Viele Menschen suchen einen Gegenentwurf zum erstarkenden Nationalismus und Rassismus. Doch die Politik der Europäischen Union hat dem Aufstieg der Rechten den Boden bereitet. Wer ein soziales und demokratisches Europa will, sollte nicht auf dieses Bündnis setzen. Von Kira Rockel
Die Europäische Union lässt Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken, führt Kriege in aller Welt und erzwingt milliardenschwere Kürzungsprogramme. Trotzdem sehen viele, die die EU dafür kritisieren, in ihr auch eine fortschrittliche Kraft, eine Alternative zum Nationalismus der Mitgliedstaaten.
Seit mehreren Wochen demonstrieren im Rahmen der »Pulse of Europe«-Kundgebungen Tausende für ein »Europa der Menschenwürde und der Toleranz«. Auch der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wirbt im beginnenden Wahlkampf für das europäische Bündnis als Alternative zu Nationalismus und warnt vor überzogener Kritik an der EU. »Mit mir gibt es kein Europa-Bashing«, sagt Schulz. In dieselbe Richtung argumentiert der ehemalige Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag, Gregor Gysi. Er meint: »Ich möchte nicht, dass die EU kaputtgeht. Sie verhindert Kriege zwischen den Mitgliedsländern.«
Kein internationalistisches Projekt
Die Linke macht einen großen Fehler, wenn sie die EU-Kritik der Rechten überlässt. Die EU ist kein internationalistisches Projekt. Sie war von Beginn an ein Kartell imperialistischer Staaten, denen es darum ging, die europäische Wirtschaft und die europäischen Konzerne im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu machen. Die EU und »Brüssel« sind identisch mit der Umstrukturierung des europäischen Kapitalismus auf dem Rücken der Lohnabhängigen.
Die Tatsache, dass der Währungsunion keine Wirtschafts- und Finanzunion folgte, wird häufig als Konstruktionsfehler der Gemeinschaftswährung bezeichnet. Tatsächlich war es aber von Anfang an beabsichtigt, die Nationalstaaten untereinander in Konkurrenz bezüglich ihrer Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu setzen. Durch den gemeinsamen Binnenmarkt und Währungsraum können Unternehmen innerhalb der Eurozone ohne Einschränkungen operieren. Die einzelnen Staaten stehen hingegen in einem scharfen Standortwettbewerb miteinander und sind gezwungen, die Unternehmenssteuern und Lohnkosten zu senken, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und den Sozialstaat abzubauen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Unter diesem Druck konnten die Verschlechterungen für die Bevölkerung wesentlich leichter durchgesetzt werden.
Institutionalisierter Neoliberalismus in Europa
Praktisch bedeutet das einen Rückbau sozialer Sicherungssysteme, exzessive Privatisierungspolitik, Lohn- und Sozialdumping, Steuerwettbewerb, Angriffe auf kollektive Tarifverhandlungen und gewerkschaftliche Organisierung, ein Zusammenschrumpfen öffentlicher Beschäftigung sowie Massenentlassungen im öffentlichen Sektor. Innerhalb der EU sind es die wirtschaftlich stärksten Staaten, allen voran die Bundesrepublik, die den Kurs vorgeben und ihre Interessen gegen die kleineren nationalen Kapitale und gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen.
Viele Beschäftigte merken das und brachten ihre Ablehnung der EU in Referenden wie in Großbritannien (2016), Griechenland (2015), Irland (2001 und 2008), den Niederlanden (2005), Frankreich (2005), Schweden (2003) und Dänemark (1992) zum Ausdruck.
Ein »sozialeres« Europa ist im Rahmen der imperialistischen EU und ihrer Institutionen unter den anhaltenden Krisenbedingungen unmöglich. Dabei ist es nicht nur der undemokratische Charakter der EU-Institutionen, der dies verhindert, sondern auch der undemokratische Charakter ihrer Auftraggeber, das heißt der führenden Nationalstaaten und ihrer jeweiligen Regierungen. Alle nationalen Regierungen in Europa haben sich der Austerität verschrieben. Die Grundlage der Sparprogramme, Privatisierungen, Massenentlassungen sowie des Sozialabbaus wurde zuerst von den Nationalstaaten und ihren Parlamenten beschlossen, bevor sie dann als »Diktate« der Troika oder der EU-Kommission verhängt werden konnten.
Die neoliberale EU und der Aufstieg der Rechten
Die neoliberale Politik der EU bereitete so den Boden für den Aufstieg der radikalen Rechten und mit ihr des Rassismus und Nationalismus in Europa. Es ist kein Zufall, dass gerade in den von Massenentlassungen geprägten ehemaligen Industrieregionen die Rechten ab den 1980ern Jahren stark wurden und sie dort bis heute einige ihrer Hochburgen haben: In Nordfrankreich, Nordengland oder Norditalien. Das gilt auch für Deutschland. Die AfD holte beispielsweise in den vormaligen Industriestädten Mannheim, Pforzheim und Bitterfeld sogar Direktmandate bei den Landtagswahlen.
Aber der Aufstieg der Rechten ist kein Automatismus. Er resultiert unter anderem aus deren Anti-EU- und Anti-Euro-Position. Wenn die Linke dieses Szenario vermeiden will, braucht sie eine internationalistische Alternative, die auf Selbstbestimmung, Brüderlichkeit, sozialen Rechten sowie der Verteidigung anständiger Arbeitsbedingungen und öffentlichen Eigentums beruht. Um eine linke Kritik an der EU scharf vom rechten Nationalismus abzugrenzen, bedarf es eines entschiedenen Kampfes gegen Rassismus und jede Form von Chauvinismus. Nur ein geeintes und entschlossenes Vorgehen gegen rechts kann den rassistischen und reaktionären Kräften von UKIP, Front National, FPÖ und AfD den Wind aus den Segeln nehmen und die berechtigte Wut auf die unsoziale und undemokratische EU in linke Bahnen lenken.
Den Klassenkonflikt in Europa zuspitzen
Die Linke tut also gut daran, nicht nur im Wahlkampf ihre Solidarität mit den Kämpfen in den Krisenländern sichtbar zu machen, zum Beispiel indem sie Rednerinnen und Redner aus anderen Ländern zu ihren Veranstaltungen einlädt. Anti-EU-Slogans wie »Kein Sozialabbau für den Euro«, »Nein zur EU der Bosse. Deutsche und Zugewanderte gemeinsam für höhere Löhne« oder »Menschen vor Profite – Nein zu dieser EU«, die auf den Klassenkonflikt zuspitzen und propagandistisch an den Frontlinien der bestehenden Auseinandersetzungen ansetzen, können dabei helfen. Wir sollten nicht die EU und den Euro verteidigen, sondern die erkämpften Sozialstandards und die demokratischen Rechte. Die Idee eines solidarischen Europas ohne Grenzen wird nicht über das Projekt EU und ihre gemeinsame Währung erreicht, sondern durch die gemeinsamen Kämpfe der Lohnabhängigen für ihre Interessen.
Foto: dullhunk
Schlagwörter: Antikapitalismus, Brexit, DIE LINKE, EU, EU-Referendum, Europa, g20, Inland, Linke, Merkel, Neoliberalismus, Privatisierung, Troika, Währungsunion