Die Protestbewegung in Marokko geht trotz massiver Repression weiter. Das Motto der Bewegung: »Ihr seid keine Regierung, ihr seid eine Mafia.«
Seit über einem halben Jahr gehen die Menschen auf dem Rif und im übrigen Marokko auf die Straße (marx21 berichtete). Sie fordern ein Ende der Demütigung (»hogra«) durch Polizei und Staatsbeamte, Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Video von den Protesten
Marokko: Es begann mit einem Mord
Die Bewegung begann mit dem brutalen Mord an dem Fischverkäufer Mouhcine Fikri in Al Hoceima. Al Hoceima gehört zur nördlichen Rif-Region, einem politisch, wirtschaftlich und kulturell marginalisierten Teil Marokkos. Die Region hat eine lange Tradition des Widerstands, gegen den spanischen Kolonialismus und gegen das marokkanische Regime. Die Forderungen der Bewegung, in der überwiegend von den Amazigh (Berbern) bewohnten Rif-Region, wurden jedoch von den Menschen im ganzen Land aufgegriffen.
Dynamik der Bewegung in Marokko
Die Proteste haben in den letzten Wochen an Dynamik gewonnen, nicht zuletzt als Reaktion auf die zunehmende Repression. Nach Jahren des Schweigens demonstrieren die Menschen in großer Anzahl. Frauen nehmen in den Protesten eine führende Rolle ein. Letzten Sonntag demonstrierten Hunderttausende in der Hauptstadt Rabat.
Der Konflikt eskalierte als die Regierung vor zwei Wochen den Anführer der Bewegung, Nasser Zafzafi, zusammen mit anderen verhaftete. Mehr als hundert Aktivisten sitzen derzeit im Gefängnis, ihnen drohen Folter und unfaire Gerichtsverfahren. Über Medien und die Moscheen verbreitet das Regime weiter die Lüge, die Bewegung betreibe »Separatismus« und sei deswegen »gefährlich« – ein Märchen, das auch in der europäischen Diaspora gängig ist. So hat Nasser Zafzafi bislang nie die Unabhängigkeit der Berberregion gefordert.
Video von einer Rede Nasser Zafzafi
Die Bewegung lernt
Aber die Repressionen und die Verleumdungen haben nur noch mehr Menschen dazu bewogen, auf die Straße zu gehen und neue Sprecherinnen der Bewegung hervorgebracht. Die Protestierenden haben die Lehren der Bewegung des 20. Februar, die im Rahmen des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 entstand, gezogen. Sie wurde mit einer erdrückenden staatlichen Repression beantwortet. Doch die Bewegung bleibt diszipliniert, betont stets ihre Gewaltlosigkeit und gibt Provokateuren keinen Raum. Die Herrschenden der Region fürchten, dass die Bewegung den Kampfesgeist der Massen neu beleben wird. Damit liegen sie richtig. Auch im Nachbarland Tunesien gehen die Menschen auf die Straße. Manche Medien sprechen schon von einem neuem »Arabischer Sommer«.
Solidarität in Europa
Die westlichen Mächte ganz allgemein und die Europäische Union im besonderen haben seit eh und je die Nähe zum marokkanischen König gesucht. Dazu gehören außergerichtliche Auslieferungen in marokkanische Folterstätten aber auch der 2014 abgeschlossene Fischfangvertrag mit der EU. Für gerade einmal 30 Millionen Euro können in den nächsten Jahren bis zu 120 Schiffe aus 11 Ländern der EU vor der marokkanischen Küste Fischfang betreiben, obwohl dies die Lebensgrundlage vieler Fischer vor Ort zerstört. Von der EU wurde die neoliberale Umstrukturierung Marokkos unterstützt und mitfinanziert. Der marokkanische Staat hat öffentliche Dienstleistungen verkauft – und zwar meist an europäische Investoren. In der Folge sind die Preise für Wasser und Strom in die Höhe geschossen. Für Selbstständige aus ärmeren Bevölkerungsteilen wird es immer schwieriger zu überleben.
Wir sind hundertprozentig solidarisch mit dem Volk vom Rif und von Marokko und ihren Forderungen: Die Freilassung aller politischen Gefangen, Investionen in den öffentlichen Sektor und ein Ende der Militarisierung des Rifs. Alle Macht dem Volk!
Zum Text: Die Solidaritätserklärung der International Socialist Tendency zu den Protesten in Marokko wurde am 15.6. veröffentlicht. Aus dem Englischen von Dave Paenson.
Schlagwörter: Arabischer Frühling, EU, Europa, Marokko, marx21, Protest, Proteste, Solidarität