denn dafür gehen gerade rund um den Erdball Zehntausende auf die Straße – von Kairo bis Oakland.
Mehr im Internet:
- Linke Argumente gegen rechte Hetze. Thilo Sarrazins Rassismus und die Krise, Broschüre der LINKEN
- Vor-Ort-Initiativen gegen rechte Gewalt und Projekte zur Hilfe von Opfern fordern eine Umkehr in der Politik staatlicher Behörden gegen Rechtsradikalismus. Die taz dokumentiert den Appell.
Mehr auf marx21.de:
- Eine neue Dimension der Gewalt: Was steckt noch alles hinter der Nazi-Terrorzelle aus Zwickau? marx21.de sprach mit Markus Ragusch von der Redaktion des Antifaschistischen Infoblattes über die gewaltbereite Naziszene, ihre Verflechtung mit dem Verfassungsschutz und die Rolle der NPD
- Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Der neue NPD-Vorsitzende Holger Apfel bezeichnet sich als »seriösen Radikalen«. Doch das ist nur eine neue Fassade für den alten Rassismus, meint Marwa Al-Radwany