»Sing It Loud« begleitet einen Wettbewerb evangelischer Chöre in Tansania. Auch wenn der Film die Oberfläche des Geschehens nicht durchdringt, bietet er doch ungekannte Einblicke, findet Phil Butland
Wir können schonmal davon ausgehen, dass im Lutherjahr eine hauptsächliche weiße europäische Geschichte erzählt werden wird. Regisseurin Julia Irene Peters – die von der Kirche in der DDR geprägt wurde – stellt ein ganz anderes Erbe dar. Jedes Jahr nehmen in Tansania über 1500 Chöre an einem Wettbewerb teil. Dabei müssen sie jeweils zwei Lieder singen – eins ihrer Wahl und Luthers Hymne »Ein feste Burg ist unser Gott«.
Nächstenliebe und Puritanismus
Peters folgt Mitgliedern von drei Chören – dem Neema-Chor, in dem vor allem arme Bäuerinnen und Bauern singen, dem Kanaani-Jugendchor, und dem eher mittelschichtsgeprägten Cantate-Chor. Ohne Kommentierung lernen wir die unterschiedlichen Perspektiven der Leute kennen.
Evarest vom Cantate-Chor hat eine Autowerkstatt und schildert sein Verständnis von sozialer Verantwortung: »Derjenige, der hier arbeitet, ist von mir anhängig. Ich bin für ihn verantwortlich. Er putzt, öffnet das Tor, füttert die Hühner und macht den Garten. Wir sind voneinander abhängig.« Simon und Martha vom Neema-Chor erzählen wie sie – zusätzlich zu ihren eigenen fünf Kindern – Simons Neffen adoptieren mussten. Simons Schwester hat das Kind unehelich bekommen. Dazu hat die Bauernfamilie auch den Sohn von Marthas Onkel aufgenommen, weil sein Vater zu arm ist, um für ihn zu sorgen.
Alle Interviewten sind unglaublich sympathisch und der kleinste gemeinsame Nenner des Films ist die Freude, die allen das Singen bereitet.
Nichtsdestotrotz ist ihre christliche Wohltätigkeit nicht immer von einem altmodischen Puritanismus zu trennen. Mitglieder des Jugendchors reden mit Bedauern über einen ehemaligen Mitsänger, Robert, der auf »Abwege« geriet: »Er war betrunken … Er ist dann wieder in die Disco gegangen.« Evarast meint ebenfalls, dass viele Familien arm seien, weil sie die Missionare ignoriert und zu viel getrunken hätten.
Eine Gesellschaft im Wandel
Zwischen den Interviews sehen wir professionelle Videos von choreographierten Liedern mit traditionellen afrikanischen Rhythmen, in deren Texten Gott gelobt wird, was manchmal ungewohnt erscheint. Die Chöre treten vor malerischen Landschaften auf. Der ganze Film würde sich auch gut als Werbung des tansanischen Fremdenverkehrsamts machen.
Allerdings sind die interessantesten Geschichten vielleicht die ungesagten. Tansania erlebt derzeit einen kulturellen Wandel. Der Wettbewerb ist im besten Sinne ein Mikrokosmos der Entwicklungen. Sängerinnen und Sänger in traditioneller Kleidung werden mit Smartphones gefilmt, während sie Luther-Hymnen singen. Viel ist passiert, seit der erste Wettbewerb im Jahr 1954 stattfand, als Tansania noch unter britischer Herrschaft stand.
Hezron Mashauti, Direktor der Kirchenmusik, beschreibt, wie Religion in Afrika vor den deutschen Missionaren existierte und wie die Massai ihren Kulturen und Traditionen in ihre Auslegung des Christentums einbringen.
Jugendliche des Kananni-Chors machen Hip-Hop-Musik und diskutieren, ob es überhaupt fromm ist, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Das Ergebnis der Diskussion? Es ist ein Schlacht und sie müssen sie gewinnen.
Leerstellen
In diesem Zusammenhang ist es etwas schade, dass die Widersprüchlichkeit der evangelischen Kirche in Afrika nicht mehr thematisiert wird. Der Südafrikanischen Bischof Desmond Tutu sagte: »Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besaßen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf, zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.«
Ganz am Anfang des Films wird immerhin an die deutschen Kolonialtruppen erinnert, die 200 Afrikanerinnen und Afrikaner in einem Racheangriff getötet haben. Die Geschichte wird vor dem Grab ermordeter Missionare erzählt, die sonst immer als Träger »zivilisierte Werte« dargestellt werden.
Entwicklungen, von denen man sonst kaum etwas mitbekommt
Es ist vielleicht nicht fair, zu erwarten, dass ein Film Themen behandelt, die die Regisseurin nicht unbedingt interessieren. Also, wenn ich sage, ich hätte lieber mehr von der Spannung zwischen den afrikanischen Gläubigen und der schmutzigen Geschichte des Kolonialismus gesehen, ist das eigentlich keine schwerwiegende Kritik an »Sing It Loud«. Wenn ich so etwas sehen will, muss ich wohl selbst einen Film drehen.
»Sing It Loud« ist ein Film, der mehr zeigt als erklärt. Und das ist auch gut so. Was gezeigt wird, sind gesellschaftliche Entwicklungen, die man sonst kaum auf deutschen Leinwänden sieht. Und das macht den Film sehenswert.
Einige Mitglieder des Kanaani-Jugendchors reisen zur Premiere des Films und für eine kleine Film- und Konzerttour aus Tansania an. Wer Interesse an aufregender Musik hat, sollte hingehen.
Auch wenn der Film keine sozialistische Botschaft vermittelt (und warum sollte er?), zeigt er eine Gesellschaft, die in hiesigen Medien höchst unterbelichtet ist.
Der Film: Sing It Loud – Luthers Erben in Tansania
Regie: Julia Irene Peters, Jutta Feit
Deutschland 2017
JIP Filmproduktion
ab 18. Mai im Kino
Schlagwörter: Afrika, Antikolonialismus, film, Kino, Kolonialismus, Kultur